Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

Juni

Freitag, 1. Juni 1945

Heute wird die Erhöhung der Lebensmittelrationen in Wien wirksam. Das "Neue Österreich" registriert "Hochbetrieb in den Arbeitsnachweisstellen" und unterstreicht, dass auf den Arbeitsämtern unter österreichischer Ägide kein Befehlston herrscht. Nach verstärkter Anlieferung vom Land beginnt in einzelnen Bezirken die Ausgabe von Erdäpfeln, die im "Neuen Österreich" noch immer Kartoffeln genannt werden. - Die drei Parteien gründen den Verein "Volkssolidarität" für die Hilfe für Opfer des Faschismus und des Krieges.

Samstag, 2. Juni 1945

Der Chef des Generalstabs der 15. amerikanischen Armee gibt laut "Neuem Österreich" bekannt, dass in Deutschland "keinerlei politische Partei, gleichviel welcher Richtung, geduldet werden wird". In einer Besprechung der Wiener städtischen Bibliothekare stellt sich heraus, dass der "Lesehunger der Bevölkerung" groß ist und die "Werke Wiener und ausländischer Autoren" besonders gefragt sind. Das Finanzministerium legt fest, dass ein "Militärschilling", eine von den Westmächten ausgegebene Währung, gleich eine Reichsmark ist. Die Umstellung von Reichsmark auf die österreichische Währung mit Schilling und Groschen wird vorbereitet.

Sonntag, 3. Juni 1945

Das "Neue Österreich" berichtet in großer Aufmachung und unter dem Titel "Ein zweiter Massenmord in Stein" über ein weiteres Gewaltverbrechen der SS in der Strafanstalt. Demnach hat sich herausgestellt, dass Angehörige der SS nach der Ermordung von 400 für die Freilassung bestimmten Häftlingen in der Strafanstalt Stein am 15. April, als Wien bereits befreit war, weitere 44 Gefängnisinsassen umgebracht haben. Am Wiener Ostbahnhof trifft eine größere Gruppe von Überlebenden aus dem Konzentrationslager Dachau ein; sie wird offiziell von Vizebürgermeister Steinhardt begrüßt. Nach einem Bericht des "Neuen Österreich" ist die "Medikamentenversorgung Wiens sichergestellt", nachdem Chemosan-Union und Österreichische Heilmittelwerke die Produktion wieder aufgenommen haben. Zunächst hatte die Rote Armee Einrichtungen und Vorräte der beiden pharmazeutischen Betriebe beschlagnahmt und für den Abtransport vorgesehen. Die Eisenbahndirektion Wien begründet den Notverkehr auf der Schiene damit, dass es "am rollenden Material, an Kohle und an der entsprechenden Leistungsfähigkeit der vielfach nur provisorisch wiederhergestellten Bahnanlagen" fehle. Unter dem warnenden Titel "Nur abgekochtes Wasser" heißt es wörtlich: "Das Wasser aus der Wasserleitung und Hydranten im 2., 20. und 21. Wiener Gemeindebezirk ist kein Hochquellwasser, sondern stammt aus Notwasserwerken, sein derzeitiger sanitärer Zustand ist nicht unbedenklich. Bis auf ausdrücklichen Widerruf darf das Wasser in diesen Bezirken nur in gekochtem Zustand zum Trinken, Zähneputzen, Geschirrspülen und ähnlichem verwendet werden".

Montag, 4. Juni 1945

"Zu Beginn des heutigen Kabinettsrates," wird offiziell mitgeteilt, "leistete Staatskanzler Dr. Renner in die Hände des ältesten Staatssekretärs Buchinger die Angelobung, die folgenden Wortlaut hat: 'Ich gelobe, dass ich die Verfassung und die Gesetze der Republik Österreich unverbrüchlich beobachten und meine ganze Kraft in den Dienst des österreichischen Volkes und des Wiederaufbaues unserer schwergeprüften Heimat stellen werde.' Im Anschluss nahm der Staatskanzler die Angelobung der übrigen Mitglieder des Kabinettsrates vor." Vor einer Versammlung des Wirtschaftsbundes erklärt Staatssekretär Raab die "Lösung der Transportfrage" zu einer Grundvoraussetzung für Erfolge beim Wiederaufbau.

Dienstag, 5. Juni 1945

Aus dem Ausland wird gemeldet: "Die Kontrollkommission in Berlin", "Verstaatlichung in der Tschechoslowakei", "Amerikanische Flotte in japanischen Gewässern". Die "Österreichische Zeitung" meldet in großer Aufmachung aus Berlin: "Unterzeichnung der Deklaration über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der obersten Gewalt durch die Vertreter der vier Alliierten Mächte". Für die Wiener Welt des Sports ist folgender Titel bezeichnend: "Der Fußballsport breitet sich aus". Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse hat bereits wieder zu einer Steigerung des Zuschauerschnitts auf rund 5.000 Besucher pro Spiel geführt. Die Staatsoper spielt nun auch im Redoutensaal der Hofburg, Premiere ist "Wiener Blut" von Johann Strauß.

