Wien steht vor enormen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Trotz massiver Inanspruchnahme der Corona-Kurzarbeit mit zwischenzeitlich mehr als 285.000 Anmeldungen allein in Wien wird die Arbeitslosigkeit im Jahresschnitt 2020 deutlich steigen und auch 2021 noch außergewöhnlich hoch bleiben. Es ist das Gebot der Stunde, diese hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und in die Qualifikation der Wienerinnen und Wiener zu investieren. Die Zukunft auf dem Wiener Arbeitsmarkt soll auch weiterhin von Bildungsaufstieg, mehr Chancen und höherer Produktivität geprägt sein, und nicht von einem Niedriglohnsektor wie in anderen europäischen Ländern.

Die neue Stadtregierung wird daher alles unternehmen, um die gestiegene Arbeitslosigkeit, die Verfestigung von Langzeitbeschäftigungslosigkeit in besonders betroffenen Branchen sowie den Lehrstellenmangel zu bekämpfen.

Es gilt in diesem Kampf für Zukunftsperspektiven junger Menschen kreative Initiativen aufzugreifen und den verstärkten Trend zur Digitalisierung für Re- und Höherqualifizierung zu nutzen, um so neue Chancen für junge Menschen in Branchen der Zukunft zu schaffen. Neue Perspektiven reduzieren zudem die hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten der Arbeitslosigkeit für die Betroffenen, aber auch für Gesellschaft und Staat, und wirken präventiv gegen Radikalisierungstendenzen.

Der starke Sozialstaat reduziert die Abstiegsgefahr vieler Menschen immens und schützt auch die Mitte der Gesellschaft vor dem Fall in die Armut. Gleichzeitig ist es der neuen Stadtregierung klar, dass ein starker Sozialstaat eine leistungsstarke Wirtschaft braucht. Die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik soll deshalb auch immer wachsende, zukunftsträchtige Branchen mitdenken, unterstützen und so den Fachkräftemangel beheben.

Wiener Arbeitnehmer_innen weiterbilden

Der größte Standortvorteil Wiens sind gut ausgebildete Menschen. Der Wirtschaftsforschung folgend bietet die Stadt den Wienerinnen und Wienern ein Angebot zur Höherqualifizierung, um auf die zukünftigen Herausforderungen von Arbeit und Wirtschaft vorbereitet zu sein und den persönlichen Entfaltungswünschen Rechnung zu tragen.

Daher vereinbaren wir:

  • Weiterentwicklung des Qualifikationsplans Wien 2030, der Zusammenarbeit aller Verantwortungsträger_innen auf Bundes- und auf Landesebene sowie der besonderen Rolle der Sozialpartner_innen mit der Koordinationsdrehscheibe waff.
  • Bekenntnis zur umfassenden Unterstützung von Wienerinnen und Wienern mit maximal Pflichtschulabschluss oder mit am Arbeitsmarkt nicht verwertbaren Qualifikationen beim Erwerb von formalen Bildungsabschlüssen.
  • Förderangebote und das Instrument des Qualifikationspasses für arbeitssuchende und berufstätige Personen weiterentwickeln.
  • Klares Bekenntnis zur Unterstützung von berufstätigen Wienerinnen und Wienern bei beruflichen Veränderungsprozessen. Weiterentwicklung des Angebotes an kostenloser Beratung und Begleitung bei beruflichen Veränderungsabsichten, finanzielle Förderung beruflicher Aus- und Weiterbildung sowie Sicherstellung von Information und Markttransparenz am Aus- und Weiterbildungsmarkt, insbesondere im Hinblick auf gleichstellungsorientierte Angebote für Frauen und Personen in Kurzarbeit.
  • Weiterentwicklung des Förder- und Beratungsangebotes des waff:
    • Erweiterung digitaler Kompetenzen (Digi Winner) in der Erwachsenenbildung, auch in Richtung Fernlernangebote.
    • Die Angebote des waff vor Ort in den Bezirken (z.B. in den Gemeindebauten) ausbauen.
    • Eine gezielte Informationskampagne soll die Instrumente der Bildungskarenz, Bildungsteilzeit und Fachkräftestipendien jenseits der bereits gut ausgebildeten Menschen bekannt und damit treffsicherer machen.

Neue Arbeitsformen begleiten und gestalten

Mit zunehmender Digitalisierung und Vernetzung steigt die Zahl der Menschen, die mobil arbeiten – unter anderem im Homeoffice. Das Potential dafür ist in Städten besonders groß. Die COVID-19-Pandemie und Maßnahmen des „Social Distancing“ im Arbeitsumfeld haben zu intensiven Phasen des Homeoffice geführt. Damit einhergehen große Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zudem die Tatsache, dass gerade im urbanen Bereich die Wohnräume oft nicht den Anforderungen eines Büroalltages gewachsen sind. Als Fortschrittskoalition wollen wir modernes Arbeiten wissenschaftlich begleiten und bestmöglich unterstützen.

