Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

November

Donnerstag, 1. November 1945

In einem Bericht des "Neuen Österreichs" über die jüngste Sitzung der Interalliierten Kommandantur heißt es: "Die Alliierte Kommandantur stellt mit größtem Missvergnügen fest, dass von seiten politischer Parteien Haushaltslisten und ähnliche Formblätter in Verkehr kommen, in denen die Frage der gegenwärtigen Zugehörigkeit zu einer der drei Parteien gestellt wird. Dieses Vorgehen ist im höchsten Grade unsauber und erinnert sehr an Nazimethoden. Die Alliierte Kommandantur erklärt daher kategorisch, alle Erzeuger, Herausgeber, aber auch Ausfüller derartiger Fragebögen zu bestrafen. Auch die Magistratsbehörde ist zu einer solchen Fragestellung nicht berechtigt". In den USA wird ein Komitee "Amerikahilfe für Österreich" gegründet. Die Schweiz startet eine Hilfsaktion für Oberösterreich. Bäckereibetriebe arbeiten am heutigen Feiertag bis 9 Uhr und verkaufen bis 11 Uhr Brot. Die übrigen Lebensmittelgeschäfte sind ebenfalls bis 11 Uhr geöffnet. Die Zerstörungen des Zentralfriedhofes - 500 Bombentreffer, 12.000 beschädigte oder vernichtete Gräber - wurden bereits zum Großteil beseitigt.

Freitag, 2. November 1945

In Berlin wird ein britischer Geheimdienstbericht über das Ende Hitlers veröffentlicht. Demnach "verübte Hitler am 30. April um 14.30 Uhr in der Reichskanzlei Selbstmord, indem er sich in den Mund schoss. Eva Braun vergiftete sich zur gleichen Zeit in der Kanzlei des Führers. Die beiden Leichen wurden verbrannt". Schweiz und Schweden beschließen die Anerkennung der österreichischen Regierung. Unterstaatssekretär Dr. Gruber erklärt gegenüber der Agence France Press, Österreich werde nach der Nationalratswahl um Aufnahme in die Vereinten Nationen ersuchen. Wiederholt werden "Tödliche Unfälle durch Leuchtgas" gemeldet. Wörtlich heißt es: "Infolge unsachgemäßer Handhabung der Gasleitung bzw. Schadhaftigkeit der Zuleitungen sind durch das Einatmen unverbrannt entweichenden Leuchtgases tödlich in ihren Wohnungen verunglückt". Im Anschluss daran werden eine alleinstehende Frau und zwei Ehepaare namentlich genannt. Die Straßenbahnlinie 118 nimmt den Betrieb auf dem letzten Streckenabschnitt zwischen Südbahnhof und Stadionbrücke wieder auf.

Samstag, 3. November 1945

Die Österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz nimmt ihre Arbeit wieder auf. In Zusammenhang mit einer Diskussion über den Grenzverlauf mit Jugoslawien berichtet das "Neue Österreich": "Schon hat die Kärntner Landesregierung angeordnet, dass in den Landesstellen mit sprachlich gemischter Bevölkerung jedes Kind beide Sprachen erlernen muss." Seit heute liegen bis einschließlich kommenden Donnerstag die Wählerverzeichnisse in den Magistratischen Bezirksämtern von 8 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr zur Einsichtnahme auf. In periodischen Abständen erscheint im "Neuen Österreich" der Titel "Nicht auf dem Trittbrett stehen!" In Verbindung damit werden jeweils die neuesten Straßenbahn- und Stadtbahnunfälle gemeldet.

Sonntag, 4. November 1945

Nach einem Bericht der "New York Herald Tribune" werden die Lebensmittellieferungen nach Österreich verdreifacht. Unter anderem sollen in den nächsten Monaten 800 Tonnen Zucker, 740 Tonnen Fett sowie Trockenmilch, Eipulver und Kaffee geliefert werden. Die ÖVP veröffentlicht ihren Wahlaufruf. Darin heißt es: "Die Österreichische Volkspartei tritt mit keinen Versprechungen vor ihre Wähler, sondern mit dem heißen Bekenntnis zu Österreich, zur österreichischen Mäßigung, die jeden mitarbeiten lassen will, der ehrlichen Willens ist auch dann, wenn er zeitweise Fehler begangen hat. Die Österreichische Volkspartei ist eine neue Partei, sie ist eine junge Partei, sie ist keine Partei von gestern, sie ist eine Partei von heute und morgen. Die Österreichische Volkspartei will ein neues, ein schöneres Österreich. Wer daran mitarbeiten will, ist willkommen, wo immer er auch gestern oder vorgestern gestanden hat, wenn er sich zu Österreich bekennt und frei von Schuld ist. Wir wollen das wahre demokratische, freie und selbständige Österreich. Wer hierbei mithelfen will, der wähle die Österreichische Volkspartei!" Nach einem Beschluss des Stadtsenats ist ein "Zeitgemäßer Umbau der Staatsoper" geplant. Für diesen Zweck wird ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben und ein Betrag von 30 Millionen RM budgetiert.

