Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 25.11.2013:
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Europaweite Konferenz in Wien sagt Gewalt gegen Frauen den Kampf an

Gemeinsame Tagung von Stadt Wien, EIGE und WHO/Europa zu Strategien und intersektoralen Ansätzen – Wien hat vorbildliches Netz an Angeboten für gewaltbetroffene Frauen

Die Ergebnisse neuer Studien über Gewalt gegen Frauen, der dringende Bedarf an zuverlässigen und vergleichbaren Daten über das Problem, die Zusammenarbeit aller Sektoren der Gesellschaft zur Bekämpfung und Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, neue internationale Leitlinien für Gesundheitseinrichtungen zum Umgang mit Gewaltopfern sowie erfolgreiche Projekte und Maßnahmen wie das vorbildliche Netzwerk der Stadt Wien: Das sind zentrale Themen der europaweiten Konferenz „Eliminating Violence against Women - Intersectoral Approaches and Actions“ am 25. und 26. November in Wien. Rund 200 RepräsentantInnen von mehr als 50 Regierungen sowie UN- und anderen internationalen Organisationen, ExpertInnen, WissenschafterInnen und NGO-VertreterInnen treffen bei dieser Tagung zusammen, die gemeinsam von Stadt Wien, dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) sowie dem WHO Regionalbüro Europa ausgerichtet wird.

Der Termin ist symbolträchtig: Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und bildet den Auftakt für die weltweite Kampagne „16 Tage gegen Gewalt“, aus deren Anlass die Konferenzdelegierten gemeinsam mit den Wiener Stadträtinnen Sandra Frauenberger und Sonja Wehsely sowie zahlreichen NGOs die Anti-Gewalt-Fahne der Organisation „Terre des Femmes“ am Wiener Rathaus hissten.

Gewaltbekämpfung ist politisch-gesellschaftlicher Gesamtauftrag

„Gewaltschutz heißt, Frauen ihre Würde, die ihnen durch Gewalt genommen wurde, wieder zurückzugeben. Wir dürfen nicht aufhören, Gewalt gegen Frauen zu thematisieren und in den politischen Fokus zu rücken. Bewusstseinsbildung ist harte Arbeit, bringt uns aber unseren Zielen näher“, sagt Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. „So gelang in Österreich ein europaweit wegweisendes Gewaltschutzgesetz. Österreich gehörte auch zu den ersten Staaten, die das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorbehaltlos ratifiziert haben. Österreich hat mit November 2013 den Vorsitz des Europarats übernommen und wird in seiner Vorsitzführung besonders das Thema Gewaltschutz hervorheben.“

„Gewalt gegen Frauen darf in keiner Gesellschaft toleriert werden“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO Regionaldirektorin für Europa. „Um das zu erreichen brauchen wir nicht nur ein entschiedenes Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit, wir müssen auch Vorurteilen entgegentreten und mit Frauen und Mädchen arbeiten – nicht nur als Gewaltopfer, sondern als Akteurinnen des Wandels. Das erfordert eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit, alle Teile der Gesellschaft müssen in ein gemeinsames Vorgehen eingebunden werden, ganz in Übereinstimmung mit dem neuen Rahmenkonzept für Gesundheitspolitik in der Europäischen Region Health 2020.“

Gastgeberstadt Wien: Vorbildliche, dichte und vielseitige Angebote für gewaltbetroffene Frauen

Kein Zufall ist es, dass gerade die österreichische Bundeshauptstadt als Gastgeberin für die Konferenz fungiert, ist doch in Wien in diesem Bereich ein besonders vielfältiges Angebot etabliert.

So verfügt Wien über ein im nationalen und internationalen Vergleich besonders dichtes Netz an Beratungsstellen sowie Krisen- und Schutzeinrichtungen für Frauen und Mädchen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. „Die Stadt Wien unterstützt Frauen, die Gewalt erfahren, und hilft ihnen dabei, selbstbestimmt in ein freies Leben zu starten. Unser Gewaltschutznetz setzt an mehreren Hebeln an. Zentral sind dabei die Wiener Frauenhäuser, die mit 175 Plätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder die Europarats-Vorgabe von einem Platz pro 10.000 EinwohnerInnen übererfüllen“, betont Frauenstadträtin Sandra Frauenberger. Vier Frauenhäuser und 52 Nachbetreuungswohnungen mit insgesamt 288 Plätzen bieten in Wien einen sicheren Zufluchtsort und umfassende Betreuung und wurden als erste in Österreich mit einer dauerhaften Finanzierung auf solide Beine gestellt. Das ist nicht in allen österreichischen Bundesländern der Fall.

