Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

März

Donnerstag, 1. März 1945

Der für Ende Februar vorgesehene Wiederbeginn des Schulunterrichts muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden, weil es nach wie vor sehr kalt ist und kein Heizmaterial zur Verfügung steht. Die Schüler müssen jedoch einmal in der Woche zu einem Schulappell kommen, bei dem sie Hausaufgaben erhalten. - Die juridische Fakultät der Wiener Universität muss wegen der Kriegsschäden in die Hochschule für Welthandel, Franz-Klein-Gasse 1, übersiedeln. - Reichspropagandaminister Dr. Goebbels kündigt an, dass nun die Rückeroberung der verlorenen Gebiete beginnt. - Die Zeitungen melden zwei tödliche Unfälle bei Aufräumungsarbeiten nach Bombenschäden (Wasagasse und Margaretengürtel).

Freitag, 2. März 1945

In den slowakischen Bergen rücken die sowjetischen Truppen, unterstützt von slowakischen Partisanen, rasch in Richtung Preßburg vor. Weiter nördlich dringen sie in Breslau ein. - Alle regulären Theater Wiens sind im Sinne des "totalen Krieges" geschlossen. Im Volksheim Ottakring gastiert jedoch an zwei Abenden das Pradler Rittertheater, das ansonsten nur Vorstellungen für die Wehrmacht gibt.

Samstag, 3. März 1945

Nur mehr elf Wiener Straßenbahnlinien können normal verkehren: H2, 3, 5, 16, 25, 47, 48, 49, 60, 317 und 380. Die meisten anderen Linien sind wegen der Kriegsschäden eingestellt, einige verkehren verkürzt. - Die Wiener Lehrer, die wegen der anhaltenden Winterferien keinen Unterricht erteilen können, werden bei Schanzarbeiten im Burgenland oder in Rüstungsbetrieben eingesetzt. Kranke und alte Lehrer, auch Pensionisten, müssen im Wohnungsamt oder in den Lebensmittelkartenstellen arbeiten. - Amtlich wird daran erinnert, dass die Felle geschlachteter Kaninchen abzuliefern sind, "denn Wehrmacht und Rüstungsarbeiter brauchen dringend warme Kleidung".

Sonntag, 4. März 1945

Britische und amerikanische Truppen dringen in Italien rasch vor und haben bereits den Raum Bologna-Modena erreicht. Im Rücken der deutschen Front operieren italienische Widerstandskämpfer und stören den deutschen Nachschub schwer. - Zum letzten Mal werden in Wien deutsche Lebensmittelkarten ausgegeben. Aus ihrer Zahl ergibt sich ziemlich genau die Einwohnerzahl: 1,520.491. Darunter sind 59.112 Insassen von Arbeits- und Flüchtlingslagern sowie 36.788 ausländische Zwangsarbeiter mit verringerten Rationen. Außerdem wurden noch 2.011 Lebensmittelkarten für Juden mit dem Aufdruck "J" ausgegeben. Auf diese Karten gab es nur Brot und Erdäpfel, kein Fleisch und Fett. Außerdem durfte man nur in bestimmten Geschäften einkaufen, in denen es meistens überhaupt nichts gab. Fünf Jahre vorher, im März 1940, sind noch 58.843 Juden-Karten ausgegeben worden. Die Differenz von 56.832 erklärt sich aus den Deportationen in die Vernichtungslager.

Montag, 5. März 1945

Telefonbesitzer, deren Nummern mit A 5 oder R 3 beginnen (vor allem 20. und 5. Bezirk), können nicht mehr telefonieren. Sie können wichtige Mitteilungen mit höchstens 50 Worten Umfang bei der Post abgeben, die sie dann telefonisch weiterleitet. - Zeitungsberichte: "Amtswalterinnen und Gauwaltung der Deutschen Arbeitsfront, Leiterinnen und Mitglieder der Werkfrauengruppen der Betriebe versammelten sich gestern im großen Konzerthaussaal zu einem Appell, den die Gaufrauenwalterin Wachta-Tschech eröffnete, deren Höhepunkt eine Rede des Gauobmannes Schneeberger bildete. Wir haben trotz dem Anrennen unserer Feinde in West und Ost und trotz Luftterror keinen Grund zu verzweifeln. Wir haben uns noch nicht verausgabt. Unsere Gegner werfen alle Reserven in den Kampf, aber jeder Brunnen erschöpft sich einmal, und es kommt der Tag, wo wir wieder antreten werden. In diesem Endkampf werden wir die Sieger sein." - In der Urania werden wieder Märchenfilme gespielt, und zwar Mittwoch, Samstag und Sonntag um 14.30 Uhr "Das tapfere Schneiderlein".

