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Landtag, 39. Sitzung vom 01.06.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 9 von 19

 

hindern, auf verschiedensten Ebenen Strukturen zu schaffen. Es braucht soziale Mindeststandards in Europa. Wir haben ein Ost-West-Lohngefälle. Rumänien hat 3,5 Millionen Arbeitsplätze abgeschafft in den letzten Jahren. Das sind Fakten. Wir machen gute Geschäfte im Osten und wundern uns dann, dass ein Teil der Menschen zu uns kommt und sich ein Stück dessen wieder zurückholt. Ja, das ist auch ein Faktum. Wir können jetzt hergehen und sagen, okay, es gibt auch … (Zwischenruf von Abg Mag Wolfgang Jung.) Warum die Aufregung? Ihre Großmutter bringen Sie jetzt in das Spiel? Ihre Mutter?

 

Wissen Sie, was meine Erfahrung ist? Wenn ich mit Angestellten rede, dann sagen die, wenn BettlerInnen vor ihren Geschäften sind, sie verstehen die Diskussion nicht in „Heute“, „Österreich“, „Kronen Zeitung“ und Boulevard. Das sind Menschen, denen geht es schlechter als uns. Wem tun sie etwas? Wenn man etwas geben will, gibt man, und wenn nicht, nicht. Es gibt diese Menschen. Und ich bin davon überzeugt, im Grunde sind die Menschen, wenn man ihnen zuhört, viel weiter als die Politik und die politisch Verantwortlichen selber. Das ist ein Faktum.

 

Ich glaube nicht, dass man hergehen und sagen kann, dass Betteln oder Armut etwas Angenehmes ist. Das wird man niemandem einreden können. Es ist nicht angenehm, der Anblick ist nichts Angenehmes. Aber dann stellen Sie von der ÖVP sich hierher und sagen den Leuten die Wahrheit, was Sie gern hätten. Sie stellen nämlich Menschen- und Grundrechte in Frage, wenn Sie sagen, in aller Freundschaft, Rumänien, Bulgarien, gehört das überhaupt zur EU? (Abg Mag Wolfgang Jung: Sagen Sie uns, wie viele wir aufnehmen sollen!) Sie stellen Menschen- und Grundrechte in Frage, nämlich für die, die eine Unterstützung brauchen, obwohl auch die Europäische Menschenrechtskonvention das Betteln vorsieht. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Dann stellen Sie sich her und sagen Sie, es schadet der Wirtschaft in den Einkaufsstraßen, bei den ganzen Märkten. Wir wollen den Anblick von armen Menschen nicht. Dann kennen wir uns aus. Dann wissen wir auch, warum Sie sich immer gegenseitig bestärken mit der FPÖ, wo Sie sich dann immer wieder einig sind. Aber dann haben Sie wenigstens den Mumm, das auch auszusprechen. (Abg Mag Wolfgang Jung: Haben Sie den Mut, uns zu sagen, wie viele wir aufnehmen sollen! Sagen Sie uns das!)

 

Schauen Sie, das ist ein gutes Stichwort, Herr Abg Jung. Beim Thema Menschenhandel operieren Sie von der FPÖ mit Zahlen und Fakten, die es nicht gibt. (Abg Mag Wolfgang Jung: Wie viele wollen Sie? Sagen Sie uns das!) Sie operieren hier mit einer Stimmungsmache. Was sagt Oberst Tatzgern von der Kriminalpolizei? Was sagt er? – Es gibt keine konkreten Daten und Fakten.

 

Er sagt auch, der geringste Teil der Bettler und Bettlerinnen ist der möglichen Ausbeutung ausgeliefert, und Oberst Tatzgern sagt, die letzten Jahre intensivster Suche erbrachten drei Fälle von Menschenhandel. Drei Fälle von Menschenhandel in den letzten Jahren! Das sind die Fakten, doch Sie suggerieren, dass alles mafios und alles bandenmäßig ist. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Nein, nein, Sie machen ein bisschen Stimmung, weil es so bequem ist, weil es ja so angenehm ist. Wo haben Sie denn schon Arbeitsplätze geschaffen in Ihrem Leben, außer bei den Staatsanwälten. Wo haben Sie Arbeitsplätze geschaffen, wo einen einzigen, außer bei den Staatsanwälten, die jetzt Ihre Korruptionsfälle aufklären. (Lebhafte Zwischenrufe bei der FPÖ.) Asylanten aufnehmen. Genau! Das heißt, man redet vom Betteln, Sie kommen mit Asyl – und rein in das Thema. Genau, denn da ist es angenehmer, so Stimmung zu machen. (Anhaltende Zwischenrufe bei der FPÖ.)

 

Aber es nützt nichts, die FPÖ ist die FPÖ, wir werden sie nicht ändern. Das, was wir schaffen können, ist, gemeinsam für Menschenrechte einzustehen, immer wieder klar zu machen, dass die Richtung der Hetze niemandem etwas bringt, dass das, was die Menschen wollen, soziale Sicherheit ist. Und dafür werden wir auch einstehen. Jegliche Verdrängung von Armutsbetroffenen und deren Kriminalisierung ist so dermaßen sinnlos. Bei einem sektoralen Bettelverbot – das hat auch Kollege Stürzenbecher in seiner Novemberrede betont – ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das im Grunde dem Verfassungsgerichtshof widerspricht, weil es das stille Betteln inkludiert. Es führt ausnahmslos zu einer Verdrängung. Niemandem ist geholfen, außer dass man Armutsbetroffene kriminalisiert.

 

Was bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren? Das Einsetzen für Menschen- und Grundrechte für alle. Das ist das, was bleibt. Die Armutsmigration ernst zu nehmen. Vielleicht schaffen wir es, über Ängste und Unsicherheiten der Bevölkerung hinaus auch hier im niederschwelligen Bereich Angebote zu setzen. Das wäre ein gemeinsames Ziel. Die Ursache des Bettelns zu bekämpfen, schaffen wir nur gemeinsam mit der Europaebene, gemeinsam städteübergreifend und auch hier lokal in Wien.

 

Das, was bleibt – auch als Ergebnis von gestern –, ist, vielleicht ein Stück weit mehr an Ehrlichkeit und ein gemeinsames Einstehen für Gleichheit, für Solidarität, auch wenn es nicht einfach ist. Und das, was ebenfalls bleibt, ist, Grenzen zu setzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

 

Wir haben im November hier eine Diskussion mit ähnlichen Argumenten und fast wortident geführt. Damals haben wir dann darüber diskutiert – ich weiß gar nicht, welcher Kollege da seine Contenance verloren hat –, dass es Ausbildungslager von Roma gibt, wo Menschen zum Betteln „gezüchtet“ werden. Das war der Aufreger im November. Letztklassig! Nicht einmal mit der Konsequenz eines Ordnungsrufes. Nicht einmal das war möglich. Das heißt, rechte Politik wird immer und immer wieder die Grenzen verschieben, die Grenzen der Emotionalität. Es wird immer leichter werden, auf Kosten von kleineren Gruppierungen, von marginalisierten Gruppierungen Politik zu machen, viel leichter, als sich der eigentlichen Herausforderung zu stellen, Arbeitsplätze zu schaffen und Armut zu bekämpfen.

 

Wenn Sie von der SPÖ – jetzt richte ich mich an Sie – genau zugehört haben, auch der ÖVP, haben wir schon einen Vorgeschmack bekommen von dem, was

 

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