Die Frauenabteilung der Stadt Wien betreibt auch selbst zwei Einrichtungen, die Frauen und Mädchen Information, Beratung und konkrete Unterstützung anbieten: das Frauentelefon, das Rechts- und Sozialberatung anbietet, und den 24-Stunden-Frauennotruf. Der Frauennotruf führt jährlich mehr als 7.700 telefonische oder persönliche Beratungen durch (Zahlen 2012), wie Stadträtin Frauenberger erklärt: „Für schnelle Hilfe in schwierigen Situationen stehen beim 24-Stunden Frauennotruf rund um die Uhr BeraterInnen zur Verfügung, die Frauen und Mädchen unterstützen und die Betroffenen bei ihrem Weg aus der Gewalt begleiten. Neben diesen Angeboten der Stadt ist es besonders wichtig, sich mit anderen Organisationen und Institutionen gut zu vernetzen, um den bestmöglichen Schutz für Frauen zu gewährleisten. Außer der direkten Hilfe für die von Gewalt betroffenen Frauen sehe ich als Frauenstadträtin auch die Sensibilisierung der Gesellschaft als meine Verantwortung. Daher machen wir regelmäßig mit Kampagnen auf das Thema aufmerksam, denn in Österreich ist immer noch jede fünfte Frau von Gewalt im sozialen Nahbereich betroffen. Gewalt an Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung und muss aktiv bekämpft werden!“

„Opfer von Gewalterfahrungen leiden mehrfach", sagt die Stadträtin für Gesundheit und Soziales Sonja Wehsely. „Denn wenn die äußerlichen Wunden verheilt sind, sind die betroffenen Frauen noch lange nicht genesen, geschweige denn gesund.“ Die Stadt Wien hat ein vielfältiges Angebot im Gesundheits- und Sozialbereich, um diese Frauen, so gut es geht, zu unterstützen bzw. vorbeugend einzugreifen. „Seit 13 Jahren existieren in sechs Einrichtungen des Wiener Krankenanstaltenverbundes interdisziplinäre Opferschutzgruppen, die im Jahr etwa 450 Kontakte verzeichnen“, so Stadträtin Wehsely. 2009 wurde die Einrichtung dieser Gruppen landesgesetzlich geregelt und somit ein wichtiger Anstoß für eine bundesweite Regelung gegeben.

„Der Fonds Soziales Wien fördert im Bereich der Behindertenhilfe den Verein Ninlil, der sich für Frauen mit Lernschwierigkeiten oder Mehrfachbehinderung in puncto Beratung, Information und Empowerment engagiert sowie in der Wohnungslosenhilfe das Tageszentrum Ester für obdachlose Frauen, deren Wohnungslosigkeit sehr häufig in Zusammenhang mit Gewalterfahrungen steht.“ Auch die Wiener Gesundheitsförderung unterstützt mehrere Projekte im Zusammenhang mit Gewaltprävention: an Schulen, aber auch für von Menschenhandel betroffene Frauen und für Sexarbeiterinnen. Ein umfangreiches Präventions- und Betreuungsprogramm hat Wien im Rahmen des Frauengesundheitsprogramms für Mädchen und Frauen initiiert, die von Genitalverstümmelung (FGM) betroffen oder gefährdet sind. Seit 2009 verfügt Wien über eine Spezialambulanz zur medizinischen Beratung und Betreuung von verstümmelten Frauen, die unter anderem auch rekonstruktive Chirurgie anbietet. Für gynäkologische und geburtshilfliche Abteilungen, KindergartenpädagogInnen, SozialarbeiterInnen und andere MultiplikatorInnen werden Schulungen durchgeführt. Das Frauengesundheitszentrum FEM Süd betreut von FGM bedrohte oder betroffene Frauen und Mädchen. Intersektorale Zusammenarbeit wird groß geschrieben: Die Maßnahmen werden in einem FGM-ExpertInnenbeirat, in den fünf Magistratsabteilungen eingebunden sind, beraten und beschlossen.

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter

„Wir müssen dieses unsichtbare Verbrechen ebenso sichtbar machen, wie die vielen Formen, in denen geschlechtsspezifische Gewalt in der EU auftritt, von körperlicher und psychischer Gewalt in der Partnerschaft über sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung bis hin zu Zwangsprostitution, Menschenhandel und Genitalverstümmelung“, sagt Thérèse Murphy vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) in Vilnius. „Alle diese Erscheinungsformen stellen besonders eklatante Menschenrechtsverletzungen dar und spielen eine wichtige Rolle in der Geschlechterdiskriminierung, weil sie bestehende Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen widerspiegeln und verstärken.“

