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Gemeinderat, 21. Sitzung vom 30.03.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 30 von 94

 

den, die es gibt, gibt es aber Sachen, die wir teilen. Diese herauszuarbeiten, ist ein starkes gemeinsames Zeichen angesichts dieser äußeren Bedrohung auf unser Wertesystem.

 

Es ist deswegen besonders schade, und ich habe es auch etwas erstaunlich gefunden, dass die FPÖ sich diesem gemeinsamen Antrag nicht anschließt. Ich war deswegen auf die Erklärung sehr gespannt, nämlich tatsächlich intellektuell gespannt, was hier als Grund kommen könnte, denn dieser Antrag ist, lassen Sie es mich so sagen, sehr konsensual formuliert.

 

Es kommen einige Worte, über die man vielleicht aus Ihrer Perspektive stolpern könnte, überhaupt nicht vor. Es kommt auch keine Glorifizierung des Präsidenten Selenskyj vor, es kommt das Wort Angriffskrieg nicht vor. Es ist ein sehr konsensual formulierter Antrag. Ich habe mir gedacht: Warum um alles in der Welt stimmt die FPÖ hier nicht zu? - Leider bin ich jetzt nicht schlauer geworden, es ist meines Erachtens überhaupt keine Argumentation gekommen, warum diesem Antrag nicht zugestimmt wird. Es kamen einige Vorwürfe seitens der FPÖ, die ich gerne klarstellen möchte.

 

Erstens, die Oligarchen, die jetzt Wien stürmen: Ich darf Sie darauf hinweisen, dass Ukrainer Visafreiheit in Europa genießen. Das heißt, zu jedem Zeitpunkt können ukrainische Oligarchen nach Wien kommen und hier in Nobelhotels absteigen und im Übrigen Geld nach Wien bringen. Das hat überhaupt nichts mit dem Krieg zu tun und das sind auch keine Menschen, die unser Sozialsystem in irgendeiner Weise belasten. Denn warum? - Wenn Geflüchtete hier herkommen, sich registrieren lassen und die Grundsicherung in Anspruch nehmen, dann wird geprüft, ob das bedürftige Menschen sind, und nur die bedürftigen Menschen erhalten die Grundsicherung. Also sagen Sie mir, wo ein Oligarch, ein reicher Ukrainer unser Sozialsystem ausnützt. Nirgendwo, meine Damen und Herren von der FPÖ, nirgendwo.

 

Und dann, das war direkt ironisch, hat Kollege Nepp, der ja heute noch reden wird - also ich nehme an, du erklärst das dann noch genauer - gesagt, es muss eine Obergrenze geben, und wir sollen nur Härtefälle aufnehmen. Als Beispiel für Härtefälle wurden Frauen und Kinder genannt. Jetzt darf ich berichten: Wer nach Wien kommt, das sind Frauen und Kinder. Wer nach Wien kommt, das sind Frauen und Kinder, weil Männer nicht ausreisen dürfen. Das ist die Realität.

 

Ich stelle also fest, dass es bei der FPÖ nach wie vor keinerlei außenpolitische Kompetenz gibt und dass eure Argumentation, warum ihr so krampfhaft gegen diesen Resolutionsantrag seid und euch so krampfhaft im Spannungsfeld zwischen Ukraine und Russland doch Russland-freundlich positioniert, völlig unnachvollziehbar ist, ihr eure Motivation nicht schlüssig darlegen könnt und wir uns deswegen fragen müssen, woher diese Motivation wohl stammen mag.

 

Sehr geehrte Damen und Herren! Unabhängig davon, wie man jetzt die Gründe für den Angriffskrieg - ich betone, Angriffskrieg, denn genau das ist es - Russlands auf die Ukraine interpretiert: Eine Sache, da sind wir uns sicher einig, was wir gerade sehen, ist ein Umsturz der europäischen Nachkriegsordnung. Warum? - Weil zum ersten Mal seit 70 Jahren - mit Ausnahme Westbalkan, das sage ich dazu - Krieg als Mittel zur Durchsetzung der Politik herangezogen wird. Ich würde das als einen Einbruch der Realpolitik in unsere vielleicht von etwas durch Naivität gezeichnete europäische Nachkriegsordnung sehen. Zum ersten Mal sind wir damit konfrontiert, dass Lösungen nicht am Verhandlungstisch, sondern mit Waffengewalt durchgesetzt werden.

 

Es ist natürlich eine grundsätzliche Frage, vor der wir hier stehen: Möchten wir in einem System leben, in dem Lösungen am Verhandlungstisch gefunden werden, oder möchten wir in einem System leben, in dem Fakten auf andere Weise geschaffen werden? Das ist eine ganz grundlegende Frage. Es gibt de facto nur diese beiden Möglichkeiten. Klar muss uns aber sein, wenn wir uns entscheiden, unser System der Demokratie, der friedlichen Lösungsfindung beizubehalten, dann müssen wir das auch verteidigen können. Diese Fähigkeit hat Europa leider in den letzten Jahrzehnten verschlafen. Es ist eine wirklich notwendige Fähigkeit, wenn wir das Lebensmodell, an dem wir festhalten, ein Lebensmodell von Freiheit, von individueller Freiheit, von Gleichheit, von der Entfaltung eines jeglichen Lebensmodelles - das ist unser System im Westen - beibehalten wollen und durchsetzen wollen, dann müssen wir das auch können. Wir müssen die Fähigkeit dazu haben, genauso wie Putin aktuell die Fähigkeit dazu hat, in der Ukraine Fakten zu schaffen. Auch wir müssen diese militärische, diese Verteidigungsfähigkeit wiederaufbauen. Ich sehe da gute Ansätze, die sind es absolut wert, unterstützt zu werden.

 

Meine Damen und Herren, es ist klar, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jetzt gerade kämpfen, nicht nur für ihr eigenes Land kämpfen, sondern sie kämpfen auch für unsere Freiheit, denn: Wo wäre denn Schluss gewesen? Also wer kann garantieren, dass Russland nicht einfach weitergegangen wäre? Transnistrien, Moldawien, vielleicht ein bisschen das Baltikum? Das weiß ja keiner, das können wir nicht garantieren. Wir haben in Wahrheit nicht einmal vorausgesagt, dass dieser Angriffskrieg kommen wird.

 

Das heißt, unsere Solidarität darf sich nicht nur in Worten ausdrücken und in Taten bei der Aufnahme von Flüchtigen, sondern wir müssen uns klar darüber sein, dass unsere Solidarität den Menschen gelten muss, die in der Ukraine jetzt aktuell unser westliches Lebensmodell verteidigen. Das ist, meine Damen und Herren, Krieg. Diese Menschen sind auch im Krieg für das, was wir an Sicherheit und an Freiheit genießen. Das muss klargestellt und das muss geehrt werden, meine Damen und Herren.

 

Wir sehen inzwischen Gott sei Dank eine verstärkte Zusammenarbeit, auf europäischer Ebene ist es die Inkraftsetzung der Massenzustrom-Richtlinie. Im Übrigen, Kollege Krauss, war das leider nicht ganz richtig, was Sie gesagt haben. Die Massenzustrom-Richtlinie lässt ja eine Bandbreite an Möglichkeiten offen, wie mit Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltsrecht in der Ukraine umgegangen wird. Österreich hat sich bereits dazu

 

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