Montag, 5. November 1945

In der Woche bis 10. November werden in Wien folgende "Abschnitte der Lebensmittelkarte VII zur Einlösung" aufgerufen: "Brot und Mehl sind auf alle Abschnitte mit der Wochenbezeichnung III bzw. II/IV zu beziehen.... Hülsenfrüchte werden auf die über Hülsenfrüchte lautenden und mit der Wochenbezeichnung III versehenen Abschnitte verteilt. An Stelle von Hülsenfrüchten ist nach Lage des Vorrats der Bezug von Erbsenmehl, Bohnenmehl oder Maisgrieß möglich. Ein Anspruch auf eine bestimmte Sorte dieser Waren besteht nicht. Ohne Anspruch auf eine bestimmte Fettsorte kommen auf die mit III bezeichneten Abschnitte Speiseöl oder Schmalz zur Ausgabe....Als Fleischersatz werden im Laufe dieser Woche Käse und Trockenei geliefert. Es erhalten alle Personen über drei Jahre auf die beiden zusammenhängenden mit III bezeichneten 100 Gramm Fleischabschnitte je 75 Gramm Käse...." Die Wiener Stadt- und Landesbibliothek im Rathaus ist wieder zugänglich.

Dienstag, 6. November 1945

Der Kabinettsrat beschließt ein Rechtsanwendungsgesetz, das die Ausdehung der Gesetzgebung der provisorischen Regierung ab 10. November auf ganz Österreich vorsieht. Die Militärbehörden Großbritanniens überlassen der Gemeinde Wien 500 Lastkraftwagen, alles Fahrzeuge der ehemaligen deutschen Wehrmacht, die in Kärnten erbeutet wurden. Nach einem Bericht des "Neuen Österreich" ist "Der Weg zur Memphis noch weit". Aufgrund des Mangels an Energie und Transportmitteln läßt die Aufnahme der Zigarettenproduktion in Ostösterreich auf sich warten. Überdies ist Österreich von seinen traditionellen Rohtabak-Lieferländern abgeschnitten. Das Auftauchen von Zigaretten aus heimischer Produktion auf dem Schwarzmarkt wird damit erklärt, dass das Vorratslager der Tabakwerke im Arsenal kurz vor Kriegsende geplündert wurde. Ab heute gibt es wieder Straßenbeleuchtung auf der Ringstraße und in Teilen des 3. und 9. Bezirks. Eine Reparatur der II. Wiener Wasserleitung macht ihre Unterbrechung zwischen 9. November um 8 Uhr und 12. November um 18 Uhr erforderlich. In dieser Zeit ist Baden und Wäschewaschen verboten.

Mittwoch, 7. November 1945

Auf Initiative der amerikanischen Militärverwaltung treffen aus der Tschechoslowakei 17 Eisenbahnwagen mit Fensterglas für die Bevölkerung in Wien ein. Wegen Brennstoffmangels muss die Lokalbahn Wien - Baden den Betrieb vorübergehend einstellen. Unter dem Titel "Der Kampf gegen den Schleichhandel" berichtet das "Neue Österreich", dass die Wirtschaftspolizei bei Razzien im Resselpark und am Naschmarkt 32 bzw. 51 Personen verhaftet hat.

