Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 19.10.2010:
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Humanitäres "Bleiberecht": Wien fordert Rechtssicherheit

Menschliche Lösungen statt Willkürakte: Kriterienkatalog als Grundlage

"Das Vorgehen der Fremdenpolizei und die jüngsten Abschiebungsfälle haben einmal mehr gezeigt, welche katastrophalen menschlichen Auswirkungen es hat, wenn es keine klaren Rechtskriterien gibt und das Gnadenrecht der Innenministerin gilt", unterstrich die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger im Rahmen des Bürgermeister-Mediengesprächs am Dienstag. "Wir in Wien werden hier jedenfalls nicht tatenlos zu sehen. Das Bleiberecht muss aus den Willkürfängen der Innenministerin befreit werden", untermauerte Bürgermeister Dr. Michael Häupl.

Im Mediengespräch am Dienstag präsentierte die Wiener Integrationsstadträtin daher einen unter Federführung der Wiener Einwanderungsbehörde ausgearbeiteten Kriterienkatalog, der als Grundlage für Gewährung des humanitären Aufenthaltes dienen sollte. Wien fordert die Innenministerin auf, diese Kriterien, die schon im Gesetz stehen, durch einen entsprechenden Erlass auch gegenüber den ihr unterstellten Sicherheitsbehörden (Bundespolizeidirektionen, Fremdenpolizeiliches Büro) raschest möglich, rechtlich verbindlich zu machen. Diese sind ja für die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK bei der Beurteilung, ob humanitärer Aufenthalt gewährt werden soll bzw. für Zwangsmaßnahmen (Schubhaft, Abschiebung) verantwortlich. Frauenberger: "Frau Innenministerin, leisten Sie Ihren Beitrag zu einem vernünftigen humanitären Aufenthaltsrecht, statt Kinder abzuschieben."

Die Kriterien im Detail

Folgende Kriterien wären als Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von humanitärem Aufenthalt demnach anzuwenden:

  • Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts: So spielt zum Beispiel eine große Rolle, wie lange jemand sich jemand in Österreich aufgehalten und welchen Status er/sie (etwa AsywerberIn) hatte;
  • das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens: Dieses ist etwa dann anzunehmen, wenn die/der betroffene Fremde im gemeinsamen Haushalt mit einem Angehörigen lebt;
  • die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (z.B. Aufenthaltsdauer und Intensität der sozialen Bindungen);
  • der Grad der Integration: dabei sind insbesondere (angefangene) Schul- und Berufsausbildungen, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigungsmöglichkeiten und Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen;
  • die Bindungen zum Heimatstaat;
  • die strafgerichtliche Unbescholtenheit: Klar ist: wer sich nicht an Regeln hält und deswegen etwa mit einem Aufenthaltsverbot belegt ist, darf nicht bleiben.
  • Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts: sogenannte absolute Versagungsgründe würden der Gewährung von humanitärem Aufenthalt selbstverständlich entgegenstehen (Aufenthaltsverbot, Aufenthaltsehe oder -partnerschaft);
  • die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

UN-Kinderrechtskonvention in Verfassung verankern!

Was die aktuellen Fälle der Abschiebung von Kindern betrifft, ist zum Schutz der Kinder die UN - Kinderrechtskonvention in der Verfassung zu verankern. Mit einem Erlass ist hier sicher nicht das Auslangen zu finden! Im Fall von Minderjährigen ist bei der Beurteilung der angeführten Kriterien daher die UN-Kinderrechtskonvention heranzuziehen. Insbesondere sind dabei zu berücksichtigen:

  • kindgerechte Lebensbedingungen im Vergleich zwischen Österreich und dem Herkunftsland/Drittland;
  • Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten im Vergleich zwischen Österreich und dem Herkunftsland/Drittland;
  • Schulausbildung sowie zu erwartende Dauer eines den Fähigkeiten des Kindes entsprechenden Schulabschlusses in Österreich;
  • Sprachkenntnisse (Deutsch, Sprache des Herkunftslandes bzw. der Herkunftsregion);
  • Soziale Integration (Vereine, Freundeskreis);
  • Heimatgefühl im Sinne einer emotionalen Bindung an Österreich;
  • Meinung des Kindes (Art. 12 der Kinderrechtskonvention);

Evaluierung und Neugestaltung des Fremdenrechts JETZT! In Bezug auf die aktuelle Debatte bezeichnete es Frauenberger außerdem als dringend notwendig, die im Koalitionsübereinkommen festgehaltene Evaluierung der geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen (NAG, FPG und AsylG) anzugehen. "Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt, das Fremdengesetz neu zu gestalten und vor allem klare und transparente Regeln zu schaffen, die für jeden/jede nachvollziehbar machen, wer kommen und bleiben kann".

Frauenberger wies in diesem Zusammenhang auf das von den Sozialpartnern Bad Ischl vorgestellte "Rot-Weiß-Rot-Card"-Modell hin, das die Grundlage für eine solche Neuorientierung sein kann. Auch die Wiener Zuwanderungskommission erarbeitet zur Zeit einen Vorschlag für ein kriteriengeleitetes Zuwanderungsmodell, das Wien dem Bund zur Verfügung stellen wird.

Frauenberger abschließend: "Um menschliche Härtefälle in Zukunft zu vermeiden, appelliere ich nochmals eindringlich an die Innenministerin ihre Verantwortung wahrzunehmen und den humanitären Aufenthalt, wie von uns vorgeschlagen, auf rechtlich sichere Beine zu stellen. Fest steht jedoch: Das Thema Zuwanderung und Integration muss von den Sicherheitsagenden entkoppelt werden. Wir brauchen ein Migrationsstaatssekretariat als Grundlage für eine in Zukunft vernünftige, effiziente sowie menschlich gerechte Zuwanderungs- und Integrationspolitik."

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