1.5 Herausforderungen
Zweidrittel-Demokratie
Nirgends in Österreich leben so viele Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft und somit ohne Wahlrecht wie in Wien: Mehr als jede*r dritte Wiener*in darf nicht wählen. Bei den jungen Wiener*innen zwischen 16 und 25 Jahren sind dies sogar 4 von 10. Die politische Repräsentation ihrer Interessen ist nur unzureichend gegeben. Diese Tendenz zeigt sich auch in Beteiligungsprozessen zu ganz unterschiedlichen Themen. So nehmen Teile der Bevölkerung, darunter vor allem unterrepräsentierte und benachteiligte Gruppen wie beispielsweise Menschen mit niedrigem Einkommen, Frauen mit Betreuungspflichten, Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen sowie Personen mit Migrationsbiografie, seltener an Beteiligungsangeboten teil und sind schwer erreichbar. Doch sie haben eine Stimme und wollen gehört werden.
Ungleiche Chancen
Die politische Ungleichheit verstärkt sich noch zusätzlich je nach bestehendem Arbeitsverhältnis: So haben 60 % der Arbeiter*innen, 26 % der Angestellten und 6 % der öffentlichen Bediensteten kein Wahlrecht. Zudem verfügen nicht alle Wiener*innen über gleiche Ressourcen wie Geld, Zeit, Bildung oder Gesundheit, um mitwirken zu können. Besonders Wiener*innen im unteren Einkommensdrittel, mit niedrigen Bildungsabschlüssen und ohne österreichische Staatsbürgerschaft sind davon betroffen. Trotz der Bemühungen, Beteiligungsmöglichkeiten über Wahlen hinaus zu schaffen, sind die vorhin genannten Wiener*innen weniger zufrieden mit dem politischen System in Wien bzw. nehmen weniger teil. Dies zeigt die Studie „Mehr Zusammenbringen“ (Ehs/Zandonella 2024) aus 2024. Daher gilt es vor allem zielgruppenorientierte und inklusive Formate zu schaffen.
Gesellschaftliche Spaltung
Für die demokratische Zukunft der Stadt Wien und die dauerhafte Sicherung eines friedlichen Zusammenlebens ist es erforderlich mit den Wiener*innen und mit einer möglichst großen Öffentlichkeit in Austausch zu treten und Themen gemeinsam auszuverhandeln. Strittige Themen wie der Umgang mit Krisen und der Verlust von Vertrauen in die Politik führen zu gegensätzlichen Meinungen. Es gilt, gesellschaftliche Teilhabe zu relevanten Zukunftsfragen der Stadt zu ermöglichen und zu gestalten, um gesellschaftlicher Spaltung entgegenzuwirken.
Klimakrise
Wien wird bis 2040 klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, sind nicht nur technische Innovationen notwendig, sondern auch das aktive Engagement der Wiener*innen. Es geht darum, zusammen Lösungen zu entwickeln und so einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Von der Klimakrise stark betroffene Menschen sollen besonders unterstützt und angesprochen werden. Zum Beispiel ältere Menschen, junge Menschen mit Zukunftssorgen, zugewanderte Menschen ohne politische Mitwirkungsmöglichkeit, armutsbetroffene und ausgrenzungsgefährdete Menschen mit wenig formaler Teilhabe und besonders Frauen, die strukturell anders vom Klimawandel betroffen sind.
Digitalisierung
Die Polarisierung der Gesellschaft durch Fake News, die Radikalisierung bei Social Media, die Manipulation der Meinungsbildung durch missbräuchliche Nutzung künstlicher Intelligenz oder die unterschiedlichen Wissensstände und Kompetenzen („digital divide“) erfordern eine starke demokratische Gesellschaft. Die Stadt Wien setzt auf eine menschenorientierte Digitalisierung – ganz im Sinne des Digitalen Humanismus. Deshalb setzt sie sich dafür ein, digitale Beteiligungsmöglichkeiten auszubauen und zur Verfügung zu stellen. Verschiedene Tools, künstliche Intelligenz und Open Data, das heißt frei zur Verfügung stehende Daten, sollen dabei helfen, digitale Dialoge zu führen, die demokratische Meinungsbildung und Austausch fördern.
Beteiligungskultur
Um diesen Herausforderungen in der Demokratie angemessen begegnen zu können, braucht es neue Wege der Zusammenarbeit verschiedener Organisationen und Menschen in Wien. Dazu gehören insbesondere Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft als wichtige gesellschaftliche Bereiche, in denen Beteiligung am stärksten eine nachhaltige Wirkung entfalten kann. Die Stadt Wien wirkt aber auch darüber hinaus, indem sie Diskussionen zu den Themen Demokratie und Beteiligung auf nationaler und europäischer Ebene anstößt und die Zusammenarbeit mit (neuen) Netzwerken intensiviert.