Daher vereinbaren wir:

  • Alle notwendigen steuer-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Grundlagen in Abstimmung mit den Sozialpartnern rasch vom Bundesgesetzgeber zu schaffen, um die Chancen des mobilen Arbeitens zu nutzen, ohne die Risiken und Unsicherheiten für Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen zu erhöhen.
  • Es muss gewährleistet werden, dass die Entwicklung neuer Arbeitsformen insbesondere nicht zu Lasten der Frauen geht und bestehende geschlechtsspezifische Diskriminierungen nicht weiter verstärkt werden.
  • Das Glasfasernetz soll in allen Bezirken weiter ausgebaut und der 5G-Ausbau bestmöglich unterstützt werden. Wien soll außerdem mit gutem Beispiel vorangehen und alle städtischen Dienstleistungen nach Möglichkeit auch auf digitalen Plattformen anbieten.

Fachkräftebedarf der Wiener Wirtschaft sichern

Vor dem Hintergrund der jahrelangen positiven konjunkturellen wirtschaftlichen Entwicklung und veränderten gesellschaftlichen Strukturen hat sich der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften fortlaufend erhöht. Die Nachfrage nach Fachkräften war dabei nicht nur auf die private Wirtschaft beschränkt, sondern hat insbesondere den Gesundheits- und Pflegebereich, aber auch andere öffentliche Bereiche, wie die Kindergartenpädagogik betroffen. Alle Expert_innen gehen davon aus, dass nach der Bewältigung der Corona-Krise und der Erholung der Weltwirtschaft der Bedarf an Fachkräften wieder steigen wird. Eine gute Qualifizierung des Arbeitskräftepotentials bleibt nicht nur für die Standortpolitik ein wichtiger Faktor, sondern auch um langfristig die Arbeitslosigkeit in der Stadt zu senken.

Eine weitere wichtige Säule für die Sicherung des Fachkräftebedarfs der Wiener Wirtschaft stellt die Lehrausbildung dar. Allerdings war die Zahl der Lehrplätze in Wien über viele Jahre hinweg rückläufig. Diese Lehrstellenlücke wird auch zukünftig nur durch die „überbetriebliche Lehrausbildung“ (ÜBA) bis zu einem gewissen Grad geschlossen werden können. Denn mit dem Ausbruch der Corona-Krise sind viele betriebliche Lehrplätze weggebrochen, was die Lebenssituation vieler junger Wienerinnen und Wiener verschärft hat. Wir wollen die betriebliche und überbetriebliche Lehrausbildung unterstützen, um mit mehr Lehrstellen aus der Krise zu kommen.

Daher vereinbaren wir:

Einrichtung eines Fachkräftezentrums im Wiener Arbeitnehmer_innen Förderungsfonds waff

  • Wir wollen ein strategisches Arbeitsmarktinstrument schaffen – ein Fachkräftezentrum für Wien. Der Bogen wird dabei bewusst vom Fachkräftebedarf der Wirtschaft über den öffentlichen Dienst bis hin zur Sozialwirtschaft gespannt. Ebenso soll sich die Beobachtungsperspektive in der qualifikatorischen Dimension vom Bedarf an Hilfskräften bis hin zum Outcome des tertiären Bildungssystems erstrecken.
  • Sicherstellung aller notwendigen analytischen Grundlagen für die Beurteilung des zukünftigen Fachkräftebedarfs in Kooperation mit den wirtschafts-, arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Einrichtungen der Gemeinde Wien und des Bundes sowie in Kooperation mit Wirtschaftsforschungseinrichtungen. Die Analyseergebnisse sollen systematisch in strategische Handlungsoptionen verarbeitet werden und damit die Grundlage für die erforderlichen Interventionen schaffen.
  • Aufbau tragfähiger Kommunikationsstrukturen (Relationship-Management) und -prozesse zu den Branchen und Branchenbetrieben der Wiener Wirtschaft und den dort beschäftigten Arbeitnehmer_innen, um zusammen mit den Analyseergebnissen einen vertieften Praxisbezug sicherzustellen.
  • Entwicklung und Weiterentwicklung konkreter Unterstützungsangebote in Bezug auf den Fachkräftebedarf der Wirtschaft der beruflichen Entwicklungschancen für Wiener Arbeitnehmer_innen in Kooperation mit anderen relevanten Einrichtungen (insbesondere dem AMS) und relevanten Ausbildungseinrichtungen.
  • Im Zusammenhang mit der Einrichtung des Fachkräftezentrums des waff sollen die bereits bestehenden Instrumente zur Unterstützung von Unternehmen mit Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften evaluiert werden.
  • One-Stop-Shop/Informationsknotenpunkt für Unternehmen und Arbeitnehmer_innen rund um Qualifikationsfragen und Förderungen.

