Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 03.07.2013:
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Historikerbericht über Wiens Straßennamen liegt vor

159 von insgesamt 4.379 Straßenbenennungen diskussionswürdig

Seit 2011 untersuchte eine Historikerkommission, bestehend aus Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb (Leitung), Mag.a Birgit Nemec, Dr. Peter Autengruber und Mag. Florian Wenninger, im Auftrag der Stadt Wien die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind. Jetzt liegen die Ergebnisse vor: Das Straßennetz Wiens besteht aus ca. 6.600 Verkehrsflächen, davon sind 4.379 personenbezogenen. 159 davon sind als historisch kritisch einzustufen (= 3,6 Prozent). Diese kritischen Straßennamen wurden von der Kommission in drei Kategorien gewichtet: Kategorie A beschreibt Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf, Kategorie B Fälle mit Diskussionsbedarf und Kategorie C Fälle mit demokratiepolitisch relevanten biographischen Lücken.

"Es wurden Namensgeber von Verkehrsflächen erforscht, die antisemitische Einstellungen bzw. andere gruppenbezogenen menschenfeindlichen Vorurteile wie Antisemitismus vertreten haben bzw. dem Nationalsozialismus politisch nahe gekommen sind", erläutert Oliver Rathkolb, Projektleiter der Historikerkommission.

"Die Auseinandersetzung mit den Straßennamen ist ein wichtiger Teil der aktiven Erinnerungskultur der Stadt", betont Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. "Wien ist europaweit die einzige Millionenstadt, die eine systematische Aufarbeitung ihrer Straßennamen vorgenommen hat."

"Die Kultur des Wegschauens und Zudeckens dunkler Flecken der Vergangenheit hat nun endlich ein Ende", so der Grüne Kultursprecher Klaus Werner-Lobo. "Der Bericht bietet die Grundlage für die überfällige kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte."

Politische Konsequenzen aus dem Bericht

Den Bericht der Historikerkommission nimmt die Stadt Wien auch zum Anlass, die Kriterien für die Benennung von Verkehrsflächen zu überdenken und einen Katalog mit Empfehlungen zu erarbeiten. Ein diesbezüglicher Antrag wurde im letzten Gemeinderat eingebracht und von allen Parteien einstimmig angenommen. Straßennamen sollen sich künftig durch Erkennbarkeit, Unterscheidbarkeit, Kürze und Wien-Bezug auszeichnen. Insbesondere bei personenbezogenen Straßennamen sollen objektivierbare Verdienste vorliegen, historische Vorab-Prüfungen durchgeführt sowie die migrantische Diversität und Gendergerechtigkeit berücksichtigt werden. Bei aller Diskussion über personenbezogene Straßennamen darf aber nicht vergessen werden: Straßennamen dienen in erster Linie der Orientierung und dem Auffinden von Adressen. Daher sollten in Zukunft vermehrt historische Ereignisse, topografische und regionale Besonderheiten sowie Begriffe aus Fauna und Flora bei der Benennung von Verkehrsflächen herangezogen werden.

Umgang mit kritischen Straßennamen

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, mit kritischen Straßennamen umzugehen. Häufig kommen Zusatztafeln zum Einsatz, aber auch künstlerische Interventionen finden sich im Stadtbild. Des Weiteren sollen ausführliche Informationen im Online-Lexikon der Wiener Straßennamen Eingang finden. Bei der Prüfung der Straßennamen fiel auf, dass von zahlreichen, für die Republik wichtigen Politikern keine ausreichende Biographie vorliegt. Angeregt wird daher, dass Positionen, Einstellungen und Wirken jener Politiker in zeitgeschichtlich heiklen Fragen erforscht werden. Darüber soll es einen wissenschaftlichen und von den Bildungseinrichtungen aller Parteien getragenen Diskurs geben. Umbenennungen sollen jedoch weiterhin die Ausnahme bleiben. Denn: "Jede Stadt hat ihre Geschichte. Es geht darum, die Geschichte zu thematisieren, die dunklen wie die hellen Seiten", betont Mailath.

Der vollständige Bericht ist abrufbar unter: www.wien.gv.at/kultur/strassennamen/strassennamenpruefung.html

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