Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 30.09.2009:
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Fachtagung: Vernachlässigung von Kindern

Wien (RK). JugendamtspsychologInnen aus ganz Österreich treffen in den nächsten Tagen zu ihrer jährlichen Fachtagung im Wiener Rathaus ein, die am 7. Oktober startet. Heuer werden sich die ExpertInnen mit wichtigen Themen wie der Früherkennung von Kindesvernachlässigung und wirksamen Maßnahmen zu deren Verhinderung ...

Wien (RK). JugendamtspsychologInnen aus ganz Österreich treffen in den nächsten Tagen zu ihrer jährlichen Fachtagung im Wiener Rathaus ein, die am 7. Oktober startet. Heuer werden sich die ExpertInnen mit wichtigen Themen wie der Früherkennung von Kindesvernachlässigung und wirksamen Maßnahmen zu deren Verhinderung auseinandersetzen.

Vernachlässigung von Kindern - Häufigkeiten und Ursachen

Prof. Dr. Günter Deegener, Dipl.-Psych., war von 1971 bis 2008 an der Universitäts-Nervenklinik, Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Kinder und Jugendliche, der Universität Homburg tätig. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema sexuelle Gewalt. In seinem Vortrag weist er auf die Häufigkeit und Ursachen von Vernachlässigung hin. Heute erscheint es ihm dringend notwendig, wieder eine Integration der (sich ganz überwiegend überlagernden) verschiedenen Formen der Kindesmisshandlungen und der gewaltförmigen Beziehungen gegenüber Kindern und Jugendlichen (körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch, seelische Gewalt, Vernachlässigung, erlebte Gewalt unter den Eltern, Gewalt in der Schule) darzustellen. Die Anforderungen und Aufgabenstellungen an die Jugendhilfe und den Kinderschutz haben sich aus seiner Sicht in den letzten 15 Jahren (auch als Folge einiger Gerichtsurteile und eines gewachsenen Drucks der Öffentlichkeit im Rahmen von Kindeswohlgefährdungen) qualitativ und quantitativ stark erhöht.

Kindesvernachlässigung früh erkennen und Prävention verbessern

Frau PD Dr. Ute Ziegenhain, Pädagogin und Entwicklungspsychologin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Ulm sieht die größte Gefahr von Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung in den ersten fünf Lebensjahren. Das Gefährdungsrisiko für Misshandlung und Vernachlässigung steigt dann sprunghaft an, wenn mehrere Risikofaktoren vorliegen, die sich gegenseitig negativ beeinflussen und verstärken. Vernachlässigung bzw. Kindeswohlgefährdung kann allerdings durch frühe und bindungsorientierte Interaktionsdiagnostik identifiziert werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Prävention von Vernachlässigung ist in der Förderung und Stärkung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen zu sehen. Insbesondere für die frühe Kindheit haben sich bindungstheoretisch konzeptualisierte Angebote zur Förderung elterlicher Feinfühligkeit bewährt.

Ein Leben im Schatten - Kinder und Jugendliche in ihren Peergruppen stärken

Univ.-Prof. Dr. Günther Opp lehrt an der Philosophischen Fakultät III Erziehungswissenschaften Institut für Rehabilitationspädagogik und wurde für die Umsetzung des amerikanischen Konzepts der Positive Peer Culture in Deutschland ausgezeichnet. In seinem Vortrag weist er auf neuere entwicklungspsychologische Studien hin. So wurden in den letzten Jahren Faktoren und Prozesse identifiziert, die "Risikokinder" auch bei extremen Belastungen im familiären und sozialen Bereich davor bewahren können, psychische Störungen zu entwickeln. Untersuchungen der protektiven Einflüsse von Peers auf die Entwicklung und Förderung der Strategien der Bewältigung alltäglicher Aufgaben im Rahmen eines Interventionsprogramms der Gleichaltrigen-Beratung (Peer Counseling) für Kinder und Jugendliche mit Lern-, Gefühls- und Verhaltensstörungen werden vorgestellt.