Donnerstag, 8. November 1945

Unter dem Vorsitz von Bürgermeister Körner sowie in Anwesenheit von Mitgliedern des Stadtsenats und sämtlicher Bezirksvorsteher zieht Vizebürgermeister Speiser Bilanz über die Gemeinschaftsarbeit in Wien. Wörtlich sagt er: "In den abgelaufenen acht Wochen wurden in den 21 Gemeindebezirken rund 128.000 Kubikmeter Schutt abgetragen.... Aus den Schuttmassen wurden alle für den Wiederaufbau der Stadt noch brauchbaren Materialien gesondert und gelagert, es wurden Ziegel vom Mörtel gereinigt und geschlichtet. Sand gesiebt und abgeführt,... Außer den gemeldeten Müll- und Schuttmengen wurden 1,275.000 Kilogramm Alteisen und Schrott aus acht Bezirken weggeführt, ferner in acht Bezirken 2,241.000 Ziegel gesammelt, ... Außerdem wurden Arbeitskräfte für Reparaturen am Gas-, Wasserleitungs- und Stromnetz, bei Dachreparaturen, Instandsetzungsarbeiten in Park- und Gartenanlagen sowie in Friedhöfen für die Aushebung von Gräbern, Exhumierungen usw. bereitgestellt. Zeitweise mussten auch der Holzaktion der alliierten Mächte sowie für Lebensmitteltransporte Kräfte zur Verfügung gestellt werden. Für alle diese Arbeiten wurden insgesamt 2,023.728 Arbeitsstunden von Nazi und 2,118.300 Arbeitsstunden von Nichtnationalsozialisten geleistet. ... Schließlich soll anerkennend festgestellt werden, dass den Wiener Frauen der Hauptanteil an diesen Arbeiten gebührt, sie haben in den meisten Fällen gleichwertige Arbeit geleistet". Die Arbeitspflicht ist damit in Wien beendet; ab nun können nur Freiwillige bei derartigen Tätigkeiten eingesetzt werden. Das "Neue Österreich" meldet, dass 500 Kinder aus Österreich zur Erholung in der Schweiz eingetroffen sind und es in Wien wieder zu Stromabschaltungen kommt. In den Sportnachrichten heißt es: "Es wird Ernst mit der Traberei!" und "Auch in der Freudenau geht's los!"

Freitag, 9. November 1945

Zur Entwicklung in Österreich erklärt General Clark, der US-Oberkommandierende in Österreich, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuter: "Wir sind äußerst optimistisch". In dem Gespräch zeigt er sich hinsichtlich Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel und Brennstoffen zuversichtlich. Von den Nazi ins Salzkammergut verschleppte und von der US-Armee beschlagnahmte Kunstwerke aus der Albertina und dem Kunsthistorischen Museum kommen zurück nach Wien. Die Kunstwerke sollten kurz vor Kriegsende auf Befehl des Gauleiters von "Oberdonau" Eigruber gesprengt werden, wurden jedoch von österreichischen Widerstandskämpfern gerettet. Kulturstadtrat Matejka erklärt vor Mitgliedern des KZ-Verbands unter anderem: "Der antifaschistische Block, den der KZ-Verband darstellt, muss auch in der Nazifrage in Aktion treten. Wie ist es möglich, dass die Nazi noch in ihren Villen und geräumigen Wohnungen sitzen können, während viele KZler und sonstige Antifaschisten nicht wissen, wo sie schlafen sollen? Die Nazis haben noch alles, Kleider, Möbel, Radioapparate und auch sonst allen Komfort. Ihre Opfer haben kaum etwas zum Anziehen, ganz zu schweigen von erträglichen Lebensbedingungen". Die Alliierte Kommandantur übt folgende Kritik: "Die Kommandanten der vier Besatzungsmächte erklären einstimmig, mit den bei der Verteilung der Lebensmittel an die Wiener Bevölkerung von der Stadtverwaltung gebrauchten Methoden außerordentlich unzufrieden zu sein. Dieser Vorwurf trifft hauptsächlich die für die Verteilung verantwortlichen Zentralstellen unter der Leitung von Stadtrat Fritsch und Oberamtsrat Werner". Gleichzeitig wird die Einsetzung einer Untersuchungskommission angekündigt. Zum Mangel an Arbeitskräften heißt es: "In Wien stehen gegenwärtig im Gebiet der Gaswerke 250 Waggon Kohle, die nicht entladen werden können und dadurch auch für den weiteren Antransport lebenswichtiger Güter blockiert sind".

Samstag, 10. November 1945

Bei der Sitzung des Alliierten Rates geben die Vertreter Großbritanniens und der USA bekannt, dass ihre Regierungen Vertreter bei der Provisorischen Staatsregierung Österreichs ernannt haben und diese einladen, ebenfalls Vertreter nach London bzw. Washington zu entsenden. Staatskanzler Renner tritt eine Reise in die westlichen Bundesländer an und macht in Linz für Gespräche mit der oberösterreichischen Landesregierung Station. Austro-Fiat liefert die ersten beiden Lastkraftwagen aus. Es handelt sich um 5-Tonner mit 110-PS-Dieselmotoren. In den Morgenstunden wird ein Einbruch in des Kostümdepot des Burgtheaters im Ronacher entdeckt. Das "Neue Österreich" schreibt: "Alle Kostüme sind verschwunden".

