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Landtag, 21. Sitzung vom 23.11.2017, Wörtliches Protokoll  -  Seite 39 von 99

 

freiheit auf unserem gemeinsamen Kontinent! (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Es ist heute mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es Spannungen zwischen den Nationalstaaten der Europäischen Union gibt. Der Vorschlag, der auftaucht, ist, dass man insbesondere im Bereich der Kohäsionszahlungen Sanktionen einführt. Das heißt also, wenn eine Nationalregierung nicht so tut, wie sie sollte, muss man sie bestrafen. Das hat was, weil eine Regelung ohne Sanktion ja eine Lex imperfecta ist. Aber beachten Sie auch die Probleme marktökonomischer Konditionalitäten. Was kann die Region Krakau dafür, dass die polnische Nationalregierung nicht so tut, wie die Kommission will? Wir müssen darauf achten, dass, wenn es Sanktionen oder Bestrafungen gibt, es nicht die Gemeinden und Regionen trifft, die ja keinen Einfluss auf die Politik ihrer nationalen Regierung haben. Der einfache Weg, herzugehen und zu sagen, der Staat tut sowieso nichts, wir müssen ihn strafen, kann oft die Folge haben, dass Gebietskörperschaften, Städte und Regionen darunter leiden, und da würde ich schon sehr bitten, dass Sie das vermeiden. Achten Sie auf die Regionen und Gemeinden Europas! Sie sind die Träger der europäischen Identität.

 

Heute schon gesagt worden: Wichtige Punkte für die Stadt Wien und ihre Europapolitik, und auch das ist eine Bitte an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, ist der Schutz der Daseinsvorsorge. Für uns ist es wichtig, dass wir, und das ist auch eine Frage der Subsidiarität, unsere Daseinsvorsorge so gestalten und darüber bestimmen können, wie wir das für richtig halten, und uns nicht von oben Vorgaben in diese Richtung gegeben werden. Ich bin sehr für den Schutz der Daseinsvorsorge, und ich weiß, da bin ich mit dem Herrn Bürgermeister eines Geistes. Gehen Sie nicht her und zentralisieren Sie in dieser Frage die Subsidiarität, sondern wehren Sie Angriffe der Europäischen Kommission auf die Rechte, die wir als Gebietskörperschaften haben, ab, und seien Sie mit uns gemeinsam! Arbeiten Sie mit uns zusammen für ein Europa der Basis, wo dort zentral geregelt wird, wo zentral geregelt werden muss, aber wo dort subsidiär vor Ort entschieden werden kann, wo das besser ist. Das ist das Wesen des Subsidiaritätsprinzips. Beispielhalber die Frage, wie wir in Wien die Straßenbahn organisieren, ist und soll auch so bleiben, ein Wiener Problem. Wir haben eine Vorstellung, wie das im Nahverkehr bei uns funktioniert. Das soll so bleiben und soll auch nicht von woanders aufgedrückt werden. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Das gilt in dem Zusammenhang übrigens auch für die Frage der Finanzierung der Gemeinden, weil die Kriterien des Vertrags von Maastricht natürlich sehr einengend sind. Wenn ich heute miterlebe, dass, wenn wir in Wien eine nachhaltige Investition zum Beispiel in einem Bildungscampus machen, wir das nicht über die Europäische Investitionsbank finanzieren dürfen, sondern es wie bei einem PPP-Modell auf dem freien Markt machen müssen, dann bedeutet diese Einschränkung für uns, und das näht sich ja keiner ein, die Schuld gibt es ja nachher, dass wir etwa 13 Prozent mehr dafür bezahlen müssen. Und das zahlen die Bürgerinnen und Bürger unserer Region und unserer Stadt! In dem Fall brauchen wir mehr Freiheiten, meine Damen und Herren! Auch das ist eine Aufgabe des Europäischen Parlaments, uns hier zu helfen. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Es bleibt einem nicht erspart, auch über die Migrationsproblematik zu reden, und zwar nicht deshalb, weil man nicht darüber reden soll, das ist ein wichtiges Thema. Nur die Art und Weise, wie sie halt schon abgehandelt worden ist, war garstig. Es gibt ein Problem von Migration global und auch in Europa, mit dem wir uns gemeinsam auf europäischer Ebene auseinandersetzen müssen. Das wird nicht so funktionieren, dass jeder in diesen Kontinent einwandern kann. Das geht nicht. Es wird auch nicht so sein, dass sich jeder aussuchen kann, wie und wo er hingeht, außer wenn er eingeladen wird oder wenn er eine Arbeitsmigration hat, die ihm gestattet worden ist. Aber es kann auch nicht so sein, und darauf würde ich auch achten, mit der Problematik marktökonomischer Konditionalität, dass manche Länder auf diesem Kontinent eine Last schultern und andere sich aus der Solidargemeinschaft entfernen. Das kann nicht sein, und ich weiß, wie schwierig das ist. Wir haben das Problem ja auch in der Diskussion des Ausschusses. Aber das muss man im Europäischen Parlament diskutieren.

 

Es ist ein Europa, meine Damen und Herren, und nicht zwei oder drei, oder es werden zwei oder drei Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten werden und das ist mit Sicherheit nicht im Interesse der Bürger, der Staaten der zweiten und dritten Geschwindigkeit, sondern wir brauchen ein gemeinsames Europa, das sich entwickelt. Das ist gut für uns alle, auch für die Stadt Wien, darum lege ich Ihnen das jetzt in dieser Aussprache ans Herz.

 

Ich glaube, man muss den Kontinent beziehungsweise in dem Fall die politische Formation des Kontinentes positiv sehen. Die Europäische Union ist eine wesentliche Errungenschaft, man kann es nicht oft genug sagen, eine Lehre aus den Ergebnissen, die zum Zweiten Weltkrieg geführt haben. Die Europäische Union ist ein Erfolgsmodell und - das möchte ich auch ganz, ganz deutlich sagen - eine demokratiepolitische Errungenschaft in Form des Europäischen Parlaments, das es weiter zu stärken gilt. Lassen wir uns das nicht schlechtreden. Das ist Demokratie, das unterscheidet uns wesentlich von allen anderen Kontinenten auf diesem Planeten. Das haben wir geschaffen, darauf sollten wir stolz sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Abschließend: Ich bin ein ganz, ganz stolzer Wiener und freue mich, dass wir demnächst 2 Millionen Menschen sein werden. Ich weise Sie aber darauf hin, dass im Jahr 1900 25 Prozent der Weltbevölkerung Europäerinnen und Europäer waren mit 50 Prozent der Weltwertschöpfung. Momentan liegen wir bei annähernd 14 Prozent der Bevölkerung dieses Planeten und 25 Prozent der Weltwertschöpfung. Am Ende des Jahrhunderts werden in Europa 4 Prozent der Weltbevölkerung leben, und wir wissen nicht, wie hoch unser Anteil in der Weltwertschöpfung sein wird, aber nicht 25 Prozent, das wissen wir schon. Das heißt, wir müssen uns im Wett

 

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