Dienstag, 6. März 1945

An der Front in Ungarn intensivieren die sowjetischen Truppen ihre Stoßtrupp- und Aufklärungstätigkeit, ein deutlicher Hinweis auf eine bevorstehende Offensive Richtung Wien. - Amerikanische Truppen erreichen Köln. - Die Zeitungen bringen häufig Inserate der Schädlingsbekämpfer Leopold Göschlbauer (16, Hoppgasse 10) und A. Streit (2, Tandlmarktgasse). Sie versprechen die erfolgreiche Bekämpfung von Russen, Schwaben und Wanzen. ("Russen" und "Schwaben" waren die in Wien üblichen Ausdrücke für Küchenschaben und Kakerlaken).

Mittwoch, 7. März 1945

Der Polizeipräsident von Wien ordnet an, dass die als besonders sicher geltenden Luftschutzräume in den Flaktürmen "nur mehr weibliche Personen jeden Alters sowie männliche Personen unter 16 und über 65 Lebensjahren" benützen dürfen. - Die wenigen Straßenbahnzüge, die noch verkehren, sind überfüllt. Viele fahren auf den Trittbrettern mit. Dadurch kommt es täglich zu Unfällen. Allein am 7. März gibt es drei Schwerverletzte: Heinrich Winschitz (16 Jahre), Josef Lukacs (22 Jahre) und Friedrich Robrecht (50 Jahre).

Donnerstag, 8. März 1945

Amtliche Anzeige in allen Zeitungen: "Nachrichtenhelferinnen des Heeres werden laufend aufgenommen. Sofortige Einstellung möglich. Mindestalter 17 Jahre. Keine besonderen Vorkenntnisse, aber geistige Wendigkeit, gutes Gehör und Rechtschreibkenntnisse erforderlich. Ausbildung zur Funkerin erfolgt in Wien, Anfangsbezüge nach Tarifordnung AIX. Daneben bei Auslandseinsatz Einsatzabfindung. Anfragen und Bewerbungen an NH-Ausbildungsbereitschaft XVII Wien, 13, Hietzinger Hauptstraße 42c." - Der Reichssender Wien weist darauf hin, dass er von 18 bis 18.30 Uhr wieder einmal eine Eigensendung gestaltet, nämlich die lustigen "Heimatklänge". In der Sendung werden Soldatenwünsche erfüllt - von Luise Berger, der Spielmusik Zaruba, einem Schrammelquartett, der Waldviertler Bauernkapelle, dem Doppelquartett Schön und Pepi Koci. - Der Sportklub Helfort teilt mit, dass jeden Samstag auf dem Sportplatz ein Training stattfindet.

Freitag, 9. März 1945

Es ist nicht ersichtlich, warum manche politischen Verurteilungen bekannt gegeben wurden, die meisten jedoch nicht. Zeitungsmeldungen vom 9. März: "Der Mechaniker Johann Nirschi aus Wien, geboren 30. Juli 1912 in Wien, ein ehemaliger Marxist, hat in einem Schreiben an einen früheren Arbeitskameraden defätistische Äußerungen getan, insbesondere in hämischer Weise den Führer beschimpft. Nirschi wurde wegen Wehrkraftzersetzung vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Die Ehrenrechte wurden ihm für immer ab-erkannt." - Für Kinder bis 14 Jahren wird ein halbes Kilogramm Obst zugeteilt. Es besteht kein Anspruch auf Art, Sorte oder Qualität, überwiegend wird Dörrobst ausgegeben. - Der deutsche Wehrmachtsbericht meldet erfolgreiche Angriffe gegen sowjetische Stellungen beiderseits des Plattensees. In mehreren Sondermeldungen wird mitgeteilt, dass deutsche Kriegsschiffe die kleine Hafenstadt Granville in der Normandie angegriffen haben: "Sie zerstörten die Schleusen, schossen Stadt und Hafen in Brand." - Amerikanische Truppen erobern Köln und Bonn.