Sonntag, 11. November 1945

Staatskanzler Renner reist nach Salzburg weiter und trifft im Chiemseehof mit Vertretern der Salzburger Landesregierung zu einer Beratung zusammen. Das "Neue Österreich" teilt in eigener Sache mit: "In letzter Zeit sind uns immer häufiger Briefe zugekommen, worin darüber Klage geführt wird, dass Kolporteure das 'Neue Österreich' nur für mehr als 20 Groschen verkaufen und außerdem nur dann die Zeitung abgeben, wenn der Käufer noch eine andere Zeitung miterwirbt. Wir stellen ausdrücklich fest, dass von Kolporteuren nur der am Kopf der Zeitung angegebene Verkaufspreis von 20 Groschen gefordert werden darf und die Koppelung mit einer anderen Zeitung unzulässig ist". Die Wasserwerke konstatieren ein bedrohliches Sinken des Wasserstandes während der Reparaturen an der II. Wiener Hochquellwasserleitung. Das Spiel Vienna gegen Ostbahn XI endet mit dem Sensationsresultat von 18:0; Decker schießt acht Tore.

Montag, 12. November 1945

Aus Washington wird gemeldet, dass der italienische Außenminister De Gasperi einen "erniedrigenden Frieden" für sein Land ablehnt. Unter anderem dürfe weder Triest noch Südtirol preisgegeben werden. Staatskanzler Renner trifft in Innsbruck ein. Nach Beratungen mit der Tiroler Landesregierung erklärt er in einer öffentlichen Veranstaltung, sein "Herzenswunsch" sei die Rückkehr Südtirols zu Österreich. Im Prater wurden 350 Bombentrichter, 340 Meter Schützengräben, 1.000 Schützenlöcher und 548 Autowracks beseitigt.

Dienstag, 13. November 1945

Nach einem Bericht der Wiener Handelskammer drückt sich "das Bemühen des österreichischen Volkes, seine Wirtschaft wieder aufzubauen, vor allem in der ungeheureren Nachfrage nach Gewerbescheinen und Konzessionen aus". Die Enquete für den Wiederaufbau Wiens formuliert in ihrer dritten Sitzung unter Vorsitz von Bürgermeister Körner einen Generalplan für dieses Ziel. Er setzt sich aus einem Sofortprogramm und langfristigen Maßnahmen zusammen. Die mitunter als Allheilmittel gepriesene Errichtung eines Zentralbahnhofs wird unter anderem deswegen verworfen, weil dadurch ein nicht zu bewältigendes Aufkommen an Straßenverkehr geschaffen würde. Ab 11 Uhr werden große Teile des 2. und 20. Bezirkes mit Leuchtgas versorgt. Die Gaswerke fordern aus diesem Anlass zu größter Sparsamkeit auf und erinnern daran, dass die Raumheizung mit Gas verboten ist. Aus der Schweiz trifft die erste Hilfslieferung für Wien ein: 21 Zehn-Tonnen-Lastwagen mit Lebensmitteln und Medikamenten.

Mittwoch, 14. November 1945

Die Generaldirektion der Staatsbahnen erklärt die Unzulänglichkeiten des Personenzugsverkehrs mit dem Vorrang für Militär- und Gütertransporte sowie mit Kohlemangel. Wörtlich heißt es: "Auch für die nächste Zukunft ist keine Verbesserung der Lage zu erwarten. Im Gegenteil! Wenn nicht vor Eintritt größerer Schneefälle ein mehrwöchiger Kohlevorrat beschafft werden kann, wird die Lage der Staatsbahnen noch schwieriger werden als bisher". Unter dem Titel "Amerika hilft stillenden Müttern und Kranken" meldet das "Neue Österreich", dass die USA bisher Lebensmittelzubußen für 220.000 Personen bereitgestellt haben, die über 33 Institutionen verteilt wurden. Hauptziel der Aktion sei es, die hohe Säuglingssterblichkeit zu senken. Die britischen Militärbehörden in der Steiermark und Kärnten engagieren 150 österreichische Skilehrer für die Ausbildung der Soldaten. Wegen des Diebstahls im Kostümdepots des Burgtheaters müssen die Premieren von "Die andere Mutter", "Jakobs Traum" und "Nathan der Weise" aufgeschoben werden, bis neue Kostüme hergestellt sind.

