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Gemeinderat, 29. Sitzung vom 14.12.2007, Wörtliches Protokoll  -  Seite 90 von 117

 

jetzt geplant ist. (VBgmin Grete Laska: Der verlangt das aber nicht, der Antrag!) Und wir hoffen, dass die SPÖ dem Antrag, den meine Kollegin Sigrid Pilz einbringen wird, zustimmen kann. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Zu Wort gemeldet ist Frau Dr Pilz. Ich erteile es ihr.

 

GRin Dr Sigrid Pilz (Grüner Klub im Rathaus): Herr Vorsitzender!

 

Sehr viel ist nicht mehr hinzuzufügen, was David Ellensohn für die grüne Position gesagt hat. Wir haben lange und ausführlich in unserem Klub diskutiert. Ich verstehe alle Menschen, die sagen, „A Letter to the Stars" ist etwas, wo endlich in einer breiten Öffentlichkeit ein Thema diskutiert wird, das lange tabuisiert wird und das bei vielen Menschen immer noch tabuisiert wird. Alle die, die daher finden, „A Letter to the Stars" ist gut, kann ich verstehen. Ich kann sie verstehen, denn auf den ersten Blick hat es etwas sehr, sehr Beeindruckendes. Und ich treffe auch die Leute, die sagen, sie waren gerührt von den vielen weißen Rosen am Stephansplatz, wo dann Namen in die Lüfte gingen. Ich verstehe das. Das ist jetzt nicht zynisch gemeint, ich meine es ernst. Da werden Bilder verwendet, die an Emotionen rühren, da wird für viele Menschen auch deutlich, wir haben etwas gutzumachen, und endlich wird es laut gesagt.

 

Darum machen wir es uns nicht leicht, wenn wir trotzdem dagegen sind. Und ich verstehe auch die Lehrer und Lehrerinnen, die sagen: Endlich in dieser didaktischen Wüste zur Bewältigung des Nationalsozialismus und dieser Zeit gibt es ein Instrument, wo wir mit den Schülern und Schülerinnen arbeiten können. Ich verstehe auch diese Lehrer und Lehrerinnen, weil ich mich erinnere, wie schwierig es war, als meine Tochter mit 13 Jahren versucht hat, ein Referat zu halten und wir eigentlich überall hingelaufen sind, um Material zu finden. Es war sehr, sehr schwierig, Kindgerechtes, Vernünftiges, Bearbeitbares, Begreifbares zu bekommen. Ich verstehe Lehrer und Lehrerinnen, die sagen: Endlich gibt es Didaktik, gibt es Materialien.

 

Wir sind dagegen und ich bin als Pädagogin dagegen, weil aus dieser Emotion, aus diesen Bildern, aus diesen weißen Rosen, die in den Himmel steigen, nichts gemacht wird, was man vertreten kann, wenn die Emotion verklungen ist. Und die Bilder sind die verkehrten Bilder. Die weiße Rose ist ein wichtiges Symbol im Widerstand. Jeder, der sich mit der Geschichte beschäftigt, weiß, wofür die weiße Rose steht. Und sie steht für einen wirklich bewunderungswürdigen, jugendlichen Mut in einem totalitären Regime, aber die weiße Rose steht nicht für Trauer in der jüdischen Kultur, in der jüdischen Religion. Und das ist es auch, was seitens der Lagergemeinschaft Ravensbrück kritisiert wurde, dass das Symbole sind, die sozusagen in der christlichen Gesellschaft, in der Erinnerungsarbeit der Tätergesellschaft wichtig sind und positiv wichtig sind, die aber sozusagen hinsichtlich des Selbstverständnisses von jüdischer Trauer die falschen Symbole sind. Denn das müssten Steine sein. Steine sind Symbole jüdischer Trauer. Und der Stephansplatz war definitiv der falsche Ort, denn das ist Zeichen mittelalterlicher christlicher, katholischer Kultur. Der Ort war falsch, die Symbole waren falsch, so die Lagergemeinschaft Ravensbrück. Und der Himmel ist in einer Weise falsch. Wer sich mit jüdischen Friedhöfen beschäftigt – und unser Kollege Schreuder macht das sehr eindringlich –, weiß, warum jüdische Friedhöfe bestehen müssen: Die Toten ruhen, bis sie auferstehen. Und der Himmel, wohin sie aufgefahren sind, ist auch ein sehr katholisches Bild.

 

Man muss also genau hinschauen und sich die Symbole genau anschauen, wenn man verstehen will, warum Menschen, die betroffen sind, und speziell jüdische verfolgte Österreicher und Österreicherinnen und andere verfolgte Juden und Nachfahren von vernichteten Juden und Jüdinnen meinen, das ist eine Vereinnahmung ihrer Art zu trauern.

 

Ich möchte hier einfach vorlesen, was seitens der Lagergemeinschaft Ravensbrück dazu gesagt wurde. Sie sagen hier: „Konsequent isoliert der Zugang von ‚A Letter to the Stars' daher die Deportation und Ermordung von der spezifischen Vorgeschichte und den Vorstufen der Vernichtung von Jüdinnen und Juden: dem Antisemitismus, ihrer Definition und Kennzeichnung, den gewalttätigen Übergriffen und Pogromen, den An- und Enteignungen ihres Eigentums und ihrer Wohnungen, den Schul- und Berufsverboten, den Vertreibungen, der Zerstörung" und so weiter und so weiter.

 

Und wenn Sie sich das Projekt im Detail anschauen – und ich habe sehr viel Zeit damit verwendet zu schauen, was hier auf der Homepage auch an Dokumenten zu finden ist –, dann sehen Sie, dass es das genau ist. Die Emotion und die Betroffenheit wird isoliert von den Tätern. Wir müssen – das müssen wir, das müssen Sie, das muss ich – in unserer eigenen Kultur, in unseren eigenen Familien suchen, wo da die Anknüpfungspunkte sind. Man macht es sich leicht, wenn man sozusagen auf das ätherische Opfer – das sage ich jetzt, wenn ich an das Bild mit der Rose und den Ballons denke – fokussiert und nicht sagt, wer hier Täter war, wer aus welchen Häusern verjagt wurde, wer von wem umgebracht wurde, und wie wir verwickelt sind. (VBgmin Grete Laska: Das war doch genau in einem Jahr die Geschichte!)

 

Ich habe mir angeschaut, was in den Briefen steht, in den „Letters to the Stars", ich habe mir anschaut, was die Jugendlichen schreiben. Und da schreibt einer an „den lieben Simon Saler", das ist einer der Opfer:

 

„Unsere Gedanken über den 2. Weltkrieg und über die Judenverfolgung möchten wir dir schildern. – stop – Ich finde: Es war eine Frechheit der Deutschen, dir und deinen Freunden so etwas anzutun. – stop – Ich finde auch: Ich empfinde tiefes Mitgefühl mit dir und deinem Volk (Juden). – stop – PS: Ich hoffe, dass du diesen Brief im Himmel empfängst. – stop"

 

Das Kind hat das sicher sehr, sehr ernst gemeint. Und ich will auch das Kind nicht zur Rechenschaft ziehen, aber schauen Sie, was drinnen steht: Es waren die Deutschen, die hier etwas begangen haben, „dir und deinen Freunden". Und er, dieses Kind, empfindet tiefes Mitgefühl mit „dir und deinem Volk". Es kommen keine Österreicher vor, nicht als Täter, und es geht auch nicht um jüdische österreichische Mitbürger. Es ist alles ganz

 

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