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Gemeinderat, 35. Sitzung vom 23.02.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 36 von 64

 

man kann aber durch Präventivmaßnahmen zumindest das Leid der Menschen und die Zahl der Toten und Verletzten reduzieren.

 

So. Und dieser Erdogan, der sich damals im Wahlkampf hingestellt, die damalige türkische Regierung kritisiert und ihr politisches Versagen vorgeworfen hat, sagt jetzt nach 20 Jahren: Das ist Schicksal. Wir hätten es nicht anders verhindern können. - Es stimmt. Jedes Land auf dieser Welt wäre wahrscheinlich in Anbetracht solcher massiver Erdbeben, die gleichzeitig an mehreren Orten und Regionen stattfinden, vor schweren Herausforderungen gestanden. In einem Land, in dem man aber eh schon weiß, dass dort immer wieder Erdbeben passieren, hätte man sehr wohl Präventivmaßnahmen treffen können! (Beifall bei Grünen, SPÖ, NEOS und ÖVP.)

 

Damals hat man zusammen mit diesem Wahlkampf die Erdbebensteuer eingeführt. Insgesamt macht das jetzt eine Summe vom 86 Milliarden Dollar. Und jetzt fragt sich jeder: Wo ist das Geld? Wie kann es sein, dass ein Naturkatastrophenfonds komplett ausgehungert ist, dass es nicht einmal möglich ist, Personal aufzustellen? Wie kann es sein, dass hier keine Mittel zur Verfügung stehen, die den Menschen vor Ort helfen können? Auch das muss man hinterfragen, wenn man dann politische Verhandlungen führt.

 

Außerdem darf man auch nicht vergessen: Die Türkei gehört heute zu den größten und stärkeren NATO-Ländern. Die Türkei besitzt die zweitgrößte NATO-Armee der Welt. - Ihr werdet euch das vielleicht vorstellen können: Wenn wir MenschenrechtsaktivistInnen in der Türkei irgendeine Menschenrechtsaktion oder Umweltprotestaktion veranstalten, dann ist innerhalb von ein paar Stunden die halbe Armee vor Ort. Aber bei diesem Erdbeben wurden vor allem in den Gebieten Hatay und auch in der Provinz Kahramanmaras Menschen überhaupt erst nach 48 Stunden versorgt, beziehungsweise, besser gesagt, ging es dann nur mehr um Bergungsarbeiten und weniger um Lebensrettungsaktionen.

 

Schauen wir auch nach Syrien, nach Rojava: Es kann wohl nicht sein, dass sogar die Vereinten Nationen gesagt haben: Entschuldigung! Wir haben euch komplett im Stich gelassen! Wir haben euch nicht auf dem Radar gehabt. - Es waren wieder die Ärmsten der Ärmeren. Da geht es um Menschen, die auf Grund ihres Glaubens eh schon von strukturellem Rassismus betroffen waren. Ich rede jetzt von Jesiden, Armeniern, Kurden, et cetera. Dann hatten sie das Vergnügen, sich mit dem IS sozusagen in einen Kampf einzulassen. Und wenn sie das überlebt haben, mussten sie schauen, dass sie die Flucht überleben, entweder über das Mittelmeer oder anderwärtig.

 

So. Schließlich waren sie froh, dass sie zumindest irgendwelche Zelte hatten, wo sie dann jahrelang auf humanitäre Hilfe warten. Erst hat sie die Pandemie getroffen, bei der wiederum eine Hälfte auf Grund mangelnder medizinischer Versorgung gestorben ist. Und nun hat sie das Erdbeben getroffen, und es ist fatal, dass der Assad humanitäre Hilfsgüter genau in diesen Regionen einfach blockiert.

 

Natürlich muss man als Politikerin, auch wenn man angefeindet wird, diese strukturellen Probleme aus menschlicher Sicht ansprechen. - Ich bin ja nicht nur Politikerin, sondern ich bin Mutter, ich bin Frau, ich bin Mensch, und ich meine, es ist ganz einfach genug, dass Menschen immer wieder Opfer politischer Fehlentscheidungen sind. Und wir können nicht so tun, als wären wir schon bei der nächsten Tagesordnung, denn es werden immer noch Menschen aus diesen Trümmern herausgetragen.

 

Deswegen freut es mich natürlich, dass wir als Stadt Wien sagen: Wir schauen nicht weg, sondern wir wollen auch in diesem Zusammenhang unseren finanziellen Beitrag leisten. Mein Vorschlag war ja, dass wir sozusagen projektbezogene humanitäre Hilfe leisten, denn ich vertraue weder dem Erdogan noch dem Assad. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Ich will wirklich wissen, wohin diese Gelder tatsächlich fließen. Deswegen war es unser Vorschlag: Schützen wir die Leute vor der Obdachlosigkeit. Machen wir projektbezogene humanitäre Hilfsprojekte, indem wir etwa Container aufstellen, im Hinblick auf welche sich die Stadt Wien am Ende des Tages hinstellen und sagen kann: Schaut mal, wir haben da 500 Container aufgestellt! Es geht um Hilfe vor Ort. Das muss man gar nicht einmal von Wien aus organisieren.

 

Die Entscheidung ist dann anders ausgefallen, und das ist auch zu respektieren. Und es freut mich besonders, dass ihr hier auch dem Antrag betreffend medizinische Versorgung von Kindern zustimmt, denn diese sind wirklich die unschuldigsten Menschen auf dieser Welt, die einfach gar nichts dafür können, außer dass sie einfach das Pech haben, in diesen Regionen geboren worden zu sein beziehungsweise dort leben zu müssen. Sie können wirklich am wenigsten dafür, dass sie komplett hilflos und schutzlos dort warten müssen. Aus diesem Grund bin ich wirklich froh, dass wir - und ich hoffe, andere Städte machen uns das nach - primär einmal die Kinder medizinisch versorgen, die dringend auf diese Hilfe angewiesen sind.

 

Ich will jetzt meine Rede nicht allzu lang werden lassen. Natürlich möchte ich mich bei allen Einsatzkräften vor Ort bedanken. Wir haben ja aus Österreich unsere Soldaten in die Erdbebenregionen geschickt, und sie haben großartige Arbeit geleistet. Diese Arbeit kann man dann auf emotionaler Ebene nicht so schnell verarbeiten. Und ich bin froh, dass Österreich auch 3 Millionen EUR Unterstützung anbietet und dass wir das auch im Sinne humanitärer Hilfe als Selbstverständlichkeit sehen, im Gegensatz zu manchen, die wie zum Beispiel Herr Landbauer der Meinung sind, dass man bei Naturkatastrophen nicht helfen sollte. Da fragt man sich wirklich, mit welchen Kolleginnen und Kollegen man es in der politischen Landschaft in Österreich … (Zwischenruf von GR Stefan Berger. - Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ja, ja! Sie können auch behaupten, dass Herr Waldhäusl Menschen mit Migrationserfahrung nicht ins Visier genommen hat! Ich finde es beschämend, dass wir im Jahr 2023 in einer globalen Welt diese Diskussion überhaupt noch führen, Herr Kollege Berger! (Beifall bei GRÜNEN, SPÖ und NEOS.)

 

Ich wollte diese Diskussion jetzt nicht öffnen. Aber wenn Sie es schon ansprechen: Stellen Sie sich vor, Sie wären in diesem Land geboren, Sie wachsen in diesem

 

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