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Gemeinderat, 62. Sitzung vom 29.01.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 57 von 103

 

es eine kleine Gemeinde. In Frankreich gab es eine stetig wachsende Gemeinde. Das hat sich in den letzten drei Jahren geändert. Es wandern jedes Jahr noch mehr Juden und Jüdinnen als vorher aus, viele nach Israel, aber viele auch in andere Länder. Das ist ein steigender Antisemitismus, den man in Europa beobachten muss, leider. Deswegen finden wir es alle wichtig, dass wir heute die Wiener Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus in dieser Stadt gemeinsam verabschieden.

 

Ich möchte auf ein Beispiel verweisen, auf ein Museum, das vielleicht nicht allen bekannt ist, die großen kennen wir alle, und zwar ein kleines Museum im 3. Bezirk, das im Jänner eine vorher temporäre Ausstellung, jetzt fixe Ausstellung für das Kind macht. Wer dorthin gehen möchte, in die Radetzkystraße 5/Ecke Pfefferhofgasse, Salon der Galerie BEL-ART für das Kind, Museum zur Erinnerung an die Kindertransporte nach Großbritannien 38/39. Und was Sie dort sehen können, Sie können sich das auch online anschauen, ist: Im Keller sind Koffer von Kindern, die in dem Jahr, in dem das möglich war, 38/39 bis zum Tag des Kriegsausbruches, mit dem Zug nach London gefahren sind und so ihr Überleben sichern konnten ohne Eltern. Und die Vorstellung, dass dort ein Vater, eine Mutter hingeht und ein fünfjähriges, sechsjähriges, siebenjähriges Kind in den Zug hineinsetzt und dem Kind vielleicht noch alles Gute wünscht in dem Bewusstsein, es selber vielleicht nicht zu überleben, was ja dann auch Tatsache war, und das Kind nie wieder sehen wird, also da muss man jetzt nicht selber Vater oder Mutter sein, um zu spüren, dass das kaum zum Aushalten sein kann. In der Ausstellung sind die Koffer, die die Kinder damals mitnehmen konnten. Die Bilder davon haben sie jetzt in einer langjährigen künstlerischen Arbeit aufgearbeitet, was sie mitnehmen durften, mit kleinen Sätzen der Betroffenen, und dann ein Satz darunter, was mit ihrer Verwandtschaft passiert ist.

 

Ich nehme nur ein Beispiel: Die Ilse Melamit, damals 11 Jahre alt, aus Wien, hat in dem Koffer sehr wenige kleine Stücke dabei und hat hingeschrieben: „Diesen Koffer hat meine Mutter mit schwerem Herzen gepackt, aber sie rettete damit mein Leben.“ Und darunter steht: „Vater überlebte, Mutter und Schwester in Auschwitz ermordet.“ Und da haben Sie mehrere solche Koffer. Es ist schwer für Leute, die nicht Zeitzeugen waren, und davon gibt es heute nicht mehr viele, wenn man nicht Zeitzeuge/Zeitzeugin war und das Glück hatte, nicht Zeitzeuge sein zu müssen. Aber das sind dann die Beispiele, wo es einem noch einmal deutlicher und näher kommt und das auch zeigt, warum es so wichtig ist, heute diese Erklärung zu verabschieden. Es soll ja nicht nur eine Erklärung sein, in der wir erklären, wir sind gegen Antisemitismus, sondern sie verpflichtet uns, etwas zu tun, nämlich eine Monitoringstelle des Antisemitismus einzurichten, in der mit den wesentlichen Institutionen dieser Stadt in diesem Bereich zusammengearbeitet wird - Simon-Wiesenthal-Institut, Dokumentationsarchiv, Uni Wien, Boltzmann-Institut -, und ein Netzwerk gegen Antisemitismus eingerichtet wird, wo öffentliche Einrichtungen verstärkt mit diesen Aufgaben betraut werden, Bildungspläne zu verabschieden, Bildungsmaterial, PädagogInnen zu schulen, verstärkt Sport- und Fan-Vereine und die MitarbeiterInnen der Landespolizeidirektion. Das ist eine große Aufgabe. Das ist keine Verabschiedung 70 Jahre Auschwitz, wir machen eine Erklärung und das war es dann, sondern das ist ein Handlungsauftrag, um den Antisemitismus, der leider nicht nur in Frankreich, sondern auch hierzulande im Zunehmen ist, einzudämmen und dem entgegenzuwirken. Ich bedanke mich für die Zustimmung, danke. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Vorsitzender GR Dipl-Ing Martin Margulies: Ich danke sehr. Als Nächster zum Wort gemeldet ist StR Lasar.

 

14.55.35

StR David Lasar|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Stadträtin!

 

Zum Antrag betreffend Wiener Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus: Von den Vereinten Nationen wurde der 27. Jänner, der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Jahre 1945, zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt. Auschwitz, meine Damen und Herren, ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an den Juden, der erste Versuch einer technologisch organisierten Liquidierung eines ganzen Volkes. Am 27. Jänner 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee dort rund 8 000 überlebende Gefangene. Doch für viele Menschen kam jede Hilfe zu spät. Auschwitz war das größte NS-Vernichtungslager, mindestens 1,1 Millionen, zum großen Teil Juden, fanden dort den Tod. Trotz verschiedenster Bemühungen stellt der Antisemitismus heute auch in Österreich und in Europa, vor allem der islamische Antisemitismus ein großes antisemitisches Problem dar. Weiterhin ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem ist das natürlich auch in ganz Europa. Leider werden immer noch, auch in Wien, Straftaten begangen, die sich insbesondere gegen Juden richten. Umso wichtiger ist es, den Pädagogen, und hier speziell, aber nicht nur, den Religionsverantwortlichen den dezidierten Auftrag zu geben und sie ihrer Verantwortung bewusst zu machen und gegenüber Antisemitismus in Sprache, Schrift und Tun zu sensibilisieren, wachsam zu sein und vor allem zu reagieren. Es ist wichtig, wachsam zu sein, zu bleiben und autoritären Tendenzen entschlossen entgegenzutreten. Gerade in unserer Zeit besteht auf Grund der diversen Krisen die erhöhte Gefahr, dass Antisemitismus auf fruchtbaren Boden fällt, vor allem in Europa, wie man sieht, nach diesen Ereignissen, vor allem bei den Islamisten.

 

Erschreckend ist, dass 70 Jahre nach der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau die Judenfeindlichkeit wieder wächst und Juden in Europa oft in Angst und Schrecken leben müssen. Besonders schreckliche Ereignisse gibt es in Paris und die Tatsache, dass auch Menschen im Anschluss an den Terroranschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ von einem islamischen Attentäter in einem jüdischen Supermarkt umgebracht wurden, nur weil sie Juden waren. In weiterer Folge ist eine dramatische Steigerung des Judenhasses im islamischen Raum und unter den bei uns in Europa lebenden Muslimen zu verzeichnen. Bei

 

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