Donnerstag, 15. November 1945

Die Regierung verlangt in einer Note an den Alliierten Rat eine Volksabstimmung in Südtirol. Die Tschechoslowakei hat die Anerkennung der Provisorischen Regierung Österreichs beschlossen. Der Kabinettsrat droht mit "Schwerster Bestrafung für Wahlrechtserschleichung", nachdem ihm aus verschiedenen Landesteilen Informationen zugegangen sind, wonach Nazi trotz des über sie verhängten Wahlverbots in Wählerlisten aufscheinen. In einem Bericht über die jüngste Sitzung der Alliierten Kommandantur meldet das "Neue Österreich" den Rückgang der Säuglingssterblichkeit. Sie erreichte im Juli den Höchststand von 350 Todesfällen pro 1.000 Geburten. Mittlerweile ist der Wert auf 150 pro 1.000 zurückgegangen, während die Norm bei 50 pro 1.000 liegt. Zur Frage "Werden wir unsere Wohnungen heizen können?" zitiert das Blatt einen Sprecher des Brennstoffhandels. Demnach besteht brechtigte Hoffnung, dass ab Dezember pro Haushalt monatlich 100 Kilogramm Kohle abgegeben werden können; ein Ausfall könnte durch Brennholz wettgemacht werden. Importe von Fensterglas aus der Tschechoslowakei und das Anlaufen der Vollproduktion in der Brunner Glasfabrik schaffen die Voraussetzung, dass "pro Person zwei äußere untere Fensterflügel - keine Oberlichten - verglast werden können". Die Kriminalität passt sich den herrschenden Rahmenbedingungen an: "Einbruch in die Kartenstelle Nr. 47 aufgeklärt - Über 8.000 Brotmarken gestohlen". Die "Arbeiter-Zeitung" kündigt ein Wiederaufbau-Programm für Wien an, das den Bau von 8.000 Wohnungen pro Jahr vorsieht.

Freitag, 16. November 1945

Kriegsminister Lawson gibt im Unterhaus bekannt, dass sich derzeit noch 58.600 ehemalige Wehrmachtsangehörige österreichischer Nationalität in britischer Kriegsgefangenschaft befinden. Die Provisorische Regierung beschließt eine Novelle zum Verbotsgesetz, in der der Begriff "Illegaler" präzisiert wird. Der Kabinettsrat stimmt ferner einer "Befreiungsamnestie" zu; sie kommt Straftätern zugute, die zwischen 5. März 1933 und der Befreiung verurteilt wurden, sofern sie keine Kapitalverbrechen begangen haben. Das "Neue Österreich" berichtet über einen Großbrand im Messepalast. Das Feuer brach in den ehemaligen Ausstellungshallen aus und griff rasch auf das Hauptgebäude über. Zerstört wurden auch hier gelagerte Möbel von Bombenopfern. Die E-Werke rufen die Hausbesitzer auf, Glühlampen als Ersatz für die noch nicht einsatzfähige Straßenbeleuchtung vor den Haustoren anzubringen. Stadtverwaltung und Glaserinnung erlassen gemeinsam exakte Richtlinien für die Fensterverglasung.

Samstag, 17. November 1945

Das "Neue Österreich" meldet: "Wechsel in der Leitung des Wiener Ernährungswesens". Die KPÖ nominiert statt Stadtrat Fritsch dessen bisherigen politischen Sekretär Ernst Fellinger. Fritsch ist nämlich von der KPÖ zur SPÖ übergetreten. Außerdem haben ihm die Alliierten schlechte Arbeit bei der Organisation der Lebensmittelverteilung vorgeworfen. Ein Drittel der Wiener Haushalte kann bereits stundenweise Gas beziehen.

Sonntag, 18. November 1945

Unter dem Titel "UNRRA-Kommission nach Österreich" schreibt das "Neue Österreich": "Der Alliierte Rat für Österreich sei außerstande, in aller Form um UNRRA-Hilfe anzusuchen, weil das russische Mitglied keine Erklärung über den Bedarf in der russischen Zone abgeben könne. Die Russen hätten aber um Entsendung eines Sachverständigung zur Prüfung der Lage ersucht." Das Blatt meldet weiter "Das Ende der Reichsmark in Österreich" und schreibt: "Der Reuter-Korrespondent meldet aus Wien, dass der Alliierte Rat .... in der Frage der Währungsreform zu einer einstimmigen Lösung gelangt ist. Diese Reform stand schon lange zur Debatte und zielt darauf hinaus, die Reichsmark und den alliierten Militärschilling zu ersetzen. Die Tatsache, dass die Reichsmark zwar in Österreich, aber nicht in den benachbarten Ländern wie Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien als gesetzliches Zahlungsmittel gilt, führte zu einer Überflutung Österreichs mit Reichsmark". Die Provisorische Regierung ordnet die neuerliche Durchsicht der Wählerverzeichnisse durch Gemeinde- und Ortswahlbehörden an, in denen alle drei Parteien vertreten sind. Bei einem Treffen von Vertretern der E-Wirtschaft aus allen Bundesländern wird die Erhöhung der Stromlieferungen nach Wien zugesagt. Die Republik Österreich veranstaltet eine Wiederaufbau-Lotterie; aufgelegt wird eine Million Lose zum Nennwert von 100 RM. Nach einem 7:3-Sieg über Helfort ist Austria Fußball-Herbstmeister in der Obersten Spielklasse.

