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Gemeinderat, 17. Sitzung vom 20.12.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 95 von 137

 

neration hat die historische Aufgabe, dagegen aufzubegehren. Deswegen tun die jungen Menschen das!

 

Weil hier so oft von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Rede war: Es gibt so etwas wie zivilen Ungehorsam. Ohne zivilen Ungehorsam hätten wir kein Frauenwahlrecht. Ohne zivilen Ungehorsam gäbe es in den USA noch die Rassentrennung. Ohne zivilen Ungehorsam wäre Indien immer noch eine britische Kolonie.

 

Und um jetzt auf österreichische Beispiele einzugehen: Ohne zivilen Ungehorsam hätten wir ein Atomkraftwerk. Ohne zivilen Ungehorsam gäbe es keinen Nationalpark Donau-Auen. Ohne zivilen Ungehorsam wäre die Beteiligung von BürgerInneninitiativen bei Genehmigungsverfahren nicht möglich.

 

Das waren die Krisen und Kämpfe des 20. Jahrhunderts, und was wir jetzt sehen, das ist die Krise des 21. Jahrhunderts. Es ist dies vermutlich auch die letzte Krise, die die Menschheit hat und die die Menschheit noch irgendwie über die Bühne bringen kann. Und offenbar ist es auch für die Klimabewegung notwendig geworden, auf zivilen Ungehorsam zurückzugreifen. Sie mögen das illegal nennen. Ich nenne es legitim. Es ist legitim, gegen bestehende Verhältnisse aufzubegehren. Das sollten Sie als Sozialdemokratie mit Ihrer Geschichte der Streiks wissen!

 

Viele AktivistInnen sagen, dass sie wütend sind, und ich kann das nachvollziehen. Ich gebe heute zu: Ich bin selber wütend, wenn ich mir den Umgang mit den Problemen ansehe, der hier an den Tag gelegt wird. Aber ich weiß auch, dass Wut kein guter Ratgeber ist, genauso wenig wie Sturheit und genauso wenig wie falscher Stolz. Diese Gefühle sind zwar ganz normal und auch legitim, aber sie lähmen uns. Sie lähmen uns, und sie lassen nicht zu, dass wir in der Gesellschaft vorankommen, dass wir an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Sie lassen keine Lösungen zu, die im Sinne der kommenden Generationen sind.

 

Mit diesen Klagsdrohungen haben wir einen neuen Punkt der Eskalation erreicht. Die gute Nachricht dabei ist aber: Sie können sich jederzeit entscheiden, aus dieser Eskalationsspirale auszubrechen. Bundeskanzler Sinowatz hat seinerzeit in Hainburg die Zeichen der Zeit erkannt, und er hat einen Weihnachtsfrieden ausgerufen. Damals hat sich die Eskalation in Form physischer Gewalt geäußert, heute schicken Sie Anwaltsbriefe. Auch das ist Gewalt, das ist psychische beziehungsweise psychoökonomische Gewalt.

 

Es ist aber noch nicht zu spät. Sie können heute entscheiden, auf welcher Seite der Geschichte Sie stehen wollen. Sie können heute entscheiden, was man in 30 oder 40 Jahren über Sie erzählen wird. Liebe SPÖ! Ich lade euch wirklich ein: Kommt rüber! Kommt rüber auf die Seite der Jugend, kommt rüber auf die Seite der Zivilgesellschaft, die nichts anderes will, als ein gutes Leben für alle, und das beinhaltet auch zukünftige Generationen.

 

Wir empfangen euch wirklich mit offenen Armen, wenn ihr bereit seid, für den Klimaschutz zu kämpfen. Es gibt bereits einige Teilorganisationen und Vorfeldorganisationen der SPÖ, die schon dabei sind. Und ich bin mir auch ganz sicher, dass in diesem Gemeinderat dieser Umgang mit der Jugend nicht von allen GemeinderätInnen der SPÖ und auch der Neos geteilt wird.

 

Es ist genug Platz in der Klimabewegung für die gesamte Sozialdemokratie. Es ist nicht zu spät, das Richtige zu tun. Deswegen sage ich euch: Nehmt die Gesprächsangebote der KlimaschützerInnen an! Es haben übrigens auch katholische Organisationen ihre Räumlichkeiten auf dem Stephansplatz als neutralen Ort für Gespräche angeboten. Und auch die evangelische Kirche meint, dass es gerade in der Weihnachtszeit wichtig ist, ein Zeichen zu setzen, auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen und einander die Hände zu reichen.

 

Mein Kollege Stark hat schon den Antrag auf Weihnachtsfrieden eingebracht. Wir hoffen, dass während dieses Weihnachtsfriedens keine Schritte gegen die BesetzerInnen und die KlimaaktivistInnen gesetzt werden. Nützen Sie bitte die Weihnachtszeit als Zeit der Besinnlichkeit, als Zeit des Zusammenkommens, als Zeit des Aufeinander-Zugehens. Nützen Sie die Zeit, damit sich die Gemüter beruhigen, um einen Neuanfang zu machen und zur Versöhnung mit der jungen Generation zu kommen. Ihre Kinder und Ihre Enkelkinder werden es Ihnen danken.

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Ich erinnere an die Desinfektion. Vielen Dank. - Als Nächster zu Wort gemeldet ist GR Al-Rawi. Ich erteile es ihm.

 

19.59.36

GR Dipl.-Ing. Omar Al-Rawi (SPÖ)|: Frau Vorsitzende!

 

Die Debatte, die wir heute haben, berührt mich aus mehreren Gesichtspunkten. Erstens einmal als jemand, der selbst in der Stadtplanung und Stadtentwicklung schon bald 20 Jahre tätig ist. So wie die Frau GRin Abrahamczik sich an ihre ersten Schritte erinnern kann, war eines meiner ersten Dinge im Planungsausschuss in der Stadt die Debatte über die Donauquerung und die innenliegende Variante und dann die außenliegende Variante. Das ist etwas, was mich jetzt 20 Jahre verfolgt und mitgestalten lässt. Es berührt mich gleichzeitig, weil ich selbst von Beruf auch Bauingenieur bin, dazu möchte ich dann vielleicht auch noch ein paar Worte sagen. Und es bringt mich auch noch zum Nachdenken, weil ich auch Vater von drei Töchtern bin und die Debatte von den GRÜNEN heute sehr stark auf einen Brief fokussiert ist, den junge Damen und Mädchen bekommen haben - die hören mir vielleicht jetzt zu.

 

Ich habe die Debatte auch mit meinen drei Töchtern gehabt und ich habe nachgedacht, was würde ich jetzt machen, wenn meine drei Töchter auch jene Aktivistinnen wären, die das tun. Was hätte ich gemacht? Ich sage Ihnen ehrlich, im ersten Moment wäre ich schon stolz auf sie, wenn das Mädchen sind, die sich politisch einbringen, die sich Gedanken machen, die sich als Aktivistinnen auch in diese Debatte einbringen, das sage ich ganz offen. Ich hatte auch das Gespräch mit ihnen gerade jetzt am Samstag. Ich hätte wahrscheinlich dann versucht, ihnen meine Argumente zu erklären, vor allem eines der wichtigsten Argumente: Bitte nicht auf die

 

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