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Gemeinderat, 21. Sitzung vom 30.03.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 37 von 94

 

Aktuell geht es um die Selbstbestimmung der Ukraine, eines europäischen Landes, und damit um nichts weniger als um die Sicherheit in Europa und damit auch um nichts weniger als die Sicherheit Österreichs. Es ist in diesen Tagen und auch heute hier vieles zum Thema Neutralität Österreichs gesagt worden. Vieles davon ist falsch. Neutralität bedeutet, ich wiederhole das, nicht Haltungslosigkeit. Im Bundes-Verfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs ist das immer schon ganz klar geregelt gewesen - und nicht erst seit ein paar Jahren eine Interpretationsangelegenheit. Dort steht ganz klar, dass Österreich zur Sicherung dieser Zwecke, nämlich der Neutralität, in aller Zukunft erstens keinen militärischen Bündnissen beitreten wird und zweitens die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf unserem Staatsgebiet nicht zulassen wird. Die österreichische Neutralität bedeutet also nicht, politisch neutral zu sein, sondern militärisch neutral zu sein. Es ist auch unstrittig, dass Österreich wirtschaftliche Sanktionen gegen einen Staat unterstützen darf. Art. 23j der österreichischen Bundesverfassung regelt, dass Österreich an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mitwirkt, und explizit ist dabei genannt auch „Maßnahmen, mit denen die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden.“ Sie sehen also, die massiven Sanktionen sind natürlich mit der österreichischen Neutralität im Einklang stehend.

 

Und an die FPÖ adressiert: Ich habe bis jetzt keinen Grund gehört, warum Sie diesem Vierparteienantrag heute nicht zustimmen, aber ich habe einen Grund mitgenommen, den ich Ihnen später sagen werde. Was ich Ihnen aber jetzt sagen möchte, ist: Es geht sich nicht aus, hier die Neutralität einzufordern und gleichzeitig auch Freundschaftsabkommen mit Wladimir Putin zu schließen.

 

Putin‘s Krieg gegen die Ukraine war lange vorbereitet und basiert auf einem Konstrukt aus Lügen. Erstens der Lüge, es gebe keine eigenständige Ukraine, diese sei Lenin‘s Erfindung. Richtig ist, dass Kiew über 1.000 Jahre alt ist und schon eine Stadt war, als Moskau noch nicht einmal auf einer einzigen Landkarte vermerkt war. Zweitens der Lüge, es handle sich um eine begrenzte Spezialoperation gegen militärische Ziele. Richtig ist, dass durch Putin‘s Armee auf Putin‘s Befehl ganz massiv zivile Einrichtungen, Schulen, Kindergärten, Wohnviertel beschossen werden und Kriegsverbrechen begangen werden. Weiters der Lüge, dass Russisch zu sprechen in der Ukraine verboten ist. Richtig ist hingegen, dass die Redefreiheit für Menschen, die in Kiew Russisch sprechen, größer ist als die Redefreiheit für Menschen in Moskau, egal, welche Sprache sie sprechen. Diese und viele andere Lügen werden über russische Staatsmedien völlig gleichgeschaltet in dieser Welt verbreitet. Das Wort Krieg ist in Putin‘s Drehbuch nicht vorgesehen. Abweichende Medienberichte werden mit 15 Jahren Haft bestraft, ebenso Berichte über russische Opferzahlen oder Berichte über wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit.

 

Russische Desinformations- und Destabilisierungskampagnen sind schon lange Teil der russischen imperialistischen Weltpolitik, und besonders Europa ist und war schon lange Zielscheibe russischer Lügenkampagnen. Die Kalkulation von Putin war es, dass es auf seinen Angriffskrieg in Europa keine geschlossene Antwort gibt, dass die europäische Außenpolitik sich wieder einmal nur auf die Vermittlung zwischen amerikanischen und russischen Interessen reduziere. Wladimir Putin hat sich dabei verkalkuliert. Europa zeigt in seiner Antwort Geschlossenheit wie noch nie, und das ist auch gut so. Die massiven Sanktionen gegen Russland sind richtig und wichtig, und ja, sie müssen weiter ausgebaut werden. Ja, diese Sanktionen werden auch uns in Europa treffen, aber das ist im Vergleich zu dem, was in diesen Tagen in der Ukraine passiert, ein billiger Preis für die Verteidigung unserer europäischen Werte und unserer europäischen Freiheiten. Vor allem und insbesondere bedeutet das auch einen möglichst raschen Ausstieg aus der fossilen Brennstoffdiktatur, die Putin‘s Krieg mit fast 1 Milliarde EUR tagtäglich finanziert.

 

Ich bin überzeugt davon, dass noch nie die Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und auf eine gemeinsame europäische Diplomatie größer war als in diesen Tagen. Ich meine, dass Europa seinen Platz am Verhandlungstisch der Weltmächte zwischen Amerika, China und Russland einnehmen muss, und dafür muss Europa in der Lage sein, unabhängig - unabhängig von den Vereinigten Staaten von Amerika, unabhängig von Russland und China und anderen - außen- und verteidigungspolitische Entscheidungen zu treffen und diese auch durchzusetzen. Und selbstverständlich braucht es dafür auch eine eigene europäische Freiwilligenarmee, und selbstverständlich müssen wir als Europäische Union allen Ländern, allen Staaten, die sich den europäischen Werten verschreiben, auch eine mittel- bis langfristige Beitrittsperspektive liefern, denn nur das sichert langfristig den Frieden in Europa.

 

Ich finde es bedauerlich, dass wir heute in diesem Haus diesen Antrag, den wir einbringen, nicht als Fünfparteienantrag einbringen. Ich habe bis jetzt keine Erklärung gehört, warum die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ nicht zustimmen, aber möglicherweise liegt die Erklärung ja schon in ihrem Namen: FPÖ - die Freunde Putin‘s in Österreich. Auf jeden Fall zeigen Sie mit dem Verhalten heute die Bedeutung dieses Namens: Freunde Putin‘s in Österreich. Und eines muss ich Ihnen schon sagen: Ihr Verständnis, das Sie von Freiheit zeigen, ist ein sehr eigenartiges Verständnis. Wenn es darum geht, für das Nichttragen von Masken auf die Straße zu gehen, dann sind Sie ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Demokratie, Selbstbestimmung und Freiheit geht, dann schauen Sie weg. Es geht sich nicht aus, Neutralität einzufordern und gleichzeitig Freundschaftsabkommen mit Wladimir Putin zu schließen. Das ist absurd - aber ja: Freunde Putin‘s in Österreich.

 

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