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Landtag, 6. Sitzung vom 13.09.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 23 von 34

 

heute auch wieder vor dem Rathaus demonstriert haben, wie es sein kann, dass es das Land Wien und StR Wiederkehr mit seiner Reform der Vergabe der LehrerInnenstellen geschafft haben, dass es jetzt trotzdem 45 Prozent der Schulen gibt, die Verlierer und Verliererinnen sind.

 

Die Kürzungen kamen zwei Wochen vor Schulschluss für alle Schulen total überraschend, und weil Kollegin Bakos gerade gesagt hat, dass das eine große Reform ist: Das war keine Reform, das war ein Überfall, und genauso hat es sich auch angefühlt. Vielleicht machen wir es auch ein bisschen weniger abstrakt. Ich würde Ihnen nämlich gerne die Geschichte von einer Volksschule erzählen, die Geschichte von einer Volksschule in Ottakring.

 

Es ist die klassische Volksschule ums Eck, und zwar die eine, die nicht den besten Ruf besitzt, die eine Volksschule, die nicht die beliebteste Schule im Bezirk ist, nämlich bei vielen Menschen ohne Migrationshintergrund. Warum? Weil der Migrationsanteil in dieser Schule bei 95 Prozent liegt und diese 95 Prozent haben sehr wenig damit zu tun, wer dort lebt, das repräsentiert überhaupt nicht die Wohnbevölkerung, die dort wohnt.

 

Der schlechte Ruf und die mangelnde repräsentative Balance in dieser Volksschule kommen auch nicht daher, dass diese Schule in irgendeiner Art und Weise schlechter ist. Spätestens dann - ich weiß es, weil ich täglich in diese Volksschule gehe -, wenn man diese Schule betritt, beginnt man nämlich zu staunen: Über die extrem engagierte Stimmung, die in dieser Schule vorherrscht, über die offenen Türen und Worte der Lehrerinnen und Lehrer, über die extrem enthusiastische und sehr humorvolle Direktorin, die jeden Tag in dieser Schule stehen, und die jeden Tag alles geben für Kinder mit unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Startchancen und für Kinder, die daheim oft wenig oder gar keinen Platz zum Lernen haben, also für Kinder, die in unserem Bildungssystem benachteiligt werden.

 

Diese Direktorin sagt, das Einzige, was in meiner, in unserer Schule niemals passieren darf, ist, dass auch nur ein einziges Kind etwas Bestimmtes lernen will und nicht kann. LehrerInnen, die mit so einer Haltung unterrichten, die unternehmen alles, um die Kinder abzuholen, um alle Kinder einzubinden, um alle Kinder in ihrer Neugier zu bestärken. LehrerInnen, die mit so einer Haltung unterrichten, wissen, dass ihre Arbeit nicht nach der Schulstunde endet. Sie wissen, dass jedes Gespräch mit den Kindern, jedes Gespräch mit den Eltern, jede kleine Intervention gerade bei Kindern mit Bildungsbenachteiligung einen wesentlichen Unterschied macht.

 

Sie kämpfen jeden Tag. Sie kämpfen jeden Tag um diesen Unterschied, weil wir leider immer noch nicht so weit sind, dass wir insgesamt ein gerechtes, gesamtes und inklusives Bildungssystem haben. Genau für diese LehrerInnen, die jeden Tag in dieser Schule stehen, ist diese Reform ein Schlag ins Gesicht gewesen. Genau diese LehrerInnen waren zwei Wochen vor Schulschluss völlig vor den Kopf gestoßen, völlig verunsichert, und wie viele Kolleginnen und Kollegen haben sie dagegen auch lautstark protestiert.

 

Was ist danach passiert? In einer Ho-Ruck-Aktion wurden Zusatz- und Übergangsstunden als Ausgleich für die Kürzungen verteilt. Wie aber wurden diese vergeben? Liebe KollegInnen von den NEOS, Sie haben von einer transparenten und fairen Reform gesprochen, Sie haben auch von Mut gesprochen. Was aber ist geblieben? Geblieben ist in Wirklichkeit, dass ein willkürliches Vergabesystem durch ein anderes willkürliches Vergabesystem ersetzt wurde, ein intransparentes und unfaires Vergabesystem, von dem wir nicht wissen, wie es in Wirklichkeit funktioniert. Nichts daran ist transparent, nichts daran ist fair und es ist auch nicht mutig.

 

Geblieben ist also, das hat meine Kollegin Julia Malle schon gesagt, ein Minuschancenindex statt eines echten großen Wurfes in Wien. Geblieben ist vor allem eines: Geblieben sind Verliererinnen und Verlierer. 45 Prozent der Wiener Volksschulen - da vertraue ich unseren Mathematiklehrern, auch wenn Sie diese Zahlen immer wieder in Zweifel ziehen - haben im neuen System verloren.

 

Die Schule, von der ich Ihnen gerade erzählt habe, eine sogenannte Brennpunktschule, eine Volksschule für benachteiligte Kinder, gehört zu diesen Verliererschulen und wurde jetzt durch insgesamt zwölf Übergangsstunden notdürftig versorgt, zwölf Übergangsstunden, von denen aber niemand weiß, ob es sie im nächsten Jahr überhaupt noch geben wird.

 

Ein weiterer Punkt, der auch schon angeklungen ist: Wenn man argumentieren könnte, dass quasi alle Brennpunktschulen, alle Schulen mit Kindern mit Benachteiligungen profitiert haben, aber wenn man sich das genauer anschaut - Kollegin Emmerling, Sie können jetzt noch einmal eine Berichtigung machen -, die Liste, die wir kennen, und die Liste, wo unsere Zahlen berechnet wurden, zeigen, dass gerade im Bereich der Volksschulen besonders die Privatschulen profitiert haben. 70 Prozent der Privatschulen im Volksschulbereich haben profitiert, auch das ist leider eine Tatsache.

 

Zum Abschluss: Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr hat seine Ho-Ruck-Reform vor dem Sommer mit dem Abreißen eines Pflasters verglichen. Ein kurzer Schmerz also, der dann vorübergeht. Glauben Sie mir, im Moment bin ich eine Expertin, was das Thema Pflaster betrifft, und eines weiß ich ganz sicher: Wenn man versucht, ein abgerissenes Pflaster wieder anzukleben, dann hält es nicht mehr.

 

So ergeht es gerade dem Wiener Bildungsversprechen. Es hält nicht, weil eine wirkliche Bildungsreform niemals zulässt, dass es Verlierer und Verliererinnen gibt, niemals zulassen darf, dass alle BildungsexpertInnen bei so einer Reform nicht einmal in einen Dialog eingebunden sind, niemals zulassen darf, dass ein willkürliches System durch ein anderes willkürliches System ersetzt wird und auch niemals zulassen darf, dass wir uns mit einem Mini- und Minuschancenindex begnügen, wenn es in Wirklichkeit um die Bildungszukunft unserer Wiener Kinder geht. Vielen Dank.

 

Präsident Ing. Christian Meidlinger: Danke schön. Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abg. Hanke. Ich erteile ihr das Wort.

 

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