Mittwoch, 6. Juni 1945

Unter dem Titel "Verpflichtung deutscher Arbeitskräfte" berichtet das "Neue Österreich" aus Paris: "Der französische Minister für Wiederaufbau hat eineinhalb Millionen deutsche Kriegsgefangene und Arbeiter für Wiederaufbauarbeiten angefordert. Weitere 250.000 Deutsche werden im Bergbau, in der Landwirtschaft und Industrie Verwendung finden". Nach einem Tagesbefehl von Generalleutnant Blagodatow wird die Ausgehzeit bis 22 Uhr verlängert. Sie reicht ab sofort von 4 bis 22 Uhr. Der zivile Lastwagenverkehr ist unbeschränkt zugelassen. Das Wiener Wohnungsamt kündigt eine "Erfassung der Wiener Wohn- und Geschäftsräume" in der Zeit zwischen 18. und 20. Juni an. Die Polizeidirektion räumt eine letzte Frist für die Rückgabe von "Plünderungsgut" ein und weist eigens darauf hin, dass auch diese Form der Entwendung strafbar ist. In Salzburg nimmt der Radiosender "Rot-Weiß-Rot" unter amerikanischer Leitung den Betrieb auf.

Donnerstag, 7. Juni 1945

In einer Meldung aus London wird die Frage ventiliert: "Hitlers Leiche gefunden?" In dem Zusammenhang berichtet das "Neue Österreich": "Eine russische Fahndungsabteilung hat in der Berliner Reichskanzlei eine verkohlte Leiche aufgefunden, die möglicherweise die Leiche Hitlers sein könnte. Reuter meldet, dass nach einer genaueren Untersuchung der Zähne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass es sich um die Leiche Hitlers handelt." Im Aufmacher auf Seite 1 behandelt das Blatt die Bestimmungen der Viermächtedeklaration unter dem Titel: "Die Folgen der Niederlage Deutschlands". Unter anderem bleibt die staatliche Autorität bei den Alliierten, wird das Land in vier Besatzungszonen aufgeteilt und kommt Groß-Berlin in die Hand aller vier Mächte. In Wien gibt es zusätzliche Lebensmittelzuteilungen von Käse, Obst und Gemüse. Für morgen wird die Abgabe von Milch für Kinder vom ersten bis zum dritten Lebensjahr in Aussicht gestellt. Die Schulferien in Wien werden auf die Zeit von 5. August bis 9. September festgelegt. In der VHS Ottakring gibt es eine Wildgans-Gedenkstunde und in der VHS Alsergrund eine Beethoven-Feier. Das britische Kommando ernennt einen demokratischen Landesausschuss für Kärnten mit Landeshauptmann Hans Piesch.

Freitag, 8. Juni 1945

Unter dem Titel "Instandsetzung kriegsbeschädigter Wohnhäuser" veröffentlicht das "Neue Österreich" eine Stellungnahme des Stadtbauamtes zu dieser Kernfrage. Wörtlich heißt es: "Das Stadtbauamt ist bemüht, die Instandsetzung der durch Feindeinwirkung beschädigten Häuser so rasch wie möglich in die Wege zu leiten. Bei der Durchführung dieser Arbeiten wird der soziale Gesichtspunkt im Auge behalten, so dass naturgemäß in erster Linie die Wiederherstellung von Volkswohnungen in Frage kommt. Zur Durchführung dieser Arbeiten wurde ein städtisches Amt mit der Bezeichnung 'Kriegsschädenbehebung an Wohngebäuden', Wien, 1., Neues Amtshaus, Ebendorferstraße 1, eingerichtet, das mit den Aufnahmearbeiten bereits begonnen hat". Als Hauptaufgaben erweisen sich dabei die Beschaffung von Baustoffen und die Bereitstellung von Transportmitteln. Weiter heißt es: "Die Hauseigentümer werden aufgefordert, mit gewerbeberechtigten Sachverständigen den Schadenumfang an ihren Häusern festzustellen und in dem bezeichneten Amt um die Bewilligung zur Behebung der Schäden unter Angabe des Baustoffbedarfs anzusuchen. Diese Ansuchen werden in Dringlichkeitsstufen gereiht und nach Überprüfung an die zuständigen Baupolizeiabteilungen zur Erteilung der Baubewilligung weitergeleitet". Der Betrieb von Stadt- und Straßenbahn wird bis 21 Uhr ab Endstellen verlängert. Radio Wien muss im Auftrag der Besatzungsmacht eine tägliche Informationssendung "Russische Stunde" einführen.

Samstag, 9. Juni 1945

Die Wiener Handelskammer stellt zur Funktion des "öffentlichen Verwalters" klar, dass er "nicht etwa Eigentümer des ihm zugewiesenen Unternehmens wird, sondern es im öffentlichen Interesse mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nach den Weisungen des zuständigen Staatsamtes zu verwalten hat." Unter dem Titel "Wienerwald in größter Gefahr" wird berichtet: "Die Schlägerungen im Wienerwald nehmen täglich größere Ausmaße an. Wenn es so weitergeht, wird in wenigen Tagen kein geschlägertes trockenes Brennholz für die Betriebe vorhanden sein. Es folgt der Herbst, es kommt der Winter. Was dann?" In einem Aufruf der Hochschülerschaft wird zum Einsatz bei der Erbsenernte in Stadlau aufgefordert. Darin heißt es wörtlich: "Es werden in Zukunft nur solche Studentinnen und Studenten zu Arbeit und Verdienst vermittelt, in den verschiedenen Mensen verpflegt werden oder Studienbeihilfen erhalten, die sich jetzt für wenige Tage zur Verfügung stellen." Die Linie 360 nimmt den Vollbetrieb zwischen Mauer und Mödling auf. In der Welt des Sportes wird "Friedensbetrieb im Fußball" konstatiert. Anlass ist die Austragung der ersten Runde im "Befreiungspokal". In diesem Rahmen gastiert Rapid erstmals wieder beim FC Wien in Favoriten.

Sonntag, 10. Juni 1945

In einer Reportage über die Versorgungslage in Wien schreibt die "Österreichische Zeitung": "Es muss als Mangel festgehalten werden, dass es bis heute noch nicht gelungen ist, dem Lagerhaus der Stadt Wien die erforderliche Anzahl von 300 Arbeitern zu sichern. Tagtäglich ist die Leitung dieses Hauptumschlagplatzes der Lebensmittel im Ungewissen, ob sie die nötigen Arbeitskräfte bekommt, um den ihr gestellten Aufgaben gerecht werden zu können". Das "Neue Österreich" berichtet über den - noch stark eingeschränkten -Personenzugsverkehr, der von Wiener Bahnhöfen ausgeht. Fahrgäste hängen in Trauben auf den Trittbrettern und sitzen auf den Waggondächern. In Verbindung mit der schrittweisen Ausdehnung der Eisenbahnaktivitäten kommt auch der Postdienst wieder in Gang. Eine einschlägige Meldung trägt den Titel: "Briefe bis St. Valentin, Tulln und Wr. Neustadt". Unter der Überschrift "Schmerzenskind Telephon" wird berichtet: "Ein besonderes Schmerzenskind ist das Telephon. 140.000 Leitungen sind zerstört. Ebenso sind die Kabel, die die Verbindungen mit den außerhalb Wiens liegenden Orten herstellen, an vielen Stellen unterbrochen. Nahezu 1.100 Arbeiter arbeiten Tag und Nacht an der Instandsetzung dieser Schäden....Das nach Westen laufende Fernkabel konnte vor wenigen Tagen, vorerst bis nach St. Pölten, in Betrieb gesetzt werden, und im Laufe des Monats dürfte es gelingen, dieses Kabel bis Amstetten zu reparieren".

Montag, 11. Juni 1945

Die Ravag in Wien eröffnet unter Mitwirkung von Spitzenvertretern der provisorischen Regierung den ins Ausland gerichteten Kurzwellendienst. Staatskanzler Renner und die von den drei demokratischen Parteien gestellten Vizekanzler nehmen die Gelegenheit wahr, um "vor aller Welt" eine deutliche Grenzziehung zur Vergangenheit vorzunehmen und den fortschrittlich-demokratischen Charakter der Zweiten Republik zu unterstreichen. Das Zentralernährungsamt gibt bekannt: "Für die Ausgabe der nächsten Lebensmittelkarten sind schon jetzt neue Haushaltslisten anzulegen. Die Hausbevollmächtigten haben die Listenformulare morgen in den Kartenstellen zu beheben und die Listen sofort in zweifacher Ausfertigung anzulegen. Auszufüllen sind nur die Spalten 1 bis 6. In den Haushaltslisten sind alle derzeit im Hause wohnhaften und polizeilich gemeldeten Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit (also auch Ausländer) aufzunehmen. Personen, die nicht hausbekannt sind, müssen vor Aufnahme in die Liste neben dem polizeilichen Meldeausweis einen Reisepass oder eine als Pass geltende Bescheinigung vorweisen. Die ausgefüllten Haushaltslisten samt Zweitschrift sind im Laufe des Donnerstag, 14. Juni, der Kartenstelle abzuliefern. Die von den Wohnparteien beigebrachten Bescheinigungen über die Art der Beschäftigung sind den Haushaltslisten anzuschließen, soweit solche nicht schon in der Kartenstelle abgegeben worden sind. Der Ausgabetermin der Haushaltslisten ist unbedingt einzuhalten, weil davon die rechtzeitige Ausgabe der nächsten Lebensmittelkarten abhängig ist." Das französische Oberkommando ernennt einen Landesausschuss für Vorarlberg mit Landeshauptmann Ulrich Ilg. Vorarlberg, das die Nazi zu einem Teil Tirols gemacht hatten, ist damit als eigenständiges Bundesland wiederhergestellt.

Dienstag, 12. Juni 1945

Das "Neue Österreich" veröffentlicht "Die erste Liste der Wiener Opfer des Naziterrors". Dazu wird wörtlich ausgeführt: "Nachstehend bringen wir 206 Namen von Opfern des Naziterrors in Wien. Die Angehörigen dieser Toten erhalten nun endlich die Möglichkeit, die Grabstätten auf dem Wiener Zentralfriedhof aufzufinden. Die neben den Namen stehenden Zahlen (zum Beispiel: Anthofer Karl, 40, 30, 9/III) bedeuten der Reihe nach: Gräbergruppe, Gräberreihe, Grabnummer." Gegliedert ist die Liste nach dem Hinrichtungs- bzw. Begräbnisdatum. In einer anderen Meldung wird zu "Sicherheitsmaßnahmen bei kriegsbeschädigten Gebäuden" aufgerufen. Grund- bzw. Hauseigentümer seien für allfällige Personenschäden haftbar. Alle Mitglieder der ehemaligen NSDAP müssen sich beim Arbeitsamt melden. Der Ministerrat beschließt die Wiederherstellung der österreichischen Rechtsordnung.

Mittwoch, 13. Juni 1945

Im "Neuen Österreich" erscheint ein Leitartikel, der den Titel "Politikmüdigkeit?" trägt. In einem Bericht über eine Vertrauensleutekonferenz des ÖAAB wird aus der Rede von Vizebürgermeister Kunschak unter anderem folgende Passage zitiert: Man müsse verstehen, "dass wir jetzt in einer Einheitsbewegung stehen, dass das, was sich früher bekämpft hat, nun einmütig zusammenstehen soll. ... Die Situation, in der wir jetzt stehen, ist noch kritischer als 1919 und noch schwerer zu begreifen. Dennoch muss sie gemeistert werden und sie kann es nur auf dem Boden der demokratischen Einigung." Die geplante Erfassung der Wohn- und Geschäftsräume in Wien hat in Teilen der Bevölkerung Misstrauen ausgelöst. In einer Mitteilung gibt das Rathaus bekannt: "Die am 18. Juni beginnende Wohnungsbegehungsaktion wird streng in dem Rahmen und mit den Personen durchgeführt, die zwischen den drei Parteien, ..., vereinbart wurden. Um jede Beunruhigung der Bevölkerung hintanzuhalten, wird dazu mitgeteilt, dass es sich lediglich um die Erfassung des noch in Wien vorhandenen Wohn- und Geschäftsraumes handelt. Die Kommissionen haben weder Beschlagnahme noch sonst irgendwelche Amtshandlungen durchzuführen." Ferner wird gemeldet: "Bunte Tulpen am Rennweg", "Im Herbst wieder Konzerte im Musikvereinssaal", "Erste Bahnveranstaltung der Leichtathleten". Die Wiener Polizeidirektion übernimmt wieder die Leitung des gesamten Polizeidienstes in Wien. Die Beamten dürfen keine Schusswaffen tragen.

Donnerstag, 14. Juni 1945

Das "Neue Österreich" macht mit einer Sensation auf: "Die Kartothek der 'Ostmark'-Pg. gefunden - Unterlagen für die Kontrolle der Registrierungen". Während die österreichischen Behörden sich mit wenig Erfolg um die Registrierung der Nazi bemühen, haben die US-Militärbehörden in München das "Braune Haus" durchsucht und dabei "auch die Kartothek 'Ostmark' mit sämtlichen Parteigenossen und Parteianwärtern sichergestellt". In dem Pressebericht heißt es weiter: "Diese Kartothek ist für Österreich deshalb so wichtig, weil sie nicht nur in lückenloser Folge die Namen nennt, sondern auch vermerkt - zumeist auf Grund der eigenen Angaben der Pg. (=Parteigenossen) -, welche Tätigkeit sie innerhalb der Partei vor 1938 innehatten. Weiters sind in den Karteiblättern alle Funktionen aufgezählt und schließlich alle Dienste, die sie der Partei geleistet haben. Die Kartothek wird in Kürze nach Wien gebracht und wird hier bei der Feststellung der Nazi wertvolle Dienste leisten." In einer weiteren Folge der Leserbriefserie "Der Ruf nach dem eisernen Besen" erscheint ein Hinweis darauf, dass das ehemalige Maria-Theresia-Kino immer noch Ostmark-Kino heißt.

Freitag, 15. Juni 1945

Großbritannien, die Sowjetunion und die USA haben sich auf Zeit und Ort der geplanten Dreimächtekonferenz geeinigt. Details werden erst bei Beginn der Beratungen bekannt gegeben. In London beginnt die "Alliierte Welternährungskonferenz". Dabei teilt der britische Ernährungsminister mit, dass trotz der Bezugsbeschränkung in England und Amerika unter anderem 1,5 Millionen Tonnen Zucker, 1 Million Tonnen Fett und 2,5 Millionen Tonnen Fleisch fehlen. Die sowjetische Militärverwaltung in Deutschland hat in einem Tagesbefehl "die Bildung und Betätigung aller antifaschistischen Parteien gestattet". In Wien sind "Schuhe für Frauen" zu haben. Dazu berichtet das "Neue Österreich": "Es gelangen Frauenschuhe zum Verkauf. Die Ausgabe erfolgt an in Wien wohnende erwachsene weibliche Personen, wobei die Käuferin ihre gültige Lebensmittelkarte und ihre vierte Reichslederkarte vorzuweisen hat, deren namentliche Übereinstimmung vom Verkäufer zu kontrollieren ist. Verkauft wird ein Paar leichte Straßenschuhe mit Gummi-, Werkstoff- oder Holzsohle nach Maßgabe der vorhandenen Vorräte." Ferner meldet das Blatt: " 'Jedermann' im Burgtheater erneuert" und "Ballettabend der Staatsoper". Das Dianabad nimmt seinen Betrieb wieder auf, nachdem die Beschäftigten einen Teil der Kriegsschäden in Eigenregie beseitigt haben. Hinter der ausgebrannten Fassade ist allerdings nur der Männertrakt benützbar, die Geschlechtertrennung in den Duschbereichen ist deshalb aufgehoben.

Samstag, 16. Juni 1945

Das "Neue Österreich" meldet: "USA-Kleidersammlung für Europa". In einem Artikel mit dem Titel "Kehrichtabfuhr und Verkehrsproblem" heißt es unter anderem: "Durch die seit Jahren verschlampte und seit mehr als einem halben Jahr eingestellte Abfuhr des Kehricht und durch die furchtbaren Bombenschäden haben sich in den Wiener Straßen etwa 200.000 Kubikmeter Kehricht und Schutt angesammelt, die sich täglich um 1.000 Kubikmeter vermehren. Mangel an Transportmittel und Unterbrechung der Zugänge zu den Deponien am linken Donauufer verhindern eine rasche Lösung des Problems." Kleinkinder über einem Jahr bekommen ab sofort - später als ursprünglich vorgesehen - wieder Milch zugeteilt. Die Ration für Ein- bis Dreijährige beträgt zunächst einen Achtelliter pro Tag. Der Wiener Magistrat appelliert: "Baut Karotten für Kleinkinder!" In dem Aufruf heißt es: "Im Interesse der Versorgung der Kleinkinder ergeht an alle Gärtner, Gartenbesitzer und Kleingärtner die dringende Aufforderung, Karotten anzubauen, da diese zur Ernährung der Kleinkinder von besonderer Wichtigkeit sind." Mit einer Polizeiverordnung wird jeder Schleich- und Tauschhandel verboten.

Sonntag, 17. Juni 1945

In London wird eine "Welternährungskonferenz" abgeschlossen, an der insgesamt zwölf - durchwegs befreite - Staaten teilnehmen. Sie bezeichnen eine Steigerung ihrer Agrarproduktion als realistisch. Dänemark kündigt an, Lebensmittel zu rationieren, um die Ausfuhren in andere befreite europäische Staaten zu steigern. Der "Tag der Volkssolidarität" in Wien steht im Zeichen einer Großdemonstration von politisch Verfolgten des Naziregimes. Der Zug führt vom Schwarzenbergplatz zum Parlament, wo eine Kundgebung stattfindet, auf der Redner aller drei demokratischen Parteien das Wort ergreifen und den Widerstand politischer Häftlinge in Konzentrationslagern und Kerkern der Nazi würdigen. In einem Appell, "alle Reisen privaten Charakters zu unterlassen", beklagt die Direktion der Österreichischen Eisenbahnen, dass "die Überfüllung der Züge von Tag zu Tag zunimmt". Weiter heißt es wörtlich: "Außer Berufsfahrern wird nur eine ganz geringe Anzahl anderer Reisender befördert. Alle Reisen privaten Charakters, insbesondere Fahrten zur Erwerbung von Lebensmitteln und Obst, müssen unbedingt unterbleiben. Wer trotzdem solche Reisen unternimmt, wird bei den unterwegs stattfindenden Kontrollen von der Fahrt ausgeschlossen. Sollte trotz all dieser Vorbeugungsmaßnahmen der Andrang bei den Reisezügen weiter andauern, müsste zur vollständigen Einstellung des zivilen Reiseverkehrs geschritten werden."

Montag, 18. Juni 1945

In Wien nehmen folgende Justizeinrichtungen die Arbeit wieder auf: Das Landesgericht für Strafsachen Wien, das Strafbezirksgericht I, der Jugendgerichtshof Wien und die Staatsanwaltschaft Wien. Grundlage für ihre Tätigkeit ist die Gesetzesvorlage über die Wiederherstellung des Österreichischen Strafrechts und Strafprozessrechts, die am 12. Juni den Kabinettsrat passiert hat und bereits veröffentlicht wurde. Kommissionen des Wiener Wohnungsamtes nehmen die für drei Tage angesetzte Begehung der Wohn- und Geschäftsräume auf. Stadtrat Slavik erklärt, dass das Wohnungsamt "gründlich gesäubert" wurde: "Von ursprünglich 528 gehören nur mehr 250 Personen der Dienststelle an." Zur Wohnungsbegehung sagt Slavik: "Sie dient keinem anderen Zweck, als die jetzt zur Verfügungen stehenden Wohn- und Geschäftsräume festzustellen, um zu überprüfen, ob sie nur mangelhaft oder gar nicht benützt werden, ferner alle Arisierungsfälle zu erfassen und zu erheben, welche Wohnungsveränderungen seit der Befreiung Österreichs zu Recht oder zu Unrecht erfolgen." Unter der Bezeichnung "Kaufhaus der Wiener" hat die Firma Gerngroß ihre Pforten wieder geöffnet.

Dienstag, 19. Juni 1945

Der Kabinettsrat beschließt die Bildung eines Erntenotdienstes. Zur Sicherung der Getreideernte sollen zwischen Ende Juni und Mitte August auch Arbeitskräfte aus Städten und Industriegebieten als Erntehelfer eingesetzt werden. Mit der Organisation werden die Arbeitsämter beauftragt. Für den Ernteeinsatz werden Ersatz der Fahrkosten, volle Verpflegung und Unterkunft, gesteigerter Tariflohn und eine Mehlprämie geboten, die pro Woche für Männer fünf und für Frauen drei Kilogramm beträgt. Anläßlich der Gerngroß-Eröffnung findet eine Betriebsfeier für die Beschäftigten statt, an der Staatssekretär Böhm teilnimmt. In einer Rede zeigt er sich überzeugt, "dass es gelingen wird, im neuen Österreich normale wirtschaftliche Verhältnisse herbeizuführen. Allerdings darf man sich nach den schweren Zerstörungen, die der Krieg im Gefolge hatte, nicht verhehlen, dass der Aufschwung nicht in wenigen Monaten, sondern erst in jahrelanger, mühevoller Arbeit erzielt werden kann." Nach einer Mitteilung des Ernährungsamtes werden neuerlich Erdäpfel ausgegeben.

Mittwoch, 20. Juni 1945

Die Vollmilchabgabe für Kinder von einem bis drei Jahren wird mit sofortiger Wirkung von einem Achtel- auf einen Viertelliter erhöht. Die Rathaus-Korrespondenz ruft die Bevölkerung auf, Wahrnehmungen über den Verbleib von - dringend benötigten - verschleppten Spezialfahrzeugen der Gemeinde Wien zu melden. Das "Neue Österreich" widmet der Aktion eines städtischen Vermessungsbeamten einen umfangreichen Bericht, der für die Beteiligung seines Bezirkes an der Kirschenernte in Wiesen gesorgt hat. Im Resselpark auf dem Karlsplatz, dem Zentrum des Schleichhandels, führt die Polizei mit Unterstützung russischer Militärpolizei regelmäßig Razzien durch, bei denen jedoch wegen des gut funktionierenden Warnsystems fast nur "kleine Fische" hängen bleiben. Um das Monatseinkommen eines Facharbeiters oder eines Gemeindebediensteten von 150 Reichsmark kann man sich "im Schleich" 4 kg Brot, 1/4 kg Schmalz oder 30 Zigaretten kaufen.

Donnerstag, 21. Juni 1945

In der "Österreichischen Zeitung" erscheint ein Leitartikel mit dem Titel "Österreicher, das müsst ihr wissen." In dem Beitrag findet sich einerseits die Darstellung der Nazi-Verbrechen am Beispiel von Kiew, wo 195.000 Menschen umgebracht wurden, und andererseits ein Hinweis auf die Beteiligung Österreichs am Krieg auf der Seite Hitlerdeutschlands. Das "Neue Österreich" macht mit dem Titel "Vorbereitung der Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher" auf. Auf Beschluss des Kabinettsrates sollen alle Personen listenmäßig erfasst werden, "die im Zuge der Kriegsführung Unmenschlichkeiten begangen haben und Grundsätze des Kriegsrechts, des Völkerrechts und der Menschlichkeit verletzten, die Menschen in Konzentrationslagern und Gefängnissen gequält und misshandelt und durch diese Misshandlung deren Tod oder schweres Siechtum herbeigeführt haben." In dem Zusammenhang wird die Bevölkerung aufgerufen, "stichhaltige Mitteilungen" mit Name und Adresse dem Staatsamt für Inneres zugehen zu lassen. Ferner wird gemeldet: "Das leidenschaftliche Interesse der Bevölkerung an den zu erwartenden Strafverfahren gegen die Naziverbrecher kommt Tag für Tag in ganzen Stößen von Briefen an unser Blatt, an die Behörden und an die Justizverwaltung zum Ausdruck." In einem Appell ruft die Stadtverwaltung die Bevölkerung auf, bei Beleuchtung und beim Kochen Strom zu sparen. Gleichzeitig werden strenge Verbrauchskontrollen angekündigt. Für das Schuljahr 1945/46 werden Schülerstreckenkarten ausgegeben. Und: "Es gibt wieder Bier - Arbeitsaufnahme in den Wiener Brauereien". Einschränkend heißt es dazu im "Neuen Österreich": "Hauptsächlich fehlt es an Malz und Zucker, auch die Versorgung mit Kohle lässt zu wünschen übrig... Es wird also nicht sehr viel Bier geben, aber auf ein 'Krügerl' ab und zu wird es langen." In Salzburg ernennt das amerikanische Kommando Dr. Adolf Schemel zum Landeshauptmann.

Freitag, 22. Juni 1945

Die Kundmachung Nummer 1 mit den grundsätzlichen Bestimmungen über die Registrierung der Nationalsozialisten wird in Wien angeschlagen. Eine zweite Kundmachung soll folgen, in der Zeit und Ort der Meldung bekanntgegeben werden. Die Wiener Stadtverwaltung appelliert an alle Fuhrwerksbesitzer, sie bei der Überwindung der Transportkrise zu unterstützen. Demnach sollen "alle verfügbaren Transportmittel, also motorisierte oder mit Pferden bespannte Wagen, der Stadtverwaltung gegen Entgelt, auch halbtägig, zur Verfügung gestellt werden". Erstmals seit Kriegsbeginn gibt es mit Hilfe der wieder aktiven Zentralanstalt für Meteorologie einen Wetterbericht im Radio. Im Krieg galt der Wetterbericht als Militärgeheimnis. Das "Neue Österreich" meldet: "Austria-Tabakwerke bereiten Einheitszigarette vor". Nach einem Bericht des Blattes reichen die Kapazitäten der weitgehend intakt gebliebenen Tabakfabrik in Ottakring aus, um den Raum Wien mit Rauchwaren zu versorgen.

Samstag, 23. Juni 1945

Truppen der Vereinigten Staaten haben nach härtesten Kämpfen mit vielen tausenden Toten die japanische Insel Okinawa erobert. Die von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien gebildete "Reparationskommission" tritt zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Auf dem Rathausplatz kommt es zu einer Großkundgebung anläßlich der Rückkehr von Alt-Bürgermeister Karl Seitz nach Wien. Seitz war von den Nazis ins KZ Ravensbrück und dann nach Plauen verschleppt worden. Er kam in Wien schwer krank und völlig entkräftet an. - Die Wiener Rettung nimmt ihren Betrieb mit zwei Rettungswagen, die jeweils mit einem Arzt besetzt sind, eingeschränkt wieder auf. - Das Atzgersdorfer Höpflerbad öffnet seine Pforten. Der Reinertrag des Eröffnungstages fließt der "Volkssolidarität" zu. Der Wiener Finanzstadtrat Honay berichtet von aussichtsreichen Verhandlungen über Kohlelieferungen aus den Revieren von Mährisch-Ostrau und Donez. Gleichzeitig zieht er Bilanz über den Instandsetzungsbedarf in Wien. Demnach sind für die Reparatur der Straßenbahnoberleitungen 12.250 Kilogramm Kupferdraht erforderlich. Von 1.400 Straßenbahntriebwagen stehen nur mehr 400 und von 1.800 Beiwagen nur mehr 800 zur Verfügung. Von 183 Wagen der Müllabfuhr im Jahr 1934 gibt es lediglich 11. Die Wasserleitung wurde an 1.378 Stellen zerstört; 530 Schäden sind bisher behoben. Für den Wiederaufbau des vernichteten Wohnraumes sind 1.500 Millionen Reichsmark erforderlich.

Sonntag, 24. Juni 1945

Die Wiener Feuerwehr richtet auf dem Stephansturm eine Feuerwache ein, nachdem das Brandmeldesystem weitgehend zerstört ist. In der "Österreichischen Zeitung" erscheint eine Notiz mit folgendem Wortlaut: "In der Wohnung des geflüchteten Nazifaschisten Hirt in der Wallgasse 9 wurde die Kartei der NSDAP, Ortgruppe Gumpendorf, aufgefunden und sichergestellt." Überraschungen gab es bei den Fußballspielen um den Befreiungspokal vor allem durch Austria und Helfort, die jeweils höher eingeschätzte Gegner geschlagen haben. Die Resultate im einzelnen: Rapid gegen Sportklub 3:2, Austria gegen Wacker 7:3, Vienna gegen Straßenbahn 5:0, Helfort gegen FAC 6:2.

Montag, 25. Juni 1945

Der Konferenz von San Francisco zur Gründung der Vereinten Nationen, an der Vertreter von 50 Staaten teilnehmen, wird die Weltsicherheitscharta zum Beschluss vorgelegt. Die Versammlung nimmt das Gründungsdokument der UNO per Akklamation an. Die Charta sieht die Errichtung einer neuen Weltsicherheitsorganisation vor, die an die Stelle des früheren Völkerbundes treten und eine friedliche Zukunft der Menschheit garantieren soll. Der Vorstand der SPÖ wählt Karl Seitz nach seiner Rückkehr nach Wien wieder zum Parteivorsitzenden. Der Lesesaal der Nationalbibliothek ist wieder zugänglich. Die Badnerbahn verkehrt wieder zwischen Philadelphiabrücke und Wiener Neudorf.

Dienstag, 26. Juni 1945

Die Konferenz in San Francisco zur Gründung der Vereinten Nationen wird nach neun Wochen mit einer Rede von US-Präsident Truman abgeschlossen. Der Norweger Trygre Lie wird von den 50 teilnehmenden Staaten zum ersten UN-Generalsekretär gewählt. Der Kabinettsrat in Wien beschließt das Gesetz über Kriegsverbrechen. Darin heißt es in Paragraph 1, Absatz 1: "Wer in dem von den Nationalsozialisten angezettelten Krieg gegen Angehörige der Wehrmacht der Kriegsgegner oder die Zivilbevölkerung eines mit dem deutschen Reich in Krieg befindlichen oder von deutschen Truppen besetzten Staates oder Landes vorsätzlich eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts oder des Kriegsrechts widerspricht, wird als Kriegsverbrecher bestraft." Das "Neue Österreich" meldet: "3.454 Nazi in gerichtlicher Untersuchung -Rund 1.400 Fälle dem Volksgericht übergeben". Die Ausgabe der Lebensmittelkarten für Juli beginnt. Der Stadtbahnverkehr wird von Hietzing bis Hütteldorf verlängert. In Bayern werden rund 600 Kinder aus Wien geortet, die von den Nazi kurz vor der Befreiung der Stadt aus Kinder- und Erziehungsanstalten der Gemeinde auf zwei Donaudampfern nach Deutschland verschleppt wurden. Von Mitte April bis Mitte Juni wurden im Gebiet der Stadt Wien laut "Österreichische Zeitung" 444 Bombentrichter zugeschüttet und 12.000 Quadratmeter Straßendecke provisorisch erneuert.

