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Gemeinderat, 8. Sitzung vom 21.11.2001, Wörtliches Protokoll  -  Seite 71 von 99

 

Stellen Sie sich vor, der Planungsstadtrat der Stadt Wien - und ich meine jetzt nicht den jetzigen, sondern einen fiktiven - macht einen internationalen Architektenwettbewerb für ein Milliardenprojekt, und ich sage mit Absicht Milliardenprojekt, denn die Josefstadt ist ja im Vergleich zu allen Kulturbudgets nicht irgendein Theater, und bevor die Jury dieses Architektenwettbewerbs sich auch nur das erste Mal trifft und zusammensetzt, ruft er einen Architekten persönlich an und sagt ihm, du bist es. Die Jury dieses Architektenwettbewerbs einigt sich dann auf jemanden anderen, trotzdem erhält der Kandidat, den der Planungsstadtrat angerufen hat, diesen Auftrag und er sagt dies auch noch in einem autorisierten Interview in einem Monatsblatt.

 

Wenn das der Fall wäre, was jetzt noch eine Fiktion ist, dann würden wir hier natürlich keine dringliche Anfrage stellen, sondern einen Misstrauensantrag. Warum tun wir das heute hier nicht? - Ich sage das deshalb, weil uns einige Journalisten auch diesbezüglich gefragt haben, und wir sagen es aus zwei Gründen: Dieser fiktive Stadtrat hätte das ja wahrscheinlich deshalb getan, weil er einen persönlichen Nutzen im Sinne der Korruption aus einer derartigen Direktvergabe gezogen hätte und wir unterstellen hier Herrn StR Mailath-Pokorny in keinster Weise, dass er daraus persönlichen Nutzen gezogen hat, ganz im Gegenteil, das desaströse Medienecho, das es gegeben hat, spricht in dem Fall eher für ihn und wir unterstellen auch keinerlei bösen Willen, wir unterstellen ihm nur schlicht und einfach eine extreme Ungeschicklichkeit und einen, sage ich einmal, ungeklärten Umgang mit der Wahrheit. Ich sage nur gleich dazu, die meisten Spitzenpolitiker stürzen ja nicht über Korruption oder über bösen Willen, sondern über Ungeschicklichkeit.

 

Was ist nun Ihre ... Ja, ich wollte dazu sagen, der Beleg dafür, damit alle wissen, worüber wir reden, es gibt ein Interview von Hans Gratzer im "profil" vom 5.11.2001, worin er sagt: "Es ist da die große innere Ruhe, nichts mehr beweisen zu müssen. Mein Komplex hat sich in dem Moment gelöst, als mich am Montag morgens" - das war der Montagmorgen vor der Jurysitzung - "Kulturstadtrat Mailath-Pokorny angerufen hat" - und jetzt wörtliches Zitat -: "Morak und ich haben uns im Beisein von Zeugen geeinigt, Sie sind es."

 

Der Herr Stadtrat rechtfertigt sich in einem Interview, auch im "profil", vom 12.11.2001, in dem er wieder - wörtliches Zitat - sagt: "Die Behauptungen von Hans Gratzer sind falsch. Das habe ich in einem Telefonat mit Hermann Beil klargestellt. Ich habe mit Gratzer wie mit anderen im Vorfeld bloß abgeklärt, ob sie im Falle des Falles rasch zur Verfügung stünden."

 

Sehr geehrter Herr Stadtrat! Hans Gratzer war einer von 21 Bewerbern, und zwar einer von denen, die sich offiziell beworben haben. Warum haben Sie am Vormittag, bevor die Jurysitzung tagt, angerufen, um ihn zu fragen, ob er es mit seiner schriftlichen Bewerbung ernst meint? Haben Sie auch alle anderen 20 Kandidaten angerufen und sie gefragt, ob sie es mit der Bewerbung ernst meinen, haben Sie insbesondere mit den weiblichen Kandidaten vorher persönlich gesprochen, denn Sie haben ja einmal angekündigt, wie schön es wäre, wenn es eine weibliche Direktorin der Josefstadt gäbe? Und als man Sie erwischt hat, dann haben Sie Hans Gratzer öffentlich der falschen Aussage bezichtigt.

 

Es ist ganz klar, worum es geht, einer sagt in diesem Fall die Unwahrheit und das ist jetzt eine Frage der Glaubwürdigkeit. Nun, ich bin nicht Inspektor Columbo, wobei die einzige Parallelität mit Columbo ist, dass auch bei Columbo am Anfang eigentlich schon immer klar ist, wer der Täter ist.

 

Warum sollte Hans Gratzer die Unwahrheit sagen? Um Ihnen persönlich zu schaden? - Das glaube ich nicht. Um Ihnen das Leben schwer zu machen? - Nein, ich sage es Ihnen ehrlich, der hat schlicht und einfach das gesagt, wie es war.

 

Nun, Sie haben in der Budgetdebatte von der längst notwendigen Belebung und sanften Erneuerung der Wiener Theaterlandschaft gesprochen. Wie schaut denn diese sanfte Erneuerung jetzt tatsächlich aus?

 

Publikumsliebling Hackl, tief verletzt: "Nie wieder Josefstadt."

 

Publikumsliebling Lohner: "Nie wieder Josefstadt unter der neuen Direktion."

 

Der international geachtete Hermann Beil ist schwer desavouiert.

 

Die von Ihnen selbst eingesetzte internationale Jury ist desavouiert.

 

Hans Gratzer trägt erstens den Mangel der zweiten Wahl und zweitens wird er von Ihnen öffentlich der falschen Aussage bezichtigt. Totale Aufregung und Unsicherheit und Widerstand in der Wiener Theaterszene. Das sind böse Vorwürfe der Opposition, könnte man sagen, die das Thema hier nimmt, um einfach den armen Stadtrat hier unter Ziehung zu bringen. Ich bringe Ihnen aber noch zwei, nur zwei Medienzitate, Sie werden heute noch mehr hören. Wie sieht das die Öffentlichkeit? - Ich sage nur "Standard" und "Presse", um das breite Spektrum aufzuzeigen.

 

"Standard" vom 31.10.: "Sein" - damit ist Ihr - "unerschütterlicher Wille, die Besetzung aller relevanten Leitungsstellen auf Basis fachkommissarischer Würfelübungen vorzunehmen, hat die erste Katastrophe gezeitigt."

 

Zweites Zitat, aus der "Presse", Überschrift: Neue Peinlichkeit. Zitat: "Kulturstadtrat Mailath-Pokorny mit seiner weltfremden Ausschreibung und Findungskommission, die partout nur Beil als Direktor empfehlen sollte, obwohl es 21 Bewerber gab."

 

Sie haben am Montag Peter Marboe vorgeworfen, er vergieße Krokodilstränen, weil er sich Sorge macht über das Erbe, das er hier in der Wiener Theaterlandschaft hinterlassen hat und er sei es in Wirklichkeit, der die Künstler und die Journalisten aufwiegle. Sehr geehrter Herr Stadtrat, was haben Sie eigentlich für ein Bild von den Künstlern und den Journalisten? Die

 

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