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Landtag, 16. Sitzung vom 28.03.2008, Wörtliches Protokoll  -  Seite 32 von 78

 

breit diskutieren, und auch die Oppositionsrechte in dieser Frage gewahrt bleiben. Der Umgang und das Vorgehen rund um diese Mitteilung zeigt uns ein demokratiepolitisches Defizit im Umgang mit Europapolitik in diesem Haus. Das hat die SPÖ zu verantworten, und die Debatte ist auch nicht neu.

 

Wir haben dringenden Reformbedarf, was die Struktur unserer europapolitischen Debatten in diesem Haus betrifft. Gemeinderat, Landtag und Gemeinderätliche Europakommission bilden keineswegs den Stellenwert, den Europapolitik eigentlich für diese Ebene hat, ab, es finden kaum bis wenig europapolitische Debatten im Gemeinderat oder Landtag statt, die Gemeinderätliche Europakommission, wie Sie wissen, ist kein beschlussfassendes Gremium, wie es zum Beispiel andere Bundesländer in Form von EU-Ausschüssen haben und tagt auch nur alle heiligen Zeiten.

 

Dabei werden - und das ist vielleicht den wenigsten von Ihnen auch bewusst - bereits dreiviertel aller EU-Gesetze auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt, also die Bedeutung von Europapolitik für das Land Wien ist eine enorme. Die Mitbestimmungsrechte aber, die auch wir als Opposition haben, reichen nicht einmal ansatzweise an jene im Nationalrat heran. Sie wissen, dort können Abgeordnete des Hauptausschusses Bundesregierungsmitglieder an Stellungnahmen des Hauptausschusses zu europapolitischen Fragen verpflichtend binden.

 

Stadtaußenpolitik ist überhaupt fast ausschließlich, neben dem Herrn Landeshauptmann und den amtsführenden Stadträten und Stadträtinnen, eine Sache der Verwaltung, dabei ist Wien an fast 30 internationalen und europäischen Städtenetzwerken beteiligt. Wien hat auch zahlreiche Kooperationsabkommen mit anderen Städten abgeschlossen, aber alle diese Debatten gehen eigentlich an der Opposition vorbei und werden auch in der Gemeinderätlichen Europakommission nicht geführt, obwohl wir seit Jahren eine Aufwertung dieser verlangen. Die Opposition ist ja nicht einmal im Außenpolitischen Beirat vertreten, wir haben auch keinerlei Information, was dort eigentlich stattfindet.

 

Das sind keine zeitgemäßen demokratischen europapolitischen Standards, das entspricht der Bedeutung der Europapolitik in diesem Haus keineswegs, das höhlt auch die Rechte der Opposition, an europapolitischen Debatten teilzunehmen und auch an ihrer Beschlussfindung teilzunehmen, massiv aus, Wien hat hier eindeutig Reformbedarf und Nachholbedarf auch zu anderen Bundesländern.

 

Und aus diesem Grund werden die Grünen heute einen Antrag auf Einsetzung eines Europaausschusses im Landtag stellen, der landesverfassungsrechtlich verankert werden soll, der europapolitische Fragen diskutieren soll, der die Vertretung Wiens in den stadtaußenpolitischen Netzwerken vorbereiten und über Angelegenheiten der Netzwerke informieren soll sowie auch analog zum Hauptausschuss des Nationalrates Mitglieder der Landesregierung in verpflichtender Weise binden kann.

 

Ein Thema des Ausschusses könnte zum Beispiel sein, so wie es heute auch die ÖVP fordert, eine breite Debatte über EU-Förderungen, ihre Strukturen und ihre Umsetzung zu führen, aber eben auch gemeinsam politisch die Vertretung Wiens festzulegen, zum Beispiel im Netzwerk Eurocities, zum Beispiel im Ausschuss der Regionen, zum Beispiel im Rat der Gemeinden und Regionen Europas, zum Beispiel aber auch beim Europäischen Städtetag. All das wären Fragen für einen solchen Europa-Ausschuss.

 

Wir GRÜNE wollen heute aber auch zwei inhaltliche Anträge zu zwei Themen stellen, die uns sehr wichtig sind und die für uns derzeit Kernbereiche der europäischen Debatte sind. Der eine Antrag ist zur direkten Demokratie in Europa, der zweite zu europaweiten Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechten.

 

Der Vertrag von Lissabon - Sie haben es angesprochen, Herr Landeshauptmann - ist auch für die GRÜNEN ein Fortschritt gegenüber dem Status quo des Vertrags von Nizza. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, insbesondere auch deshalb, weil endlich nach langem Tauziehen, nach langjährigen Bemühungen auch der GRÜNEN wirtschaftliche und soziale Grundrechte europaweit verbindlich verankert werden, wobei man an dieser Stelle immer wieder betonen muss, dass das Opting out aus den Grundrechten für zwei Länder, nämlich Polen und Großbritannien, natürlich inakzeptabel ist. Aber in diese Richtung hat sich ja auch der Landtag auf Antrag der GRÜNEN letztlich schon ausgesprochen.

 

Wir sehen es auch als eindeutigen Fortschritt, dass das Europäische Parlament aufgewertet wird, dass die nationalen Parlamente, so wie Sie es angesprochen haben, aufgewertet werden, dass die lokale Ebene aufgewertet wird und das Subsidiaritätsprinzip aufgewertet wird. Ein großer Fortschritt ist bestimmt auch - nur muss er erst mit politischem Leben erfüllt werden - die Verankerung des Ziels der Vollbeschäftigung im EU-Vertrag und nicht nur zum Beispiel das Ziel des hohen Beschäftigungsniveaus. All das führt dazu, dass die GRÜNEN zu diesem so genannten EU-Reformvertrag, dem Vertrag von Lissabon, ein kritisches, aber ein Ja abgeben.

 

Der erhoffte Kurswechsel, für den die GRÜNEN eigentlich seit Jahren auf europäischer Ebene kämpfen, leider sehr wenig unterstützt von den europäischen Sozialdemokraten und noch weniger unterstützt von den europäischen Christdemokraten - das Ziel der GRÜNEN in Europa ist ein Kurswechsel, ist eine Reform der EU und ihrer Instrumente, ist, wie Sie alle wissen, ich brauche das nicht mehr zu betonen, eine Sozialunion mit europaweit verbindlichen sozialen Mindeststandards, ein Europa der nachhaltigen Politik und der gerechten Verteilung von Ressourcen. Das sollte zumindest die politische Priorität sein. Das Primat der Politik sollte gegenüber dem jetzt doch, ich nenne es einmal, neoliberalen Grundkonzept der Europäischen Union zurückerkämpft werden. Wir brauchen ein friedenspolitisches Europa, das Konfliktprävention ins Zentrum einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stellt.

 

Aber ich denke, eines der größten Versäumnisse dieses EU-Reformvertrags ist sicher jenes, dass eine

 

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