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Gemeinderat, 37. Sitzung vom 19.12.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 69 von 98

 

Wer der Postnummer 104 die Zustimmung gibt, bitte ich um ein Zeichen mit der Hand. - Das ist mehrheitlich, ohne FPÖ, angenommen.

 

Es liegt der Vorschlag vor, die Verhandlungen über die Postnummern 112, 123, 128 und 133 der Tagesordnung - sie betreffen Subventionen an das Wiener Filmarchiv der Arbeiterbewegung, an den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, an die Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands sowie an den Verein Orpheus Trust - zusammenzuziehen.

 

Wird dagegen ein Einwand erhoben? - Das ist nicht der Fall, wir gehen daher so vor.

 

Ich darf nun die Berichterstatterin, Frau GRin Winklbauer, bitten, die Verhandlungen einzuleiten.

 

Berichterstatterin GRin Renate Winklbauer: Ich bitte um Zustimmung.

 

Vorsitzende GRin Josefa Tomsik: Ich eröffne die Debatte.

 

Zum Wort gemeldet ist Frau GRin Cordon. Ich erteile es ihr.

 

GRin Waltraud Cecile Cordon (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich muss noch einmal auf die Exilkultur zu sprechen kommen. Denn die Exilkultur ist ein Stiefkind der Kultur.

 

Ich möchte Ihnen noch einmal ganz nachdrücklich schildern, was Exilkultur in erster Linie ist: Es ist die Kultur von 1938 - mit Vorläufern in den zwanziger und dreißiger Jahren - bis heute. Aus dieser Zeit betrifft es Kunst und Kultur, die von Österreichern geschaffen wurde und geschaffen wird, die um die Jahrhundertwende und in der Zwischenkriegszeit geboren worden sind und deren Werke - egal, ob bildende Kunst, Literatur oder Musik - verboten, vernichtet oder einfach nicht wieder an die Öffentlichkeit geholt wurde. Es betrifft Werke der Künstler, die vertrieben, ermordet oder einfach nie aus ihrem Exil nach Österreich zurückgeholt wurden. Auch heute noch leben Menschen, die in der NS-Zeit vertrieben wurden, in ihrem Exilland und schreiben in deutscher Sprache, zum Beispiel Stella Rotenberg und andere, die Sie vielleicht auch kennen werden.

 

Nun hat vor Jahren, der Finanzierung entsprechend, eine zaghafte Forschung nach verschollener Kunst in allen Sparten begonnen. Doch gerade diese Arbeit würde eine Finanzierung verdienen, die eine Forschungsarbeit in der ganzen Welt möglich macht. Ich sehe leider bis heute nicht wirklich ein mutiges Dazu-Stehen der politisch Verantwortlichen, um diese längst fällige Arbeit von den Institutionen wirklich tun zu können und um dieser Kunst und Kultur endlich den Stellenwert, den sie benötigt, auch geben zu können.

 

Endlich hat Österreich, mit ein bisschen Druck aus Übersee, sich bereit erklärt, in Sachen Restitution tätig zu werden. Auch die Arbeit von Menschen, die sich mit den verschollenen, vergessenen und zum Teil vernichteten Werken von Menschen beschäftigen, die ebenfalls vergessen, vertrieben oder vernichtet wurden, ist ein Teil der Restituierung des Kulturschaffens, und zwar nicht nur - das möchte ich, bitte, nachdrücklich sagen -, um die Künstler aus dem Vergessensein zu holen, sondern um uns eine Kultur zurückzugeben, die man auch uns gestohlen hat!

 

Hier klafft ein Loch. Auch für die nachfolgende Kultur klafft hier ein Loch, und es ist in der Verantwortung der Politik, hier eine Möglichkeit zu schaffen, dieses Kulturloch zu schließen. Leider versagt die Politik. Denn was wir den Vereinen und Institutionen, die sich mit so genannter Kultur im Exil beschäftigen, an Unterstützung zubilligen, ist ein Bettel, ist ein Nichts! Ob das Geld aus dem Kulturtopf oder aus dem Wissenschaftstopf kommt, es ist ein Nichts, es ist lächerlich.

 

Sehr geehrter Herr Stadtrat! Sie versäumen hier eine wichtige Aufgabe. Wäre früher damit begonnen worden, dann wäre schon vieles getan worden. Aber so liegt die Entscheidung darüber, wie die Politik mit der Verantwortung in dieser Sache umgeht, bei Ihnen, hier und heute! Das betrifft alle Sparten der Exilkultur - der Kultur auch, aber insbesondere der Exilkultur, und davon rede ich jetzt -, und ich bitte sehr darum, nicht mit der Arroganz der Nachkriegszeit darauf zu antworten, dass vieles in dieser Kultur minderwertig ist. Es ist genug Wertvolles darunter, für das es sich lohnt, von uns in demütiger und dankbarer Weise geehrt und wieder an die Öffentlichkeit geholt zu werden. Es liegt an uns, diese Schöpfungen wieder lebendig zu machen.

 

Jetzt komme ich im Besonderen noch auf den Orpheus Trust zu sprechen. Er befasst sich mit Musik und den geeigneten Methoden, der verfolgten Musik den ihr gebührenden Raum wiederzugeben. Hiefür gelten nun einmal spezielle Rezeptionsbedingungen, die sich auf die Beschäftigung mit den vom NS-Regime verfolgten Musikschaffenden und ihrer Musik auswirken. Musik muss gehört werden, es reicht daher nicht, sie einfach in einem Archiv zu sammeln oder meinetwegen ein paar Noten herauszugeben. Aber ich brauche Ihnen sicher nicht zu schildern, was das Hörbarmachen von Musik braucht. Es ist notwendig, ein Orchester dafür zu gewinnen und mit der Aufführung zu betrauen, und das kostet Geld. In Konzerten setzt der Orpheus Trust erste Impulse.

 

Der Orpheus Trust hat eine Beratungs- und Vermittlungstätigkeit zu erfüllen. Er hat eine Forschungstätigkeit zu erfüllen, er hat zu forschen und zu dokumentieren, und das in Form einer Datenbank. Ich gebe zu bedenken, dass diese Musik in der Ausbildung von Musikstudenten bis heute vollständig fehlt. Nach sieben Jahren Pionierarbeit ohne ausreichende Mittel und Mitarbeiter besitzt der Orpheus Trust heute die weltweit größte Sammlung an Informationen zu der vom NS-Regime verfolgten Musik, bei der sich ein Österreichbezug herstellen lässt - und heute kämpft der Orpheus Trust ums Überleben, weil die öffentliche Hand nicht gewillt ist, die Kosten für diese Arbeit des Vereins zu finanzieren! Bis Juli 2004 wird es möglich sein, dann ist Schluss! Das ist Österreich; zugegebenermaßen auch der Bund, aber auch Wien.

 

Ein EU-Projekt ist fraglich, da die MA 7 die Bestätigung einer Subvention nicht geben konnte. Ebenso ist

 

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