2.4 Wiener Demokratie in einem größeren Kontext
Die Wiener Demokratie orientiert sich an internationalen und nationalen Zielen im Bereich Demokratie. Als Teil der Europäischen Union (EU) und der föderalen Struktur Österreichs gilt das EU-Recht und die österreichische Bundesverfassung. Wien gestaltet Politik in der EU und in Österreich aktiv mit.
Wichtige internationale Bezüge
Zu den zentralen universellen Rechtsvorgaben und übergeordneten Agenden, die in Wien im Bereich Demokratie & Beteiligung ihre Wirkung entfalten, gehören:
Die Menschenrechte sind grundlegende Rechte, die jeder Person allein aufgrund ihres Menschseins zustehen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Nationalität, Sprache, Religion oder anderen Status. Zu den von der UN-Generalversammlung in 1948 erklärten Menschenrechten zählen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Die seit 1950 bestehende Europäische Menschenrechtskonvention schützt diese Rechte in Europa.
Die UN-Kinderrechtskonvention sichert seit 1989 speziell die Rechte der Kinder: beispielsweise auf Förderung ihrer Entwicklung, Anerkennung ihrer Interessen und Vorstellungen, altersgerechte Mitsprache und Mitgestaltung bei allen gesellschaftspolitischen Themen, Respekt und Schutz vor allen Formen von Gewalt und Missbrauch. Österreich hat die Kinderrechte 1992 ratifiziert, das heißt völkerrechtlich verbindlich bestätigt. Einzelne Kinderrechte sind außerdem seit 2011 im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte des Kindes verankert.
Die UN-Frauenrechtskonvention ist die Kurzform für das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979. Österreich hat es 1982 ratifiziert. Es ist das wichtigste völkerrechtliche Menschenrechtsinstrument für Frauen: Es zielt auf die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen in sämtlichen Lebensbereichen ab, unter anderem im politischen und öffentlichen Leben.
Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit ihren globalen Zielen, den sogenannten „Sustainable Development Goals“ (SDGs), ist ein weiterer Referenzpunkt. Das Entwicklungsziel „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ ist für den Bereich Demokratie besonders wichtig, da es um die Förderung friedlicher und inklusiver demokratischer Gesellschaften geht.
Mit der Wiener Demokratie-Strategie wird das langjährige Engagement der Stadt Wien für Menschenrechte, Demokratie und den Kampf gegen jegliche Form von Diskriminierung, das heißt einer Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund von beispielsweise ethnischen, religiösen, geschlechtlichen oder sozialen Merkmalen, sowie die Umsetzung der SDGs auf lokaler Ebene fortgesetzt.
Europäische Union in Bewegung
Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Gewaltenteilung bilden das Rückgrat der Europäischen Union (EU) – einem Zusammenschluss demokratischer Nationalstaaten in Europa. Um die demokratischen Grundlagen der EU aufgrund des zunehmenden Drucks durch illiberale Strömungen zu festigen und auf Herausforderungen wie Populismus, Nationalismus und Desinformation zu reagieren, verfolgt sie einen umfassenden Ansatz.
Mit Richtlinien, Strategien und Maßnahmen stärkt die EU demokratische Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit und Vielfalt in ihren Mitgliedsstaaten. Sie sorgt bei Bedarf auch dafür, dass diese eingehalten und umgesetzt werden. Zu den wichtigsten zählen:
EU-Vertragsverletzungsverfahren: Die Europäische Kommission leitet rechtliche Schritte gegen ein Mitgliedsland ein, wenn es geltendes EU-Recht nicht korrekt umsetzt oder verletzt.
Wahlrecht für EU-Bürger*innen: Das Wahlrecht auf kommunaler Ebene für EU-Bürger*innen ist Teil der politischen Beteiligung in der EU. Sie haben das Recht, an Kommunalwahlen in dem EU-Mitgliedstaat teilzunehmen, in dem sie ihren Wohnsitz haben – auch wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen. In Wien dürfen sie bei Bezirksvertretungswahlen mitwählen.
Europäische Bürger*inneninitiative: Durch diese Initiative können EU-Bürger*innen die EU-Politik mitgestalten, indem sie die Europäische Kommission auffordern, Gesetzesvorschläge zu bestimmten Themen zu machen.
Aktionsplan für Demokratie in Europa: Den Aktionsplan gibt es seit 2020. Er umfasst Maßnahmen, um Desinformation zu bekämpfen, die Medienfreiheit zu fördern und freie Wahlen in der EU zu unterstützen. Das Bürger*innen-Engagement wird als ein wichtiges Mittel angesehen, um Demokratien stärker zu machen.
Paket zur Verteidigung der Demokratie: Das seit 2023 bestehende Paket ergänzt den Aktionsplan mit dem Ziel, demokratische Institutionen, Werte und Prozesse in der EU zu stärken. Konkrete Maßnahmen und Richtlinien sollen erleichtern, gegen politische Korruption vorzugehen, die Integrität von Wahlen zu sichern und die Unabhängigkeit der Medien zu gewährleisten.