Kindesmisshandlung und -vernachlässigung als interdisziplinäres Problem

Das Lehr- und Forschungsgebiet von FH-Prof. Dr. Reinhold Schone liegt im Bereich Organisation und Management, Jugendhilfe und Jugendhilfeplanung an der Fachhochschule Münster.

Dr. Schone macht in seinem Vortrag auf die dringend erforderliche Zusammenarbeit aller professionellen Helferinnen und Helfer deutlich. Dabei nimmt er die besondere Verantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe in den Blick: "Sie dürfen sich in Zweifelsfällen nicht scheuen, Fachleute anderer Institutionen in die Beurteilung einer familiären Situation einzubeziehen", lautete sein Appell. Gleichzeitig zeigte er die Schwierigkeiten auf, die sich ergeben, wenn einerseits Familien keine Unterstützung und Hilfe annehmen wollen und andererseits noch nicht die Schwelle zu einer zwangsweisen Intervention überschritten ist.

Kindesvernachlässigung beurteilen und handeln

Dipl. Soz.-Päd und Dipl.-Päd. Martina Huxoll ist seit 1995 als Fachberaterin für den Bereich Gewalt gegen Kinder und als Stellvertretende Geschäftsführerin beim Deutschen Kinderschutzbund Landesverband NRW tätig. Die Referentin setzt sich mit den Schwierigkeiten der Prognoseerstellung von professionellen Helferinnen und Helfern auseinander. Fachleute haben häufig Kontakt zu Familien, in denen Kinder vernachlässigt werden und unter Umständen dadurch in ihrer weiteren Entwicklung Schaden nehmen können. Kindesvernachlässigung ist eine sehr komplexe Problematik, die Methoden und Instrumente erfordert, welche helfen, die Beurteilungspraxis zu verbessern und angemessene Handlungsstrategien zu entwickeln. Die kollegiale Beratung zur Einschätzung von Risiken für Kinder hat sich in Deutschland als Methode bewährt.

Möglichkeiten und Grenzen der Kinder- und Jugendmedizin bei vernachlässigten Kindern und ihren Familien

Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Michael Strassburg, ärztlicher Leiter des SPZ-"Frühdiagnosezentrums", Präsident der DGSPJ erklärt anhand mehrerer Beispiele - z.B. Gedeihstörungen, Hautveränderungen und Karies - die Symptome der Vernachlässigung und ihre Differenzialdiagnostik. Als entscheidenden Fortschritt sieht er die Zusammenarbeit des Kinderarztes mit den vielfältigen Institutionen vor Ort zur Verbesserung von vorausschauender Gesundheitsberatung, gezielter Betreuung von Risikofamilien und Nachbehandlung nach stattgehabter Vernachlässigung.

Und wer hilft mir? Kinder von psychisch kranken Eltern

Frau Mag. Dr. med. Elisabeth Pellegrini, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapeutin, Vorstandsmitglied im Wiener Kreis für Psychoanalyse und Selbstpsychologie, Publizistik und Kommunikationswissenschafterin mit eigener Praxis, zeigt das hohe Risiko der Vernachlässigung für Kinder von psychisch kranken Eltern auf. Insbesondere die Behandlung des erkrankten Elternteils und die Aufklärung des Kindes stellen einen wichtigen Beitrag zur Prävention dar. Vernetzung der professionellen Helferinnen und Helfer ist aus ihrer Sicht unerlässlich.

  • "Ein Leben im Schatten"
    Vernachlässigung von Kindern
    56. Fachtagung der österreichischen JugendamtspsychologInnen
    7. bis 9. Oktober 2009

An dieser Thematik interessierte Journalistinnen und Journalisten sind herzlich willkommen und haben die Möglichkeit Interviews mit den Vortragenden zu führen. (Schluss) eg

Rückfragehinweis für Medien:

(RK vom 30.09.2009)