Neue Studie: Zuverlässige und vergleichbare Daten dringend erforderlich

In Europa gibt es nach wie vor Lücken, was Daten über Gewalt gegen Frauen oder die Betreuung der Opfer betrifft. Eine neue EIGE Studie1 zeigt, dass der derzeitige rechtliche Rahmen es nicht ausreichend ermöglicht, vergleichbare Daten zu generieren. Insbesondere gilt das für Daten über Opfer und Täter, den Zugang von Opfern zu Unterstützungsangeboten und die Ausstattung dieser Einrichtungen. „Unsere neuen Erkenntnisse zeigen sehr klar die Notwendigkeit der Harmonisierung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bei der Datensammlung auf, um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen“, sagt Thérèse Murphy mit Verweis auf die neue Studie, die auf der Konferenz erstmals präsentiert wird.

„Epidemische“ Dimensionen des Problems

Auch wenn sich die Dokumentation des wahren Ausmaßes von Gewalt an Frauen als schwierig erwiesen hat, zeigen aktuelle Studien, dass es sich um ein „globales Gesundheitsproblem epidemischen Ausmaßes“ handelt, wie ein heuer veröffentlichter WHO-Bericht feststellte. Der aktuellen WHO-Erhebung zufolge macht eine von vier Frauen in den 53 Ländern WHO Region Europa zumindest einmal in ihrem Leben eine geschlechtsspezifische Gewalterfahrung2. Daten der UNODC zeigen, dass in Europa durchschnittlich 18 Frauen pro Tag Opfer eines Tötungsdelikts werden, 12 von ihnen durch den Lebenspartner oder ein anderes Familienmitglied3. Neun von zehn Opfern von Gewalt in der Partnerschaft in der EU sind Frauen. In den EU-Mitgliedsstaaten reicht der Anteil von Frauen, die Opfer von physischer Gewalt durch ihre Partner werden, von 12 bis 35 Prozent4. Rund 140 Millionen Frauen und Mädchen weltweit leben mit den Folgen von Genitalverstümmelung5. 55 Prozent der geschätzten 20,9 Millionen Opfer von Zwangsarbeit sind Frauen und Mädchen, unter den geschätzten 4,5 Millionen Opfern von Zwangsprostitution sind 98 Prozent weiblich6.

Gewalt macht Frauen krank – Neue Guidelines unterstützen Gesundheitspersonal

Gewalt gegen Frauen hat dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit Betroffener. Eine große Zahl internationaler Studien zeigt, dass Gewaltopfer nicht nur unter den unmittelbaren gesundheitlichen Folgen von Gewalt wie Knochenbrüchen und anderen akuten Verletzungen leiden, sondern auch unter schwer wiegenden kurz- und langfristigen gesundheitlichen Folgen. „Bei Frauen, die Opfer sexueller oder häuslicher Gewalt wurden, kommt es beispielsweise signifikant häufiger zu Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen sowie zu Suizidversuchen und Suizid”, sagt die Wiener Frauengesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger. „Gewalterfahrung schlägt sich aber auch schmerzlich in gynäkologischen Problemen nieder wie Unterbauchschmerzen, einem höheren Risiko für untergewichtige Neugeborene, unerwünschten Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen. Wichtige Indikatoren, die auf eine Gewalterfahrung hinweisen, sind auch chronische Schmerzerkrankungen, Magen-Darmerkrankungen und ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand.“

Gesundheitseinrichtungen spielen eine zentrale Rolle in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, weil sie für Opfer von Gewalterfahrungen sehr häufig die erste professionelle Anlaufstelle sind. Auf der Konferenz werden daher auch neue WHO-Guidelines über eine wirksame Antwort der Gesundheitssysteme auf Gewalt an diskutiert. Sie enthalten Empfehlungen dazu, wie Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt als solche erkannt und klinisch betreut werden sollten, zur Erstversorgung, zur Fortbildung von Gesundheitspersonal, sowie Ansätze zur grundsätzlichen Gestaltung von Hilfsangeboten oder zur Frage einer Meldepflicht von Fällen häuslicher Gewalt.

  • 1 EIGE, Mapping the current status and potential of administrative sources of data on gender-based violence in the EU, 2013
  • 2 WHO Global and regional estimates of violence against women: Prevalence and health effects of intimate partner violence and non-partner sexual violence, 2013
  • 3 UNODC Global Study on Homicide, 2011
  • 4 http://eige.europa.eu/content/news-article/women-victims-of-violence-receive-insufficient-support-in-the-eu
  • 5 World Health Organization,“Female Genital Mutilation: Fact Sheet No. 241, 2012
  • 6 Figure derived from data based on a 2002-2011 reference period. International Labour Organization, ILO Global Estimate of Forced Labour: Results and Methodology, 2012

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