Montag, 19. November 1945

In einer Wahlveranstaltung in Kärnten erklärt Vizekanzler Dr. Schärf, Österreichs Südgrenze stehe außer Diskussion. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf einen Brief von Stalin an Staatskanzler Renner, in dem es heißt: "Sie können sicher sein, dass Ihre Sorge für die Unabhängigkeit, Gänzlichkeit und das Wohlergehen Österreichs auch meine Sorge ist." Der Straßenbahnverkehr auf dem Ring wird wieder aufgenommen. Und zwar verkehrt die Linie D vom Franz-Josefs-Bahnhof bis zur Urania, die Linie T vom Schottenring bis zur Wollzeile und von dort über die Landstraßer Hauptstraße nach St. Marx. Bei den Lebensmittelaufrufen kommt Fleisch zum Zug: "Alle Verbraucher über 6 Jahre erhalten diesmal 200 Gramm Fleisch und 100 Gramm Salzfische". Allerdings heißt es: "Kaffee und Salz werden für die Versorgungsperiode VIII noch nicht aufgerufen". Die Lipizzaner der Spanischen Reitschule, 70 Hengste und 250 Stuten, werden mit Hife der Besatzungsmächte von St. Martin im Innkreis nach Wien zurückgebracht.

Dienstag, 20. November 1945

Der Nürnberger Prozess beginnt. Das "Neue Österreich" schreibt: "Ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung". Angeklagt sind 20 führende Nationalsozialisten mit Hermann Göring an der Spitze. Die Donau ist wieder bis zur Mündung schiffbar. Eine britische Parlamentskommission trifft zur Wahlbeobachtung in Österreich ein. Staatskanzler Renner trifft in Graz mit der steirischen Landesregierung zusammen. Unter der Schirmherrschaft der US-Armee werden 10.000 österreichische Kinder zu einem dreimonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz gebracht. Der britische Ernährungsminister verbietet Privatpersonen, sogenannte Liebesgabenpakete mit Lebensmitteln nach Deutschlund und Österreich zu schicken. Die britischen Sicherheitsbehörden melden die Verhaftung von 2.500 Nazi in der Steiermark. Ernst Fellinger wird im Stadtsenat als neuer Stadtrat für Ernährungsfragen angelobt. Der Stadtsenat beschließt die Einsetzung eines neunköpfigen "Technischen Beirats für den Wiederaufbau Wiens". Nach einer Meldung des "Neuen Österreich" hat eine Einbrecherbande der Polizei beim Arsenal ein regelrechtes Feuergefecht geliefert.

Mittwoch, 21. November 1945

Bei seinem Besuch in Kärnten erklärt nun auch Staatskanzler Renner, Stalin habe in einem Brief festgestellt, dass die Südgrenze Österreichs unantastbar sei. Die Stadtbahnstation Josefstädter Straße ist auch in Richtung Friedensbrücke wieder benützbar. Hingegen muss die Station Alser Straße in beiden Fahrtrichtungen wegen dringender Erneuerungsarbeiten vorübergehend gesperrt werden. Das Team des Österreichischen Fußballbundes wird zwischen 2. und 9. Dezember in Wien ein Länderspiel gegen Frankreich austragen. Offen ist, ob das Match im Praterstadion oder auf dem Rapidplatz ausgetragen wird. Starker Schneefall beeinträchtigt das Leben in der Stadt. In Salzburg findet der Erste Österreichische Ärztetag statt, bei dem Österreichs Ärzte erstmals über die großen medizinischen Fortschritte in den USA und anderen Ländern informiert werden.

Donnerstag, 22. November 1945

Das Staatsamt für Handel wünscht, dass "Österreich wieder das Reiseland Europas" wird. Das "Neue Österreich" meldet, "Die Wahlurnen stehen bereit", und schreibt: "Doch lieber Wähler, gehe rechtzeitig zur Wahl, du ersparst dir manche Schererei: jede Partei wacht über dich, bist du mittags nicht an der Urne, so kommen nachmittags die 'Schlepper' und mahnen dich an deine Pflicht". Die Kagraner Brücke über die Alte Donau wird feierlich eröffnet. Die Stromversorgung Wiens verschlechtert sich; die Benützung von Heizkörpern wird gänzlich verboten. Das Holzsammeln und die illegalen Schlägerungen in den Wäldern um Wien erreichen einen Höhepunkt. Die Menschen fürchten den Winter.