Fachkräftesicherung durch qualitative Lehrausbildung

  • Die Wiener Fortschrittskoalition setzt sich das Ziel, die Chancen für junge Wienerinnen und Wiener nach oder während der überbetrieblichen Lehre für den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Dafür soll das Übergangsmanagement der ÜBA in die betriebliche Lehre in Kooperation mit dem AMS evaluiert und weiterentwickelt werden. Ziel ist es, möglichst viele Jugendliche in qualitätsvolle gewerbliche Lehrausbildungsplätze zu bringen und den Anteil der Lehrabgänger_innen, die auch drei Jahre nach der ÜBA in Beschäftigung sind, um 20 % zu erhöhen.
  • Aufbau eines Netzwerks von Lehrausbildungsverbünden zum Ausbau der betrieblichen Lehrausbildung und zur Erhöhung des betrieblichen Lehrausbildungsangebotes mit dem Ziel, diese betriebliche Lehrausbildungsquote bis Ende der Regierungsperiode um 20 % zu erhöhen. Dazu soll auch die Schaffung neuer Lehrstellen von der Stadt Wien gefördert werden, sollte der Bund diese wichtige Unterstützung nicht leisten.
  • Bedarfsgerechter Ausbau der überbetrieblichen Lehrausbildung. Diese wird nach Maßgabe der Erfordernisse aus Mitteln der Stadt Wien ko-finanziert.
  • Unterstützung von jungen Frauen im Hinblick auf nichttraditionelle Lehrberufe, insbesondere neue Lehrberufe im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT).

Arbeitsstiftungen als Instrument der Fachkräftesicherung

Arbeitsstiftungen sind ein erprobtes Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wenn es um eine berufliche Veränderung mittels beruflicher Aus- und Weiterbildung geht, können sie vor allem jenen Menschen helfen, die einen grundlegenden beruflichen Neuanfang anstreben und dafür umfassende neue Qualifikationen erlangen wollen. Sie können sowohl als sogenannte „Outplacement-Stiftungen“ als auch als „Implacement-Stiftungen“ ausgestaltet werden.

Daher vereinbaren wir:

Weiterentwicklung und Ausbau von Arbeitsstiftungen

  • Sukzessive Erweiterung der Implacementstiftung „Jobs PLUS Ausbildung“, insbesondere auch im Sozial- und Pflegebereich.
  • Bedarfsgerechte Erweiterung der Insolvenzstiftung und der anderen Arbeitsstiftungsformen des waff.
  • Bedarfsgerechte Erweiterung der Zielgruppenstiftung für Jugendliche in Zukunftsberufen.
  • Entwicklung branchenspezifischer Problemlösungsangebote, insbesondere in den von der Corona-Krise stark betroffenen Branchen.

Niemanden zurücklassen

Die Verhinderung von Ausgrenzung am Arbeitsmarkt und die Integration von arbeitssuchenden Personen in das Beschäftigungssystem ist eine der wichtigsten Aufgaben der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die neue Stadtregierung tritt für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Kampf gegen die Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit ein, die teilweise auch auf strukturell erhärteten Vorurteilen beruht. Bei der Unterstützung junger Menschen bekennt sich die Stadtregierung dazu, dass alle Jugendlichen einen über den positiven Pflichtschulabschluss hinausgehenden Bildungsabschluss erwerben sollen. Da die Corona-Krise aber auch die Situation für ältere Arbeitnehmer_innen verschlechtert, besteht auch für diese Gruppe die Gefahr, dass eine dauerhafte Ausgrenzung von Erwerbsarbeit droht. Wir möchten in Wien ganz gezielt zusätzliche Unterstützungen anbieten und fordern auch vom Bund, die besonderen Bedürfnisse von jungen und älteren Menschen am Arbeitsmarkt stärker in den Fokus zu nehmen, um eine Verfestigung von Erwerbslosigkeit zu vermeiden.

Daher vereinbaren wir:

  • Weiterentwicklung der Wiener Ausbildungsgarantie für Jugendliche
  • Entwicklung eines zusätzlichen schulähnlichen Ausbildungsangebotes für Wiener Jugendliche als Brücke in das österreichische Schul- und Ausbildungssystem. Die-ses Angebot soll vorhandene Defizite ausgleichen und Übertritte in weiterführende Schulen und betriebliche Lehre unterstützen.
  • Die Joboffensive 50plus hat sich in der Praxis bewährt und soll weiterentwickelt, nach Bedarf redimensioniert und auch immer mehr privaten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. So werden Anreize zur Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer_ innen geschaffen.
  • Die Wiener Stadtregierung hat das gemeinsame Ziel, den sozialen Zusammenhalt in Österreich und Wien zu stärken. Deshalb werden wir ein Pilotprojekt im Zusammenhang mit „Social Impact Bonds“ als innovativen Ansatz und mögliche alternative Finanzierungsform implementieren, um auf die aktuellen Herausforderungen zu antworten. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluierung sollen wichtige Erkenntnisse über die Wirkmechanismen, das Potential und die Möglichkeiten zur Umsetzung eines Social Impact Bonds generiert werden. Dabei sollen auch praktische Beispiele und internationale Erfahrungen mit „SIB“ im Kontext der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einfließen.