Auch andere Maßnahmen der EU tragen zu einem verbesserten Wissen über aktuelle demokratiepolitische Herausforderungen (z.B. Eurobarometer "The State of Democracy"), über erfolgreiche Beteiligungsansätze in Europa (z.B. Kompetenzzentrum für partizipative und deliberative Demokratie) und zu politischer Bildung sowie Mitbestimmung (z.B. EU-Programme Erasmus+, Europäisches Solidaritätskorps und EU-Jugenddialog) bei. All dies sind bedeutende Aktivitäten, die direkten Einfluss auf die Entstehung der Wiener Demokratie-Strategie hatten.
Stand der Dinge in Österreich
Die wiedererrichtete (Zweite) Republik Österreich wurde 1945 erneut zu einer parlamentarischen Demokratie. Das heißt, dass alle österreichischen Staatsbürger*innen ihre politischen Vertretungen wählen. Als repräsentative Demokratie wird in Österreich in der Regel nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Das bedeutet politische Parteien erhalten entsprechend dem Wahlergebnis eine entsprechende Anzahl an Mandaten. In Österreich gibt es folgende Wahlen regelmäßig:
für das Amt des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin alle sechs Jahre
für den Nationalrat alle fünf Jahre
für Landtage und Gemeinderäte, u.a. für den Wiener Landtag und Gemeinderat alle fünf Jahre
sowie für das EU-Parlament alle fünf Jahre.
Das Wahlrecht ist grundsätzlich an die österreichische Staatsbürgerschaft geknüpft. Bereits 2007 wurde das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt, Österreich wurde damit Vorbild für viele andere Staaten. Bürger*innen anderer EU-Mitgliedsstaaten sind bei der Europawahl und bei Gemeinderatswahlen (in Wien bei Bezirksvertretungswahlen) wahlberechtigt, das trifft aber nicht auf die Landes- und Bundesebene zu.
Das Land Wien hatte bereits 2003 versucht, ein Wahlrecht auch für Drittstaatsangehörige auf Bezirksebene einzuführen. Da die Regelung mit dem Bundesverfassungsrecht unvereinbar war, wurde sie 2004 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Eine Änderung des Wahlrechts für EU-Bürger*innen oder Drittstaatangehörige auf Landes- und Gemeindeebene ist somit nur möglich, wenn vorab eine Verfassungsänderung auf Bundesebene erfolgt. Mit Blick auf die Demokratie-Strategie setzt sich die Stadt Wien künftig für einen einfacheren Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft und somit zum Wahlrecht ein.
Darüber hinaus gibt es in Österreich noch weitere Möglichkeiten der Mitbestimmung:
Volksabstimmung: Alle wahlberechtigten Bürger*innen werden über einen Gesetzesbeschluss oder über eine Teil- bzw. Gesamtänderung der Bundesverfassung befragt. Das Ergebnis ist bindend.
Volksbefragung: Die Meinung der Bürger*innen zu einem bestimmten Gesetzesvorhaben wird abgefragt. Das Ergebnis ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage, ist aber nicht bindend.
Volksbegehren: Bürger*innen können Unterschriften sammeln, um selbst ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Wenn mehr als 100.000 Menschen unterschreiben, muss sich der Nationalrat damit befassen und es prüfen.
Parlamentarische Bürgerinitiative: Damit können konkrete Anliegen in den Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen des Nationalrats eingebracht werden. Dafür sind mindestens 500 Unterschriften von wahlberechtigten Bürger*innen notwendig.
Begutachtungsverfahren: Bürger*innen und Organisationen können im parlamentarischen Begutachtungsprozess Stellungnahmen abgeben. Vor dem Einbringen in den Nationalrat können sie auch Stellungnahmen zu Ministerialentwürfen, also Gesetzesentwürfe von Minister*innen, einbringen.
2008 wurden die Standards für eine verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Bundesebene beschlossen. Diese sollen die Transparenz, Akzeptanz und Qualität von Entscheidungen in der Bundesverwaltung verbessern. Die Standards sind Vorbild für die Entwicklung der Wiener Demokratie-Strategie, die die Möglichkeiten für Mitgestaltung und -bestimmung an der Wiener Demokratie qualitativ ausbauen wird.
In der Wiener Stadtverfassung sind – analog zur Bundesebene – direktdemokratische Instrumente wie Volksbefragung, Volksabstimmung und Volksbegehren verankert, die den Bürger*innen Mitbestimmung auf Landes- und Gemeindeebene ermöglichen. Darüber hinaus bestehen weitere gesetzlich verankerte Beteiligungsrechte wie das Petitionsrecht, Bürgerversammlungen und die Sprechstunde der Bezirksvorstehung, die den direkten Dialog zwischen Bevölkerung und Verwaltung fördern.