Freitag, 23. November 1945

Ein BBC-Kommentar für Fragen der Volkswirtschaft befasst sich mit Österreich und betont die schwierige Versorgungslage von Wien. Wörtlich sagt er: "Der Hauptanteil im Kampf ums Überleben fällt jedoch dem österreichischen Volk zu, und man kann sagen, dass in den letzten Monaten erstaunliche Fortschritte erzielt wurden. Österreich hat bereits wieder eine staatliche Organisation,... Wenn alle Kräfte zusammenwirken, dann dürfen wir auf eine Wiederholung des alten 'österreichischen Wunders' hoffen und Österreich wird leben." Der Alliierte Rat hat angeordnet, dass die Wahlergebnisse nur tagsüber in der Zeit zwischen 9 und 15 Uhr bekanntgegeben werden dürfen. Die Versorgung mit Milch verschlechtert sich wegen unregelmäßiger Bahntransporte. Es werden nur Säuglinge bis einem Jahr mit drei Viertel und Kinder bis drei Jahre mit einem Viertel Liter berücksichtigt. Die Generaldirektion der Staatsbahnen kann aufgrund von Kohlemangel fahrplanmäßige Züge nicht garantieren. Zündhölzer sind in Wien Mangelware. Die Aufnahme der Feuerzeugproduktion scheitert am fehlenden Messingblech. Der Stadtsenat beschließt 500.000 RM für die Erschließung eines Braunkohlebergbaus in Stinkenbrunn bei Ebenfurt bereitzustellen.

Samstag, 24. November 1945

Für die Nationalrats- und Landtagswahlen am Sonntag wurden um 700.000 Wählerinnen und Wähler weniger registriert als 1930. Der Rückgang beträgt österreichweit 18 und in Wien 30 Prozent. Auf einen wahlberechtigten Mann kommen zwei wahlberechtigte Frauen. Das "Neue Österreich" erläutert unter dem Titel "Wie wird in Österreich gewählt?" das Wahlgesetz und gibt unter der Überschrift "Was haben die Wähler zur Wahl mitzunehmen?" praktische Tips. Unter anderem heißt es: "Es wird den Wählern dringend empfohlen, sich der von den politischen Parteien ausgegebenen gedruckten Stimmzettel zu bedienen. Es können aber auch in den Wahllokalen amtliche Stimmzettel verlangt werden, die vom Wähler mit der Parteibezeichnung auszufüllen sind". Heute und morgen ist es verboten, alkoholische Getränke auszuschenken.

Sonntag, 25. November 1945

Rund 3,4 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über die Zusammensetzung von Nationalrat und Landtagen zu entscheiden. Österreichweit bewerben sich ÖVP, SPÖ und KPÖ um die Stimmen. In Kärnten kandidiert überdies die Demokratische Partei Österreichs (DPÖ), eine antiklerikale bürgerliche Gruppierung. Das "Neue Österreich" berichtet über die Antrittspressekonferenz von Stadtrat Fellinger. Er erklärt die Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung unter anderem mit dem ungeklärten Status der Wiener Gemeindebezirke 22 bis 26 und berichtet über die Wiederaufnahme der Arbeit in St. Marx. Im Lebensmittelaufruf für die kommende Woche schlägt sich das noch nicht nieder. Es heißt: "Salzfisch und Mehl statt Fleisch" und "Mehl statt Fett".

Montag, 26. November 1945

Das vorläufige Endergebnis der Wahlen wird bekanntgegeben. Demnach entfallen von 3,207.125 abgegebenen Stimmen auf die

  • ÖVP: 1,598.474
  • SPÖ: 1,428.441
  • KPÖ: 174.387
  • DPÖ: 5.823

Damit erhalten die ÖVP 85, die SPÖ 76 und die KPÖ 4 Mandate. Die Sitzverteilung in den Landtagen lautet wie folgt:

Bundesland

SPÖ

ÖVP

KPÖ

DPÖ

Wien

58

36

6

Niederösterreich

22

32

2

Oberösterreich

18

30

Salzburg

10

15

1

Tirol

10

26

Vorarlberg

7

19

Steiermark

20

26

2

Kärnten

18

14

3

1

Burgenland

14

17

1

In Wien beginnt die "Erste Etappe der Glasaktion". Bezugsberechtigt sind zunächst lediglich Ärzte, Familien mit Kleinst- und Kleinkindern, dauernd kranke Personen, Personen über 60 Jahre und KZler. Alle übrigen Personen werden später aufgerufen.

Dienstag, 27. November 1945

Trotz intensiver Erhaltungs- und Erneuerungsarbeiten am Stephansdom werden Gottesdienste nicht vor Ostern 1946 wieder aufgenommen. Schweden kündigt eine Hilfsaktion für Österreich an: Im Dezember soll eine Lastwagenkolonne mit 350 Tonnen Lebens- und Heilmittel Österreich erreichen. Bürgermeister Körner wird von den französischen Militärbehörden informiert, dass eine Aktion zum Rücktransport österreichischer Kriegsgefangener angelaufen ist, die bis 15. Dezember dauert. Nach einer Ankündigung der Wasserwerke muss die II. Hochquellenleitung für den Abschluss von Reparaturarbeiten zwischen 30. November um 1 Uhr und 2. Dezember um 23 Uhr neuerlich abgeschaltet werden.

Mittwoch, 28. November 1945

In Wien trifft ein UNRRA-Komitee zur Prüfung der Versorgungslage ein. Parteiobmann Figl spricht sich nach dem Wahlsieg der ÖVP für die weitere Zusammenarbeit aller drei Parteien aus. Die SPÖ beruft einen Parteitag für 14. Dezember ein. Die Auslandspresse reagiert durchwegs positiv auf Durchführung und Ausgang der Wahlen in Österreich. Die Bezirke 9, 14, 15, 16, 17, 18 und 19 werden ans Gasnetz angeschlossen. Wegen der "Größe des neu hinzukommenden Gebietes" wird zu besonderer Vorsicht "bei der ersten Inbetriebnahme der Gasgeräte" gemahnt. Gleichzeitig wird zu äußerster Sparsamkeit aufgerufen. Ab nun gilt eine durchgehende "Benützungszeit" von 5.30 bis 14 sowie von 18 bis 20 Uhr.

Donnerstag, 29. November 1945

Das "Neue Österreich" berichtet über die "Demission der Provisorischen Regierung". Der politische Kabinettsrat nimmt den Rücktritt der Regierung Renner entgegen und beauftragt sie mit der Fortführung der Geschäfte. Die ÖVP wird aufgefordert, eine Person namhaft zu machen, die eine neue Regierung bildet. Ein von Staatskanzler Renner vorgelegter Terminplan wird angenommen. Er sieht vor, dass der Nationalrat am 17. Dezember und der Bundesrat am 18. Dezember zur konstituierenden Sitzung zusammentreten. Am 20. Dezember folgt eine Sitzung der Bundesversammlung zur Wahl der Bundespräsidenten. Der Bundespräsident erteilt den formellen Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung. Sie stellt sich am 22. Dezember dem Nationalrat zur Abstimmung. Gleichzeitig beschließt der Kabinettsrat die volle Geltung des Verfassungsgesetzes von 1929. Dadurch wird die bundesstaatliche Gliederung Österreichs wiederhergestellt. Das "Konzentrationsprinzip" (Mitwirkung aller drei Parteien) soll nach einer Meldung des "Neuen Österreich" bei der Bildung der neuen Regierung gewahrt bleiben. Die "Times" rechnet mit größeren Kompetenzen für die neue österreichische Regierung. General Clark, der Oberkommandierende der USA in Österreich, geht davon aus, dass die Zahl der Besatzungstruppen auf 100.000 Mann reduziert werden kann. Das Staatsamt für Handel richtet angesichts des Kohlemangels einen Hilfsappell an die Staatengemeinschaft. Im Kampf gegen den Schleichhandel wurden nach einer Mitteilung der Alliierten Kommandantur im Oktober in Wien folgende Warenmengen beschlagnahmt: 52 Tonnen Erdäpfel, 200.000 Liter Wein, 4,7 Tonnen Mehl, 2 Tonnen Fleisch, 2 Tonnen Gemüse und 1,5 Tonnen Weizen.

Freitag, 30. November 1945

US-Präsident Truman verkündet das Ende der Dreierkonferenzen (zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion) zur Lösung internationaler Fragen. Künftig sei dafür die UNO zuständig. Der britische Unterstaatssekretär Mc Neil erklärt im Unterhaus, dass die britische Regierung eine Reduzierung der Besatzungstruppen anstrebt und mit den anderen Alliierten darüber verhandelt. Der Alliierte Rat in Wien spricht sich für die Wiederaufnahme des Postverkehrs mit dem Ausland (außer Deutschland und Japan) aus. Wegen der Reparaturen an der II. Hochquellenwasserleitung herrscht in Wien drei Tage Wassermangel. Wäschewaschen und Baden ist verboten. Die Milchzuteilung für Kinder wird neuerlich gekürzt. Die Polizei kündigt an, gegen unvorsichtige Straßenbahnbenützer einschreiten und Trittbrettfahrer anzeigen zu wollen. Das Länderspiel gegen Frankreich wird für 5. Dezember im Praterstadion festgesetzt. Das Vorspiel bestreitet eine Auswahl von Oberösterreich gegen das B-Team. Die Vorbereitungen laufen, wie das "Neue Österreich" meldet, nicht ganz nach Wunsche: "Das Training der beiden Mannschaften, das am Mittwoch auf dem Wackerplatz angesetzt war, fand nach Durchführung gymnastischer Übungen ein vorzeitiges Ende, da englische Besatzungstruppen den Spielplatz für ein Wettspiel in Anspruch nahmen".