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Landtag, 6. Sitzung vom 30.1.2002, Wörtliches Protokoll  -  Seite 33 von 64

 

enormen Anstrengungen, welche gigantischen Aufbauarbeiten nach beiden Weltkriegen notwendig waren, um dieses Wien wieder so entstehen und blühen zu lassen, wie es für uns seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit ist.

 

Am Anfang dieser Entwicklung stand die Befreiung der Arbeiterschaft, aber auch nicht unwesentlicher Teile des Kleinbürgertums vom materiellen und sozialen Elend. War das nicht, meine Damen und Herren, die klassischste Form der Daseinsvorsorge? - Durch vielfältige gesundheitspolitische Maßnahmen, wie die Schaffung moderner Spitäler, Beratungseinrichtungen, Kinderschulzahnkliniken, obligatorische Impfungen, aber auch durch die Entwicklung der breiten Vielfalt der sozialen Wohlfahrt wurde in Wien sichergestellt, dass die damals eklatante Säuglings- und Kindersterblichkeit gesenkt werden konnte, dass epidemische Krankheiten zurückgedrängt wurden und dass vor allem die durchschnittliche Lebenserwartung und die Lebensqualität der Wienerinnen und Wiener auf beachtliches Niveau gebracht werden konnte.

 

Das Ganze, meine Damen und Herren, war begleitet von der Erfindung und der Verwirklichung des genialen Gedankens des sozialen Wohnbaus, gepaart mit der pionierhaften Entwicklung von Grün- und Freiraumpolitik - Grün- und Freiraumpolitik, meine Damen und Herren, Jahrzehnte, bevor die Ökologiebewegung als geistige Kraft überhaupt manifest wurde und sich dann teilweise in eine politische Partei umgewandelt hat. Diese europaweit anerkannte und engagierte Kommunalpolitik, von den Christlich-Sozialen und ihrer "Reichspost“ vehement bekämpft, wurde von Sozialdemokraten entwickelt und in kongenialer Zusammenarbeit mit Tausenden Beschäftigten dieser Stadt, die eben in diesem Geiste einer sozialen Gesellschaft ihre Aufgaben wahrgenommen haben, in allen Lebensbereichen umgesetzt. Jawohl, meine Damen und Herren des Wiener Landtags: Diese Säulen des Roten Wien waren klassische Daseinsvorsorge vom Besten - eine Gesamtleistung, die bis heute unverändert Berechtigung besitzt und auf die wir mit Recht auch an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert stolz sein können. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Das kommunale Versorgungs- und Dienstleistungspaket ist bis heute unverändert wirksam, ja geradezu unverzichtbar für das Leben in unserer Stadt. Und jetzt, in Zeiten neoliberaler Kälte und globalisierter Machtansprüche der Konzerne, die einige wenige wohlhabend und einige ganz wenige unermesslich reich, aber sehr viele arm und joblos machen, soll plötzlich Privat die bessere Antwort auf die Lösung der anstehenden Probleme sein? Soll nunmehr der Markt, der bekanntlich keinerlei soziale Dimensionen beinhaltet, den Pflichtenkatalog der großen Kommunen übernehmen? Sollen Aufgaben von allgemeinem öffentlichem Interesse neoliberalen und vor allem auch shareholder-orientierten Interessen untergeordnet werden?

 

Hoher Landtag! Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen bei allen öffentlichen Dienstleistungen Versorgungssicherheit, leistbare Preise für die gesamte Bevölkerung, Kontrolle und Begleitung durch den Wiener Gemeinderat und Schaffung der legistischen Maßnahmen durch den Landtag im Vordergrund. Wir stehen mit einem Wort für Qualitätssicherung, wir stehen für Versorgungssicherheit.

 

Deshalb, und weil das von Privaten noch bei keinen exemplarischen Versuchen bisher in annähernd der gleichen Form angeboten werden konnte, lehnen wir die Zerschlagung von funktionierenden Strukturen und lehnen wir auch bedenkliche Liberalisierungs- und Privatisierungswünsche aufs Entschiedenste ab. Hier werden wir nie ein Partner sein! (Beifall bei der SPÖ.)

 

In diesem Zusammenhang ein Blick zur gegenständlichen Meinungsbildung in Brüssel. Vorweg: Jeder verantwortungsvolle Politiker in Europa müsste und sollte dieses einmalige Friedens- und Sicherheitsprojekt jenes Kontinents, der durch Jahrhunderte der blutigste der Menschheitsgeschichte war, außer Streit stellen und die Entwicklung einer europäischen Identität nachhaltig unterstützen. Die Förderung strukturschwacher Regionen und Länder durch die wohlhabenderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind dafür genauso Voraussetzung, wie die mittlerweile eingeführten multinationalen Freiheiten beim Personen-, Dienstleistungs- und Warenverkehr.

 

Aber genauso gilt es auch festzustellen, dass der Euro, jene Verrechnungswährung, die seit dem 1. Jänner allgemeine Zahlkraft der Bevölkerung gebracht hat, ein identitätsförderndes Element zur Schaffung der neuen europäischen Gewährleistungen darstellt.

 

Größte Skepsis hingegen, ja sogar demokratisch legitimierter Widerspruch sind angezeigt, wenn die Liberalisierungslobbyisten ihre Interessen den EU-Gremien aufzudrängen versuchen, wie dies in der Mitteilung der Europäischen Kommission vom Juni vergangenen Jahres zum Ausdruck kam. Nach der Liberalisierung der Energiemärkte und dem nur mäßig erfolgreichen Verkauf der meisten Telekomunternehmungen sollten auch die Einrichtungen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Wasserver- und -entsorgung, ja sogar der Abfallwirtschaft für die Privatisierung freigemacht werden.

 

Warnende Beispiele, extrem warnende Beispiele vollzogener Privatisierungen, wie jene der englischen Wasserversorgung, aber auch von Teilen französischer Kommunen, die sich hier angeschlossen haben, mit den Ergebnissen sinkende Wasserqualität, exorbitant steigende Preise, sinkende Beschäftigungszahlen, einige wenige Topunternehmer, die sich ihre Gagen persönlich richten konnten, aber gleichzeitig auch hohe Transportverluste beim Wasser und die Härte gegenüber jenen Kunden, die nicht in der Lage waren, ihre Wasserrechnungen pünktlich zu begleichen, das waren die Begleitumstände dieser Wasserprivatisierungen.

 

Ganz zu schweigen vom fatalen Beispiel der Privatisierung der englischen Verkehrseinrichtungen, vornehmlich des Eisenbahnsystems, wo ein sprunghaftes Ansteigen der Unfälle für negative Schlagzeilen sorgte, weil ganz einfach Infrastrukturmaßnahmen, Investitionen zur Sicherheit und eine ausreichende personelle Dotation

 

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