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Landtag, 9. Sitzung vom 24.11.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 4 von 60

 

prüft, ob sich etwa Hinweise finden, dass damalige reichsdeutsche Staatsbürger, die nach 1933 vor dem Nationalsozialismus nach Österreich geflüchtet sind, Notverkäufe tätigen mussten. Diese Überprüfung wird noch einige weitere Monate in Anspruch nehmen.

 

Die zweite Konsequenz daraus ist die Vorlage eines Nachtragsfalles an die Wiener Restitutionskommission im Dezember 2011, also jetzt. Im Fall Bruno Jellinek waren die Rechtsnachfolger Jellineks gezwungen, ein Objekt, welches sie nicht ausführen durften, mittels eines sogenannten Kuhhandels, das bedeutet Widmungen, Schenkungen, Veräußerungen et cetera an ein Museum, im Gegenzug für die Erteilung einer Ausfuhrbewilligung für die restliche Sammlung an die Museen der Stadt Wien zu veräußern. Nach der bisherigen Regelung fanden die Wiener Restitutionsbestimmungen, auch die Bestimmungen des Bundes, nur dann Anwendung, wenn eine unentgeltliche Eigentumsübertragung vorlag, weswegen sich die Wiener Restitutionskommission in der vorhergehenden Sitzung für unzuständig erklärt hat. Nach der Ausweitung der Restitutionsbestimmungen finden die Regelungen nunmehr auch dann Anwendung, wenn das Museum beim seinerzeit so bezeichneten Kuhhandel etwas bezahlt hat. Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass wir in einigen Einzelfällen sehr wohl mit diesen neuen Bestimmungen reagieren können.

 

Lassen Sie mich vielleicht noch eines dazusagen: Ich glaube, es ist unumgänglich für eine Stadt wie Wien, dass sie nicht nur ganz skrupulös sich alle Objekte, die in ihrem Besitz befindlich sind, durchschaut, anschaut, sondern dass sie auch etwas tut, was im Übrigen weit über das hinausgeht, was auch vom Bund gemacht wird, nämlich aktive Erbensuche. Das ist im Detail wahnsinnig kompliziert. Das ist im Detail oftmals sehr mühsam und zeitintensiv. Ich halte es aber für notwendig und angebracht, dass wir von uns aus aktiv weltweit suchen, wenn wir der Überzeugung sind oder auch nur leiseste Zweifel angebracht sind, dass ein Objekt, ein Kunstwerk, das sich in unserem Besitz befindet, unrechtmäßig in den Besitz der Stadt Wien gekommen ist.

 

Ich glaube, sagen zu können, dass wir aus diesen zigtausenden Objekten, die wir gescreent haben, mittlerweile auch eine große Anzahl quantitativ zurückgeben konnten. Sie müssen sich nur vorstellen, das sind oftmals sehr kleine Objekte. Selbst in Fällen, in denen kein unrechtmäßiger Erwerb nachzuweisen ist, wir aber sehen, dass es Familien gibt, die sehr wohl darauf reflektieren, versuche ich, eine, wenn man das so nennen will, und ich will das nicht sozusagen zynisch umschrieben wissen, Kulanzlösung. So habe ich selbst einmal ein Thoramäntelchen, das von einer Frau im Jüdischen Museum als das ihres Großvaters erkannt wurde, nach New York gebracht, wo in einer sehr berührenden Szene dieses Thoramäntelchen auch der Familie übergeben werden konnte.

 

Insgesamt sage ich daher, es ist notwendig, dass die entsprechenden gesetzlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen gegeben sind, damit wir auch tatsächlich die Rückgaben machen können. Gleichzeitig möchte ich aber noch einmal dafür plädieren, dass die Stadt Wien im Umgang mit Rückgabeobjekten möglichst großzügig ist, weil wir weder die Leben noch das Eigentum noch die Verbrechen, die an vielen Hunderttausenden Jüdinnen und Juden begangen wurden, wiedergutmachen können.

 

Präsident Prof Harry Kopietz: Die 1. Zusatzfrage stellt Herr Abg Ing Mag Dworak. Der guten Ordnung halber weise ich darauf hin, natürlich für alle geltend, dass die längstens zwei Minuten nicht überschritten werden sollen.

 

.9.12.02Abg Ing Mag Bernhard Dworak (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Guten Morgen, Herr Stadtrat!

 

Danke für die sehr interessante Beantwortung. Wir haben die Information bekommen, dass wir sehr wenig Bilder in diesem Bereich, also zwischen 1933 und 1938, die vor allem natürlich in Deutschland zwangsenteignet, wenn ich das so sagen kann, worden sind, haben. Aber es sind viele Bücher. Die Wien Bibliothek hat eine ganze Reihe von Büchern in dieser Zeit erworben. Es sind teilweise auch, glaube ich, Schenkungen gewesen.

 

Jetzt stellt sich die Frage: Kann man das bewerten oder zumindest eine Zahl angeben, was von der Wien Bibliothek derzeit geplant ist, unter diesem Titel zu restituieren?

 

Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny: Herr Abgeordneter!

 

Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt sicher nicht machen. Ich habe ausgeführt, dass wir auf Grund der erst heuer im Frühjahr beschlossenen Gesetzeslage überhaupt tätig werden. Das bedeutet natürlich, dass wir uns im Grunde alles anschauen und gewissermaßen von vorne beginnen müssen. Wir hatten alles angeschaut von den Erwerbungen der Jahre 1938 bis 1945 und jetzt müssen wir uns die Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1938 anschauen, was natürlich insgesamt noch komplizierter ist, weil wir auch recherchieren müssen, was wann wo erworben wurde. Es sind der Erwerbszeitraum, der Erwerbsort, die Erwerbsgeographie, wenn Sie so wollen, ausgeweitet. Ich habe noch keinen Überblick darüber, wie viele Objekte das in den einzelnen Magistratsabteilungen, in der Bibliothek, im Archiv, im Wien Museum, im Übrigen auch im Jüdischen Museum sind, wo gegenwärtig die erste Phase der Durchsicht abgeschlossen ist und jetzt - unter Anführungszeichen - die zweifelhaften oder auch verdächtigen Objekte genauer überprüft werden müssen. Das heißt, auch da muss man Erbenforschung und so weiter machen.

 

Wie viele Objekte das in den einzelnen Bereichen umfasst, kann ich Ihnen nicht sagen, aber nachdem wir ohnedies regelmäßig einen sehr umfangreichen Restitutionsbericht zu erstellen haben, werden wir spätestens dann, so wir da schon einen Überblick haben, genauere Zahlen nennen können. Meine Vermutung geht dahin, dass es natürlich zahlenmäßig weniger Objekte sind als im ersten Fall, dass es sich wahrscheinlich um Einzelfälle handeln wird. Aber wie das halt bei Einzelfällen so ist, wird deswegen die gesamte Sachlage nicht weniger komplex. Also, wir müssen aus der großen Zahl der Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1938, sofern wir da überhaupt noch die entsprechenden Aufzeichnungen

 

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