Samstag, 10. März 1945

In umfangreichen Anzeigen wird darauf hingewiesen, dass sich alle Personen, die ihren Wohnsitz verlassen, am neuen Wohnort unverzüglich bei der Polizei zu melden haben, Männer der Jahrgänge 1884 bis 1929 außerdem beim Wehrmeldeamt. Das bezog sich vor allem auf Menschen, die aus dem Kriegsgebiet geflüchtet waren. Wörtlich heißt es: "Jeder, der einen Meldepflichtigen beherbergt, hat sich durch Vorlage der abgestempelten Meldepapiere nachweisen zu lassen, dass die Meldepflicht erfüllt ist. Wird dieser Nachweis nicht unverzüglich geführt, so hat der Beherberger sofort bei der polizeilichen Meldebehörde Meldung zu erstatten. Wer von Personen weiß, die verdächtig sind, sich der Wehr- oder Arbeitspflicht zu entziehen, muss sofort bei der nächsten Polizeibehörde Anzeige erstatten. Die Verletzung der Meldepflicht ist strafbar. Wer die Meldung unterlässt, um sich seiner Wehr- oder Arbeitspflicht zu entziehen, wird als Deserteur behandelt." Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass jede Person jederzeit über ihr Wehr- oder Arbeitsverhältnis die nötigen Nachweise haben muss. - Daneben kleines Inserat: " Autodiebstahl. Montag, 5. März, abends, Währinger Cottage, hellbrauner Opel-Olympia, Kabriolett, gestohlen und auf Lastwagen abgeschleppt. Hohe Belohnung für Mitteilung verdächtiger Wahrnehmungen an nächste Polizeistelle oder Ruf A 18270."

Sonntag, 11. März 1945

Die Zeitungen berichten über eine Großkundgebung der Wiener Hitler-Jugend im Konzerthaus. Dort verkündet der Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach (ein Berliner, bis 1940 Reichsjugendführer): "Wiens Jugend ist zum Kampf für die Heimat bereit." - Von den vorgesehenen Spielen der Fußballmeisterschaft kann nur eines stattfinden: Vienna - mit einigen Spitzenspielern aus Norddeutschland, die in Wien als Soldaten stationiert sind - schlägt Austria 6:1. Das Spiel Admira-FAC wird in ein Freundschaftsspiel umgewandelt, weil FAC nur mehr drei Spieler der Kampfmannschaft zur Verfügung hat und acht Jugendliche einsetzen muss. Admira siegt 2:1. Die übrigen Spiele werden abgesagt, weil die Mannschaften nicht mehr elf Spieler aufbieten können.

Montag, 12. März 1945

Schwerster Luftangriff auf Wien. Neben den östlichen und südlichen Stadtteilen ist vor allem die Innenstadt betroffen. Die Staatsoper brennt aus, erheblich beschädigt werden auch Kunsthistorisches Museum, Burgtheater, Hofburg, Stephansdom und Volkstheater. Beiderseits des Donaukanals werden zahlreiche Gebäude zerstört, darunter das Hauptquartier der Gestapo in Wien, das ehemalige Hotel Metropol am Morzinplatz. Auch der Philipphof bei der Albertina wird völlig zerstört. In seinem Luftschutzkeller, der als sehr sicher galt und deshalb auch von vielen Leuten aus der Umgebung aufgesucht wurde, starben mehr als 200 Menschen. Nur einige der meist völlig verkohlten Leichen konnten geborgen werden. - Insgesamt erlitt Wien im März 1945 siebzehn Luftangriffe, die Bevölkerung verbrachte insgesamt mehr als 54 Stunden in den Luftschutzkellern (offizielle Alarmdauer 54 Stunden und 31 Minuten). Bei diesen Luftangriffen starben in Wien 1547 Menschen.

Dienstag, 13. März 1945

Der Führer Adolf Hitler richtet einen Appell an die Deutsche Wehrmacht: "Die Feinde schlagen, bis sie müde werden und zerbrechen." - Die Wiener Zeitungen berichten: "Ein kleines Erlebnis dieser Tage. Ein 67jähriger Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, ein Mann mit einer mit Tapferkeitsauszeichnungen bedeckten Brust, ein Mann, dem niemand die Last seiner Jahre ansieht, so munter ist er, hatte sich freiwillig zum Deutschen Volkssturm gemeldet und soll ärztlich untersucht werden. Da steht also der Siebenundsechzigjährige dem Arzt gegenüber, der schmunzelnd den frischen Mann betrachtet und dann wohlwollend fragt: "Na, was fehlt Ihnen denn?" - "Ein Gewehr!" ist die knappe Antwort bei zusammengeschlagenen Haken. "Wie meinen Sie das?", fragt der Arzt verwundert. - "Mir fehlt nichts als ein Gewehr!", entgegnet der Mann. "Und ich bitte Sie, mich von diesem Leiden zu befreien!" - Dann ist der Arzt im Bild. "Das will ich gern tun", sagt er lächelnd, untersucht den Mann und übergibt ihm nachher mit einem festen Händedruck das "Rezept", den Befund also, der dem Freiwilligen bald zu einem Gewehr verhelfen wird. - Amtlich wird verlautbart: "Der Zutritt von Frauen zu allen Boxveranstaltungen im Sportgau Wien ist bis auf weiteres gesperrt. Kozich, Sportgauführer:"

