«  1  »

 

Landtag, 9. Sitzung vom 30.09.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 72 von 89

 

schon freut, wenn die Mindestsicherung eingeführt wird, denn, Zitat: „Sie ist keine Hängematte für Arbeitsunwillige, sondern ein Sprungbrett.“ - Das hat er in der Zeitung „Die Presse“ vom 17. Juni 2010 gesagt.

 

Auch wenn Sie mich jetzt ignorieren (Amtsf. StRin Mag. Sonja Wehsely unterhält sich mit Amtsf. StRin Sandra Frauenberger.), ich sage es Ihnen trotzdem: Schon damals haben ÖVP-Verantwortliche und Experten davor gewarnt, was passiert, wenn man sie nicht korrekt vollzieht. Im selben Artikel hat nämlich das IHS die Umverteilungsfunktion der gesetzlichen Regelung in Österreich inklusive der BMS untersucht, und das Fazit war: „Das System funktioniert, reduziert aber Arbeitsanreize deutlich. Damit die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zum Sprungbrett werde, müsse man ihr erst auf die Sprünge helfen. Kurzfristig heißt das - die wenig sympathische Lösung -: mehr Druck auf Drückeberger.“

 

Bitte, das war 2010. Wie schaut die Gegenwart aus? Leider Gottes haben sich diese Befürchtungen bewahrheitet, sowohl, was die der Experten betrifft, als auch unsere eigenen, und die Mindestsicherung ist von einer guten Idee, von einer guten Absicht zu einem Arbeitslosengrundeinkommen verkommen, und zwar vor allem in Wien. Vom Sprungbrett zur Hängematte, und das ist keine Polemik, das sind reine Fakten. (Beifall bei der ÖVP und von StRin Ursula Schweiger-Stenzel.)

 

Wir alle kennen das Beispiel, in dem eine Flüchtlingsfamilie von Salzburg nach Wien gegangen ist, weil sie da über Sozialleistungen mehr bekommt als dort fürs Arbeiten. Das ist durch alle Zeitungen gegangen. Es war nicht einmal von der ÖVP aufgedeckt, das muss ich zugeben. 77 Prozent der sogenannten Ergänzungsleistungen sind Mindestsicherungserwerbsbezieher, allerdings nur 22 Prozent auf Erwerbseinkommen, der Rest auf Transferleistungen. Was die Bezugsdauer betrifft, und das ist ja wohl der relevanteste Punkt, wenn es darum geht, ob es zu einem Arbeitslosengrundeinkommen verkommen ist oder nicht, so ist diese in Wien deutlich länger als in allen anderen Bundesländern miteinander, denn 50 Prozent, ein extrem hoher Anteil, beziehen die Mindestsicherung 20 Monate und mehr. Mich würde interessieren, wie lange der längste Bezug ist, denn die Statistik Austria gibt an, nur 20 Monate zu untersuchen, und das ist das eigentliche Problem.

 

Ich behaupte, dass dieser Zustand durch Rot-Grün vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Ich kann Ihnen auch sagen, worauf ich diese Annahme gründe: In dieser Gemeinderatssitzung von 2010, die ich vorhin zitiert habe, hat es auch eine Abstimmung zur BMS gegeben. In der ersten Lesung waren SPÖ, ÖVP und FPÖ dafür, und die Grünen waren dagegen. In zweiter Lesung waren nur noch SPÖ und ÖVP dafür und FPÖ und GrünE dagegen. Die heutige Frau Vizebürgermeisterin hat damals Folgendes gesagt - und das offenbart die Grundmotivation, warum das offenbar so geworden ist - Zitat: „Aber leider, die Höhe, in der diese Mindestsicherung ausgeschüttet werden soll, ist eine, die alles andere als ausreicht.“ Ich gehe auch davon aus, dass Sie alle, die Sie sich in den letzten Jahren mit dieser Materie befasst haben, wissen, dass laut aktuellen Zahlen 951 EUR 12 Mal im Jahr der Betrag wäre, den es brauchen würde. Herzliche Gratulation an die Damen und Herren von der Grünen Fraktion, Sie haben Ihr Ziel erreicht, die Mindestsicherung ist zum Arbeitslosengrundeinkommen verkommen! (Beifall bei der ÖVP.) 

 

Die SPÖ - und da frage ich mich schon, was da mit den Zitaten, auch von Ihnen, Frau Stadträtin, war - hat sich entweder zu 100 Prozent über den Tisch ziehen lassen oder hat einfach freudig mitgemacht. Und das ist eine Schande für eine ehemalige Arbeiterpartei, das muss man hier auch konstatieren. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Ganz ehrlich, wie wollen Sie das fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Wien erklären, die jeden Tag aufstehen, hart arbeiten und am Ende des Monats kaum mehr haben als Leute, die nichts tun? Das ist nicht gerecht, um es mit ihren Worten zu sagen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

 

Und wenn Sie uns vorgeworfen haben, dass wir mit dem Aufzeigen von Problemen die Gesellschaft spalten wollen würden, dann sage ich Ihnen: Sie spalten die Gesellschaft! Die Art und Weise, wie in Wien die Mindestsicherung vergeben wird, führt zu einer Entsolidarisierung der Steuerzahler mit den Transferleistungsbeziehern, das ruiniert den Sozialstaat. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Ich bin ja fast dankbar für den Vorwurf, dass das, was wir tun, einer christlich-sozialen Partei nicht würdig wäre. Ich habe mich lange mit diesem Begriff der christlichen Soziallehre befasst, auch in meiner Diplomarbeit (Amtsf. StRin Mag. Sonja Wehsely: Ich bin sehr stolz auf Sie!), und der Ursprung des Ganzen ist in der christlichen, in der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts zu sehen. (Abg. Mag. Rüdiger Maresch: Das glaubt aber keiner!) Ja, ich erkläre es Ihnen gerade. Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts war eine Situation, in der es zur Verelendung der Massen kam, die so groß war, dass sie gedroht hat, die Gesellschaft zu spalten auf Grund der Tatsache, dass viele mehr gearbeitet haben, als sie konnten, und weniger dafür bekommen haben, als sie brauchten. Und die betroffene Gruppe hat sich nicht selbst aus diesem Dilemma befreien können. Deswegen bedarf es christlich-sozialer Politiker, um dieses Problem zu lösen. Das ist gelöst worden durch Arbeitszeitgesetze, Transferleistungen, Sozialgesetze, et cetera, Gott sei Dank. Wenn wir uns heute die Frage stellen, was die soziale Frage unserer Zeit ist, dann frage ich: Haben wir zu wenige Arbeitszeitgesetze? Haben wir wirklich zu wenige Transferleistungen? (Zwischenruf von Abg. Mag. Rüdiger Maresch.) Ich sage es Ihnen: Die soziale Frage unserer Zeit ist die Ausbeutung des Mittelstandes, das ist das wahre Problem unserer Zeit, denn diese droht die Gesellschaft zu spalten, und nichts anderes. (Beifall bei der ÖVP. - Zwischenrufe bei den GRÜNEN.)

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein. In Wien ist das leider der Fall, deswegen sage ich: Retten wir den Sozialstaat und reformieren wir die Mindestsicherung! (Beifall bei der ÖVP.)

 

Präsident Prof. Harry Kopietz: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abg. Mag. Meinl-Reisinger. - Bitte, Frau Abgeordnete.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular