Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 22.04.2021:
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8. Wiener Gemeinderat (1)

Sitzung auf Verlangen der ÖVP

Der Wiener Gemeinderat setzte direkt im Anschluss an die 7. Sitzung mit der Debatte zur 8. Sitzung in der laufenden Wahlperiode fort. Die ÖVP hatte eine Sitzung zu folgendem Thema verlangt: „Postenschacher und Freunderlwirtschaft sowie maßgeschneiderte Ausschreiben und Immobiliendeals – das ‚System Wiener SPÖ‘ innerhalb der Stadt Wien!“. Fragestunde und Aktuelle Stunde entfielen.  

GRin Ingrid Korosec (ÖVP) sagte, für die Einberufung der Sitzung sei eine „tendenziöse“ Ausschreibung des Wiener Gesundheitsverbundes für fünf Computertomographie-Geräte für die Klinik Donaustadt ausschlaggebend gewesen. Diese sei so formuliert gewesen, dass die technischen Anforderungen ausschließlich zu jenen Geräten gepasst hätten, die Siemens Healthcare Diagnostics im Angebot habe. Dass „rein zufällig“ die ehemalige SPÖ-Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely in einer führenden Position bei Siemens tätig ist, sei für Korosec zusätzlich Grund für Bedenken. Ein anderer Anbieter habe sich wegen der Ausschreibung benachteiligt gefühlt und habe deshalb beim Wiener Landesverwaltungsgericht Einspruch erhoben. Das Gericht habe dann die komplette Ausschreibung für nichtig erklärt. Hier werde ein „System entlarvt“, das in Wien öfter vorkomme, so Korosec. Dies sei auch bei einer Direktvergabe von Ultraschallgeräten für Schwangere zu sehen. Hier habe man seitens des Gesundheitsverbundes argumentiert, dass die Geräte der Firma General Electric dermaßen überlegen seien, dass eine Ausschreibung nicht nötig sei. Korosec meinte, die Stadt Wien verstoße mit „maßgeschneiderten Ausschreibungen und Direktvergaben“ nicht nur gegen den Grundsatz des Vergaberechts, sondern untergrabe das Vertrauen der Wiener Bevölkerung in ihr Gesundheitssystem. Von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) forderte sie, Verantwortung zu übernehmen, für Transparenz und Aufklärung bei Fehlern zu sorgen, sowie „ordentliche Ausschreibungen“ zu garantieren.

GR Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM (ÖVP) stieß sich vor allem daran, dass die SPÖ auf Bundesebene der ÖVP unsaubere Vergabepraxis vorwerfe, selbst aber mit einem „wachsenden Berg an Vergabeskandalen“ in Wien konfrontiert sei. Zusätzlich zu den Beispielen, die schon seine Vorrednerin Ingrid Korosec vorgebracht hatte, nannte Wölbitsch-Milan zum Beispiel riskante Geldanlagen der Gesiba, das Schaffen von „Versorgungsposten“ für ehemalige SPÖ-PolitikerInnen und „undurchsichtige Immobilien-Deals“. Für Wölbitsch- Milan sei es „der eigentliche Skandal“, dass die SPÖ trotz alledem „auf Bundesebene auf andere zeigt“. In Wien gebe es ein „SPÖ Family-Business und roten Filz“, den die ÖVP „entflechten“ wolle, so Wölbitsch-Milan. Dazu wolle die ÖVP den Bundes-Rechnungshof anrufen und den Fokus auf Vergaben und Ausschreibungen der Stadt Wien legen. Es gelte, herauszufinden, welche Firmen in den letzten zehn Jahren „zum Zug gekommen sind“, ob Direktvergaben sachlich gerechtfertigt seien und ob Personen womöglich ihre Befugnisse „wissentlich missbraucht haben“.  

StR Dominik Nepp, MA (FPÖ) fand es richtig, die „Skandale“ der SPÖ zu thematisieren, hielt aber auch nicht mit Kritik an der ÖVP hinterm Berg. Es sei kein Geheimnis, dass die FPÖ die der Meinung sei, die Wiener SPÖ sehe die Stadt Wien als „Vorfeldorganisation ihrer eigenen Partei“. Die ÖVP solle sich aber hüten, von „Family Business“ zu sprechen, wenn man bedenke, was in den vergangenen Wochen über die „politische Familie“ der ÖVP medial bekannt wurde. Denn „das, was die SPÖ in Wien macht, macht die ÖVP auf Bundesebene“. Die ÖVP sei „die Erfinderin des Postenschachers und der Freunderlwirtschaft“, so Nepp. Als jüngeres Beispiel brachte Nepp eine „maßgeschneiderte Ausschreibung“ für den ÖBAG-Chef Thomas Schmid vor, aber auch Chat-Nachrichten von Finanzminister Gernot Blümel. Das Motto der ÖVP sei „aussitzen, aussitzen, aussitzen“. Was es aber brauche, sei mehr Transparenz. Die FPÖ habe deshalb schon öfter den Rechnungshof um Prüfung diverser Sachverhalte gebeten und wenn die ÖVP das jetzt auch zur Vergabepraxis der SPÖ in Wien vorhabe, müsse der ÖVP bewusst sein, dass man „dieses Instrument nicht benutzen darf, um einseitig eine Partei zu beleuchten“. Es müssten alle Verfehlungen untersucht werden, und da könnte es „auch für die ÖVP nicht gut ausschauen“. Nepp forderte eine gemeinderätliche Untersuchungskommission zu Flächenwidmungen, eine Sonderprüfung von Gesiba und Sozialbau sowie eine Sonderprüfung aller Ausschreibungen der letzten zehn Jahre an Siemens.

GR Mag. (FH) Jörg Konrad (NEOS) meinte, die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts, die Ausschreibung des Gesundheitsverbundes für Computertomographie-Geräte für nichtig zu erklären, sei ein Zeichen für ein gut funktionierendes Justiz-System. Man müsse aber betonen, dass das Gericht hier keine Korruption festgestellt habe. Korruption sei aber ein großes Thema in Österreich. Im letzten Jahresbericht der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) befinde sich Österreich von 46 Staaten auf dem vorletzten Platz. Das untergrabe das Ansehen vieler anständiger Unternehmen in Österreich, hemme die wirtschaftliche Entwicklung und störe den freien Wettbewerb, so Konrad. Es gelte, Korruption mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das sei nicht nur Aufgabe von Regierungsparteien, sondern auch der Opposition. Schlecht sei, dass „zwei von drei Oppositionsparteien keine Glaubwürdigkeit in Sachen Antikorruption haben“. Keine andere Partei sei mit so vielen Korruptionsvorwürfen konfrontiert wie die ÖVP, gefolgt von der FPÖ. Konrad warf der ÖVP hier „Scheinheiligkeit“ vor und brachte einen jüngeren Fall vor: Ein von der Wiener ÖVP nominiertes Bundesrats-Mitglied sei rechtskräftig wegen Untreue angeklagt, einen Rücktritt lehne ÖVP-Gemeinderat Wölbitsch aber „kategorisch“ ab. Die NEOS versprächen auch als Regierungspartei mehr Kontrolle und Transparenz. Einige Instrumente seien bereits eingeführt worden bzw. seien in Vorbereitung. Dazu gehörten die Whistleblower-Plattform, die Reform der Untersuchungskommission, ein Fördertransparenzgesetz, eine unabhängige Antikorruptionsstelle und das Ausweiten der Kontrollrechte des Stadtrechnungshofs.

GR David Ellensohn (Grüne) fand besonders ein Zitat von ÖVP-Gemeinderat Wölbitsch interessant. Dieser habe gesagt, dass die SPÖ nicht mit dem Finger auf die Bundes-ÖVP zeigen dürfe, wenn sie das in Wien das gleiche tue. Für Ellensohn sei diese Aussage ein Zeichen der „Selbsterkenntnis“ seitens der ÖVP. Er zählte einige Fälle verurteilter ÖVP-„Skandale“ auf und nannte dabei auch PolitikerInnen, die zum Tragen einer Fußfessel verurteilt wurden. Korruption habe in den letzten 20 Jahren vor allem die ÖVP und die FPÖ betroffen, so Ellensohn. Die ÖVP habe „kein Interesse“ an fairen Ausschreibungen, jeder Job, der mit einem Gehalt über 10.000 Euro im Monat dotiert ist, werde nicht ausgeschrieben. Das sei „Standard bei ÖVP und FPÖ“ und deshalb sei es „ungeheuerlich, was man sich hier anhören muss“, fand Ellensohn. In Österreich gebe es zwei Parteien, die das Thema Antikorruption „sehr ernst nehmen“ und sich bis dato „nichts zu Schulden kommen lassen haben“. So wie die Grünen als Regierungspartei schon gemacht hätten, sei es nun Aufgabe der Wiener NEOS zu verhindern, dass sich Dinge wie falsche Ausschreibungen nicht wiederholen. Außerdem müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, es gehe nicht, dass sich die Politik „wegduckt“. Der Wiener Gesundheitsverbund ist gemäß Wiener Stadtverfassung eine Unternehmung der Stadt Wien und unterstehe der Geschäftsgruppe für Gesundheit und Soziales. „Das ist eine 100-Prozent-Verantwortung“, so Ellensohn. Er brachte zum Schluss seiner Rede einen Antrag ein, in dem er völlige Transparenz bei Vergabeverfahren der Stadt Wien forderte. (Forts.) sep

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