Mittwoch, 27. Juni 1945

Das "Neue Österreich" veröffentlicht den zweiten Teil eines Berichtes von Bürgermeister Körner über die Tätigkeit der Gemeindeverwaltung in den ersten zwei Monaten nach der Befreiung. Darin heißt es unter anderem: "Vor besonderen Schwierigkeiten stand die Leichenbestattung. 4.000 Leichen warteten auf den Friedhöfen, 1.000 in Spitälern, Straßen und auf Plätzen der Stadt auf Abtransport und Beerdigung. Es mangelte an Särgen und Fahrzeugen. Mit Hilfe russischer Militärfahrzeuge konnte schließlich Abhilfe geschaffen werden....Die Exhumierung der in den Parkanlagen beerdigten Leichname kann jedoch erst bei Eintritt der kühleren Jahreszeit vorgenommen werden." Zum Kulturbereich sagte Körner: "Mit neuem Schwung wurde der Wiederaufbau des kulturellen Lebens in Angriff genommen. Schon Ende April konnte ein Teil der Wiener Privattheater zu spielen beginnen, und jetzt sind trotz der Zerstörungen, vor allem der Staatstheater, nahezu alle Wiener Bühnen wieder in voller Tätigkeit. Das Gebäude der Volksoper wurde für den Betrieb der Staatsoper zur Verfügung gestellt. Die Konzerttätigkeit wurde Ende April mit einem philharmonischen Konzert eröffnet und hat seither an Umfang erfreulich zugenommen. Von den Wiener Kinos konnten Mitte April 40 Betriebe eröffnet werden. Heute stehen schon 100 Lichtspieltheater den breiten Massen zur Verfügung. Die Städtischen Büchereien wurden wieder in Gang gesetzt und das Buchmaterial gesichtet."

Donnerstag, 28. Juni 1945

Unter dem Titel "Helft die Ernte sichern!" richtet der Österreichische Gewerkschaftsbund einen Appell an die Werktätigen. Darin heißt es unter anderem: "Um Peter und Paul beginnt die Getreideernte. Von ihrem Ergebnis hängt heuer mehr ab als jemals...Tausende freiwillige Helfer haben sich bei den Arbeitsämtern gemeldet, mehrere Tausende, ja Zehntausende fehlen noch. Sie müssen noch in dieser Woche und spätestens zu Beginn der nächsten bei den Erntearbeiten eingesetzt werden. Es gibt zur Zeit keine wichtigere und dringlichere Aufgabe. Wir appellieren vor allem an die jüngeren und kräftigeren Kollegen und Kolleginnen, sich für den Ernteeinsatz zur Verfügung zu stellen. Die Ernte 1945 muss unter allen Umständen gesichert werden." Das Staatsamt für Finanzen weist auf die Steuerpflicht für "Kleinpflanzertabak" hin. Tabekkleinpflanzer sind Personen, die nicht mehr als 200 Tabakpflanzen ausschließlich für den Eigenbedarf anbauen. Die ersten 25 Pflanzen sind steuerfrei. Für 26 bis 100 Pflanzen sind 4 Reichsmark, für 101 bis 200 Pflanzen 8 Reichsmark Steuer zu bezahlen.

Freitag, 29. Juni 1945

Das "Neue Österreich" berichtet in großer Aufmachung, dass es einen "Nachmeldetermin" für die "Meldung der Nazi beim Arbeitsamt" gibt und veröffentlicht eine Reportage über eine Großrazzia gegen Schleichhändler im Resselpark. Bei dieser Aktion, an der neben der Polizei auch Mitglieder eines Freiheitsbataillons mitwirken, werden insgesamt 200 Verhaftungen vorgenommen und große Mengen Speck, Schuhe, Stoffe usw. beschlagnahmt. Anläßlich der Ausdehnung der Gasversorgung vom 11. auf Teile des 3. Bezirks rufen die Stadtwerke zu "Unerläßlichen Vorsichtsmaßnahmen" mit folgendem Wortlaut auf:

  1. Nur Gaskocher benützen, keine Backrohre und Warmwassergeräte, da Explosions- und Vergiftungsgefahr.
  2. Vor dem Zünden muss das Gas-Luft-Gemisch aus der Leitung entweichen können. Man lässt es daher zunächst bei geöffneten Fenstern ungezündet ausströmen. Erst bis sich deutlicher Gasgeruch bemerkbar macht, darf das Gerät in Betrieb genommen werden.
  3. Nach Benützung des Gerätes Hahn und den Wandhahn schließen. Bei Außerachtlassen dieser Vorschriften besteht größte Explosions- und Vergiftungsgefahr...."

Die Fernstromleitung nach Wien wird neuerlich beschädigt. Der Zusammenbruch des Netzes zieht einen Trafo in Mitleidenschaft. Die Reparatur wird Monate in Anspruch nehmen. Ein Teil der Wiener Wohnungen muss vom Netz abgeschaltet werden.

Samstag, 30. Juni 1945

Ungefähr 450 sogenannte Superfestungen der US-Luftwaffe greifen drei Hafenstädte in Südjapan an. Baron Pouthon, seit 23 Jahren Direktor der Salzburger Festspiele, berichtet von Bemühungen, die Veranstaltung unter Leitung von Bruno Walter wieder auf die Beine zu stellen. Um einerseits den "wilden und unkontrollierbaren Anschlägen an Planken, Plakatwänden, Zäunen und Hausmauern" entgegenzutreten und andererseits den "Tausch-, An- und Verkaufsbedürfnissen" der Bevölkerung entgegenzukommen, wird ab nun einmal wöchentlich der "Wiener Anzeiger" herausgegeben. Die Gewista wird beauftragt, diesen Anzeiger künftig auf Anschlagtafeln, Litfasssäulen und Plakatflächen der Stadtbahnstationen zu affichieren. Der Komponist Franz Salmhofer wird zum Direktor der Wiener Staatsoper ernannt. Im Lotto werden folgende Nummern gezogen: 47 76 81 66 60.