Mittwoch, 14. März 1945

Nur mehr die Straßenbahnlinien 10, 46, 47 und 309 verkehren normal. Verkürzt und teilweise umgeleitet fahren die Linien B, 2, 5, 8, 13, 45, 48, 49, 57, 59, 60, 62, 69, 74, 75, 80 und 118. Die übrigen fünfzig Linien und die Stadtbahn sind eingestellt. - Der Reichsverteidigungskommissar (Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach) weist darauf hin, dass alle Personen zur Bekämpfung öffentlicher Notstände herangezogen werden können und dass die betreffenden Arbeiten ohne jede Einschränkung auch während der Nacht und an Sonntagen sowie ohne zeitliche Begrenzung zu leisten sind. - Amtlich wird gemahnt, die Vollmilch - die es nur für Kinder gibt - und die Magermilch für Erwachsene in verschiedenen Gefäßen einzukaufen, damit den Kindern wirklich die fettreichere Vollmilch zugute kommt.

Donnerstag, 15. März 1945

Alle Zeitungen berichten: "Das Sondergericht Wien verurteilte die 38 Jahre alte Ehefrau Marie Kerschbaumer, Mutter mehrerer Kinder, deren Ehegatt im Felde steht, wegen verbotenem Umgang mit einem Kriegsgefangenen zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Die staatenlose, ledige, 40jährige Anna Thornten wegen desselben Verbrechens zu einem Jahr Gefängnis. Die beiden Angeklagten hatten in ihrem Wohnort Högelsdorf, Niederdonau, mit Kriegsgefangenen intime Beziehungen unterhalten. Die 35 Jahre alte Bäuerin Anna Stanzl, Mutter von vier Kindern, deren Verhältnis mit einem Kriegsgefangenen ein Kind entstammt, wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt." - Das Orchester Willibald Pech, das aus Kriegsversehrten besteht und deshalb auftreten darf, bringt im Volksheim Ottakring einen Querschnitt durch Lehar-Operetten. Gesang Vera Swoboda. - Alle "Jungen und Mädel" des Jahrgangs 1931 müssen sich bei der Hitler-Jugend melden. Nichtmeldung wird mit Geldstrafe von 150 Reichsmark, Haft und Entzug der Lebensmittelkarten bestraft.

Freitag, 16. März 1945

In einer offiziellen Erklärung heißt es, "dass der Gesundheitszustand der Wiener Bevölkerung trotz allen bestehenden Schwierigkeiten des sechsten Kriegsjahres außerordentlich günstig ist." Es wird hervorgehoben, dass die in weiten Teilen Europas auftretende Scharlach- und Diphteriewelle in Wien nur schwach zu spüren sei und dass Tuberkulose sowie Geschlechtskrankheiten weniger als im Ersten Weltkrieg zu registrieren sind. - Amtliche Verlautbarung: "Wer Briefe an Kriegsgefangene oder Internierte ins Ausland schreibt, muss sich darüber klar sein, dass alle Sendungen dort geöffnet und kontrolliert werden. Man unterlasse daher Mitteilungen jeder Art, aus denen der Feind Material für seinen Nachrichtendienst oder seine Propaganda entnehmen kann. Auch harmlos gemeinte Bemerkungen über innerdeutsche Verhältnisse oder über persönliche Nöte können vom Gegner aufgebauscht werden. Jeder Briefschreiber sei sich daher bewusst, dass er für die Verhinderung feindlicher Propagandalügen mitverantwortlich ist. Er bedenke auch, wie sehr er dem Briefempfänger sein Los erschwert, wenn er ihm Mitteilungen macht, die ihn seelisch belasten."

Samstag, 17. März 1945

Im Wehrmachtsbericht heißt es: "Östlich und nördlich Stuhlweißenburg wurden starke sowjetische Angriffstruppen durch wirkungsvolles Abwehrfeuer deutscher und ungarischer Verbände gefasst und ihre Spitzen nach geringem Geländegewinn aufgefangen." - In Wirklichkeit hat der sowjetische Angriff in Richtung Wien begonnen und gleich am ersten Tag beträchtliche Geländegewinne gebracht. - Entsprechend der Jahreszeit wird für Wien die Verdunklungszeit für 19 bis 5.30 Uhr festgesetzt.

Sonntag, 18. März 1945

Amtliche Mitteilung: "Auf Grund der durch die letzten Luftangriffe entstandenen Schäden im Strom-, Wasser- und Gasnetz sind viele Wiener Haushalte vorübergehend nicht in der Lage, warmes Essen zu bereiten. Über Weisung des Reichsverteidigungskommisars wird daher in der gegenwärtigen Zuteilungsperiode je Verbraucher über sechs Jahre 500 Gramm Brot ausgegeben." - Zeitungsbericht: "Donnerstag war der Zeremoniensaal der Hofburg Stätte einer kurzen, würdigen Feier für den vor dem Feind gefallenen Oberleutnant Alfred Wimmer, dem der Führer nach seinem Heldentod das Ritterkreuz verliehen hat. In Anwesenheit von hohen Vertretern von Partei, Staat und Wehrmacht, unter denen man den Stellvertretenden Gauleiter SS-Brigadeführer Scharitzer und Bürgermeister SS-Brigadeführer Blaschke sah, überreichte der Wehrmachtskommandant von Wien Generalleutnant Merker dem Vater des Gefallenen die hohe Auszeichnung." - Amtliche Verlautbarung: "Die Schülerinnen aller Jahrgänge der Wirtschaftsoberschulen Akademiestraße und Schönborngasse, die noch nicht im Arbeitseinsatz stehen, haben sich am Montag, dem 19. März 1945 um 8 Uhr früh im Gebiet Wien, 8., Albertgasse 35, zwecks kurzfristigem Kriegseinsatz bei der Deutschen Reichspost einzufinden."

Montag, 19. März 1945

Die sowjetische Offensive in Richtung Wien macht rasche Fortschritte. Im deutschen Wehrmachtsbericht vom 20. März heißt es über die Kämpfe am Vortag: "Zwischen Stuhlweißenburg und Felsoegalla setzte der Gegner mit etwa 20 Schützendivisionen und zahlreichen Panzerverbänden seine Angriffe fort und konnten den Einbruchsraum an den Ausgängen des Veltes-Gebirges nach Nordosten erweitern. Hier kam er jedoch nach erbitterten Kämpfen vor unserer Abriegelungsfront westlich Tata zum Stehen. Am Ostrand des Bakony-Waldes wurden die feindlichen Angriffstruppen schon nach geringem Geländegewinn aufgefangen." Für genaue Leser wurde so erkannt, dass Stuhlweißenburg (Szekefehervar) und Tata von der Sowjetarmee eingenommen wurden. - Zeitungsmeldung: "Unsachgemäße Handhabung von Gasgeräten war zum Wochenende die Ursache zahlreicher Leuchtgasvergiftungen. Alle Verunglückten wurden jedoch glücklicherweise rechtzeitig aufgefunden. Drei von ihnen mussten allerdings bewusstlos in Spitalspflege geschafft werden." Ursache der vielen Unfälle war, dass die Gasversorgung nur stundenweise erfolgte. Vergaß jemand nach der Unterbrechung der Versorgung, das Gerät abzuschalten, so strömte das damals noch giftige Gas beim Wiedereinschalten der Versorgung unverbrannt aus. Die Gasgeräte hatten noch nicht die heute vorgeschriebenen Sicherungen.

Dienstag, 20. März 1945

Adolf Hitler empfängt im Führer-Hauptquartier Angehörige der Hitler-Jugend im Alter von 15 und 16 Jahren, die sich als Soldaten ausgezeichnet haben und mit dem Eisernen Kreuz belohnt wurden. Er schüttelt jedem einzelnen die Hand. - Amerikanische Truppen erobern Bonn, Koblenz und Kaiserslautern. - Die "Ohne-Pause-Lichtspiele", Graben 29, bieten außer der Wochenschau und den Frontberichten Kurzfilme über Tiroler Standschützen, Stierkämpfe in Spanien, die Wiener Eiskunstläuferin Eva Pawlik, eine Lawinenkatastrophe in Hallstatt, das Ferienparadies Dubrovnik und dazu den Farbentrickfilm "Der Störenfried". - Der Leiter der Hauptabteilung Wohnungs- und Siedlungswesen der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, SA-Oberführer Walter Rentmeister, Gebietsquartiermeister, ordnet an: "Alle in Groß-Wien gelegenen Wohnräume, die einen geringeren tatsächlichen Gesamtbelag als zwei erwachsene Personen je Zimmer und eine Person je Kabinett (unter 16 Quadratmeter Bodenfläche) aufweisen, sind zu melden. Wohnungsbenützer unter 10 Jahren zählen je zwei als eine Person." Wer die Meldung unterlässt, wird gemäß § 34 des Reichsleistungsgesetzes mit Haft- und Geldstrafen belegt.

Mittwoch, 21. März 1945

Mit Inseraten wird aufgefordert, Lose für die Staatliche Lotterie zu kaufen. Ein Los kostet 24 Reichsmark, es gibt auch entsprechend billigere halbe, Viertel- und Achtellose. Ziehung ist am 24. April (an dem es dann allerdings in Wien schon einen anderen Staat, das demokratische Österreich, gab). - Anderes Inserat: "Keiner kann mehr geben als er hat! Jeder Kaufmann macht es sich heute zur besonderen Pflicht, die knappen, aber markenfreien Nahrungsmittel, wie Knorr-Suppenwürfel und Soßenwürfel, gerecht zu verteilen. Allerdings kann er der heute so enormen Nachfrage nicht immer entsprechen, da auch die Rohstoffe, die man für Suppenwürfel und Soßenwürfel braucht, größtenteils für die Wehrmacht verarbeitet werden. Denn - Nahrung ist Waffe!" - Über das geplante Fußball-Meisterschaftsspiel Wacker gegen Sportclub wird mitgeteilt: "Es fand keine Austragungsmöglichkeit und muss an einem späteren Termin nachgeholt werden."

Donnerstag, 22. März 1945

Zum letzten Mal agiert der Nazi-Henker im Wiener Landesgericht. Zehn Menschen werden mit dem Fallbeil geköpft. Unter ihnen ist DDr. Heinrich Maier, Kaplan von Gersthof, der einer Gruppe katholischer Nazigegner angehört hatte. Er war genau ein Jahr vorher, am 22. März 1944, nach der Messe in der Sakristei verhaftet, am 28. Oktober 1944 mit sieben seiner Kameraden zum Tode verurteilt und danach noch mehrere Wochen lang im Konzentrationslager Mauthausen gefoltert worden. - Letzter schwerer Luftangriff auf Wien. Betroffen sind vor allem die Bezirke 9, 16, 17, 18 und 19. Auch die Universität wird getroffen. - Der Bürgermeister der Stadt Wien SS-Brigadeführer Blaschke verlautbart: "Mit sofortiger Wirkung wird angeordnet: 1. Wasser darf in den Haushalten nur zum Trinken und Kochen und zur persönlichen Körperpflege verwendet werden. Auch dabei ist äußerste Sparsamkeit einzuhalten. 2. Jede andere Verwendung von Wasser ist untersagt. Ausnahmen sind nur zur Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln und zur Behandlung von Kranken zugelassen."

Freitag, 23. März 1945

Die Zeitungen bringen unter dem Titel "Körperformung durch Heeresdienst" einen Bericht von Oberarzt Dr. Paul Gerlach (Lüneburg): "Die körperformende Wirkung des Heeresdienstes ist stärker als erwartet. Es erwies sich, dass besonders der vielseitige Dienst bei der Infanterie, der marschierenden Truppe, den Körper des jungen Soldaten genauso formt wie etwa die mannigfaltige Ausbildung des Sportbeflissenen zum Mehrkämpfer. Es entsteht ein schlankwüchsig-muskulärer Typ, der sich als der brauchbarste Soldat erwiesen hat." - Kommentar zu den Luftangriffen: "Auf unserer Seite bringt jeder neue Angriff neues Leid über unser an sich schon so schwer geprüftes Volk. Ein Leid, an dem manche im ersten Augenblick zu zerbrechen vermeinen. Wenn aber dieser erste Augenblick überwunden ist, dann richten sich die Starken unter ihnen wieder auf zu einer Größe und Härte, die die anderen, Schwächeren, mitreißen, aufrichten, in ihre Herzen neue Hoffnung, neuen Glauben einflößen." - Amtliche Warnung: "Mit Rücksicht auf die Versorgungslage kann in Hinkunft ein Ersatz für abhandengekommene Lebensmittel-, Raucher- oder Seifenkarten nicht mehr geleistet werden." Wer seine Lebensmittelkarte verloren hat oder wem sie gestohlen wurde, der konnte bis zum Ende der vierwöchigen Zuteilungsperiode keine Lebensmittel einkaufen.

Samstag, 24. März 1945

Im Westen überschreiten britische und amerikanische Truppen in breiter Front den Rhein, Mainz und Ludwigshafen werden besetzt. Im Osten sind ganz Ostpreußen und der Großteil Schlesiens von der Roten Armee besetzt und in Ungarn dringt sie zwischen Donau und Plattensee rasch vor. Im Süden erreicht die jugoslawische Partisanenarmee jene Gebiete Jugoslawiens, die 1941 (nach dem Überfall Deutschlands auf Jugoslawien) zu Teilen der Reichsgaue Kärnten und Steiermark erklärt wurden. - Die NSDAP kündigt für die kommende Woche einige "Feierabendstunden" in Schulen und Volkshochschulen an. Themen sind Operneinführungsabende für "Der fliegende Holländer" und Operettenabende mit Schallplatten sowie Lesungen aus Schillers Werken.

Sonntag, 25. März 1945

Wegen Papiermangels haben die Zeitungen nur mehr vier Seiten. - Für die Haushalte wird ein "Hilfsbrikett" empfohlen: "4 kg Kohlengrieß oder Kohlenstaub mit 1 kg getrocknetem, gesiebtem Lehm und 1 Liter Wasser zu einem steifen Brei mischen, diesen von Hand zu Kugeln oder in alten Konservendosen zu Formen von 200 g (Trockengewicht) pressen. Dann an einem warmen Ort (Ofenröhre) trocknen und danach verheizen. Heizwert nur ein Drittel geringer als der des Grundstoffes, mithin eine gute Waffe gegen 'ihn' - den Kohlenklau!" - Kinderwagen, Fahrräder und dergleichen dürfen nicht in Luftschutzräume mitgenommen werden. - Es finden nur zwei Fußball-Meisterschaftsspiele statt, weil die anderen Klubs nicht mehr elf Spieler aufbringen können: Austria gegen Oberlaa-Felten 5:0, FAC gegen Rapid 2:1.

Montag, 26. März 1945

Tausende Menschen, vor allem Zwangsarbeiter aus Tschechien, Polen und der Sowjetunion, überwiegend Frauen, sowie verschleppte ungarische Juden arbeiten im Burgenland am Ausbau der Verteidigungsanlagen. Die Rote Armee erreicht inzwischen die Raab und überquert sie. Erstmals kreisen sowjetische Flugzeuge über Wien, während gleichzeitig amerikanische Verbände verschiedene Orte in Niederösterreich angreifen. Auf Wien fallen nur wenige und leichte Bomben, doch wird der längste Fliegeralarm registriert: Die Bevölkerung verbringt 5 Stunden und 20 Minuten in den Luftschutzräumen.

Dienstag, 27. März 1945

Die deutschen Truppen müssen Frankfurt am Main und Danzig aufgeben, in den französischen Alpen leisten sie gegen die neuformierten französischen Truppen nur mehr in kleinen Gruppen schwachen Widerstand. -Poststücke nach Kroatien werden nicht mehr angenommen. - Ab sofort gibt es die bis dahin üblichen Sonderzuteilungen von Lebensmitteln und Zigaretten für Hochzeiten und Hochzeits-Jubiläen nicht mehr.

Mittwoch, 28. März 1945

Die Rote Armee überschreitet nördlich von Güns (Köszeg) und westlich von Steinamanger (Szombathely) an zwei Stellen die österreichische (damals reichsdeutsche) Grenze und erreicht noch am gleichen Tag Rechnitz. - In Wien lädt die NSDAP zu einer Feierabendstunde unter dem Motto "Frohes Wien" in ihr Parteihaus am Schuhmeierplatz, einer für Parteizwecke beschlagnahmten Schule. - Die Wiener Hausfrauen werden daran erinnert, dass die Lebensmittelkarten nicht, wie aufgedruckt, bis 1. April, sondern bis 8. April gelten und man sich die erhältlichen Lebensmittel dementsprechend für einen längeren Zeitraum einteilen soll.

Donnerstag, 29. März 1945

Marschall Tolbuchin, der Befehlshaber der im Burgenland kämpfenden 3. Ukrainischen Front, erlässt einen Aufruf an die Bevölkerung Österreichs: "Die Rote Armee hat den Boden Österreichs betreten, nicht um österreichisches Gebiet zu erobern. Ihr Ziel ist ausschließlich die Zerschlagung der feindlichen deutsch-faschistischen Truppen und die Befreiung Österreichs von deutscher Abhängigkeit." In allen befreiten Orten Österreichs werden Plakate mit diesem Aufruf angeschlagen. - In Wien wird von NSDAP-Funktionären, Hitler-Jugend und Soldaten ein Flugblatt verteilt, das den Text für das "Volkssturm-Lied Nr. 1" enthält. Der Refrain lautet: "Es zittern die morschen Knochen/Der Welt vor dem großen Krieg./Wir haben den Schrecken gebrochen,/Für uns war's ein großer Sieg./Wir werden weitermarschieren,/Wenn alles in Scherben fällt,/Denn heute gehört uns Deutschland/Und morgen die ganze Welt."

Freitag, 30. März 1945

Während die Rote Armee im Burgenland rasch vorrückt, behauptet der deutsche Wehrmachtsbericht, dass noch immer in Ungarn gekämpft wird. Der Verlust von Danzig wird mit mehrtägiger Verspätung eingestanden. - Zum letzten Mal werfen amerikanische Flieger Bomben auf Wien, vor allem auf die südlichen Randgebiete. - Die Wiener Marionettenbühne, Währinger Straße 12, kündigt an, dass sie ab 1. April wieder täglich um 16 Uhr, Sonntag um 15 und 17.30 Uhr, Kindervorstellungen "Der höllische Luftballon" bietet. - Die Reichsbahndirektion teilt mit, dass Züge nur mehr mit Zulassungskarten benützt werden dürfen. Außerdem besteht keine Gewähr, dass angekündigte Züge tatsächlich verkehren.

Samstag, 31. März 1945

Wehrmachtsbericht: "Südwestlich Koermend und im Gebiet nördlich Guens konnten die Bolschewisten nach harten Kämpfen weiter vordringen." Wer eine Landkarte hatte, konnte nun auch nach dem deutschen Bericht feststellen, dass sowjetische Truppen auf österreichischem Boden standen. Tatsächlich sind schon 22 österreichische Gemeinden befreit, darunter Mattersburg. -Zeitungskommentar: "Damit hat sich der Feind der zweitgrößten Stadt des Reiches auf eine Distanz genähert, die Wien in neuem Sinn in den Bereich des frontnahen Kriegsgeschehens rückt. Es ist selbstverständlich, dass bereits entsprechende Gegenmaßnahmen angelaufen sind, die aber erst nach einer gewissen Zeit wirksam werden können. Unterdessen gilt für den Großraum Wien und die südöstlich anschließenden Gebiete, was für andere große Städte des Reiches im Osten und im Westen gegolten hat und mit Erfolg durchgeführt wurde: Es heißt, für alle Möglichkeiten bereit und gewappnet sein. In diese Richtung weisen die bereits getroffenen und möglicherweise noch folgenden Anordnungen des Reichsverteidigungskommissars Baldur von Schirach." (Schirach, geboren 1907 in Berlin, 1933-1940 Reichsjugendführer, 1940-45 Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien, im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu 20 Jahren Haft verurteilt, gestorben 1974). - Alle Besitzer und Fahrer von Kraftfahrzeugen und Pferdefuhrwerken müssen sich melden, kein Fahrzeug darf Wien ohne Sondergenehmigung verlassen. - Ostermontag, 2. April wird zum normalen Werktag erklärt, Bankfilialen und Lebensmittelgeschäfte müssen auch Ostersonntag von 7 bis 12.30 Uhr offen sein. Im Falle eines Fliegeralarms dauert die Offenhaltungspflicht bis eine Stunde nach der Entwarnung. - Folge der Straßenbahn-Umleitungen wegen Bombenschäden: In der Josefstädter Straße stoßen Züge der Linien 57 (sonst Gumpendorfer Straße) und 46 (sonst Lerchenfelder Straße) zusammen; drei Schwerverletzte. - Der Lainzer Tiergarten ist an Samstagen und Sonntagen von 8 Uhr bis zur Dämmerung geöffnet.