Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 13.06.2007:
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Wien Museum: Das Elend der Großstädte um 1900

Wien (RK). Die Armut in den großen Metropolen um 1900 und die Spiegelung sozialer Not in den Medien und in der Kunst thematisiert das Wien Museum in seiner Ausstellung "Ganz unten. Die Entdeckung des Elends - Wien, Berlin, London, Paris, New York", die vom 14. Juni bis 28. Oktober im Obergeschoß des Museums zu sehen ...

Wien (RK). Die Armut in den großen Metropolen um 1900 und die Spiegelung sozialer Not in den Medien und in der Kunst thematisiert das Wien Museum in seiner Ausstellung "Ganz unten. Die Entdeckung des Elends - Wien, Berlin, London, Paris, New York", die vom 14. Juni bis 28. Oktober im Obergeschoß des Museums zu sehen ist. Wie heute in den Großstädten der dritten Welt brachte die Zeit um 1900 Urbanisierungsschübe mit ungeheurem Bevölkerungswachstum, Arbeitsverhältnissen ohne soziale Absicherung, Wohnungsnot und allen damit verbundenen Begleiterscheinungen in den Kapitalen Europas und Amerikas. Die Armut wurde bald Thema der Medien, der Dichtung, der bildenden Kunst, die mit ihren Beschreibungen auf das Elend aufmerksam machten, zugleich auch Neugier und Sensationslust weckten. Im Dreieck der betroffenen Bevölkerungsschichten, der Reporter des Elends und der Konsumenten dieser Reportagen von "ganz unten" bewegt sich die Ausstellung, die mit Bildern, Artikeln und literarischen Beispielen aus den großen Metropolen um 1900 eine Städte übergreifende Sicht des Themas bringt.****

"Straßenvolk" von London bis Wien

London war den anderen Städten in der Entwicklung zur Megastadt voraus und entsprechend früh traten dort die Probleme wie Übervölkerung, Wohnungsnot, Armut und Krankheit massenhaft auf, die Charles Dickens bereits in den 1830er-Jahren in seine Romanen, die als monatliche Fortsetzungshefte erschienen, darstellte. Der französische Künstler Gustave Dorè zeichnete die sozialen Verwerfungen der Themsestadt in seinem Buch "London. Eine Pilgerfahrt" in drastischen Bildern nach, in Paris machten sich die Schriftsteller Eugéne Sue mit seinen "Les Mystéres de Paris" und später Emile Zola auf die "Jagd nach Wirklichkeit", ebenso fanden in New York und Berlin die Elendsquartiere ihre publizistischen Ankläger oder auch Verwerter.

In Wien war es zunächst der Journalist Max Winter, der in der Arbeiter-Zeitung mit viel Engagement Reportagen vom gesellschaftlichen Rand publizierte. Mit dem Werk "Wiener Quartiere des Elends und des Verbrechens" des Journalisten Emil Kläger und des Fotografen Hermann Drawe fand die Berichterstattung von der Front des Elends 1904 einen Höhepunkt . Selbst als Elendsfiguren verkleidet spürten die beiden Reporter ihren Opfern in ihren Quartieren, in Kanälen, Spelunken und sonstigen peripheren Stadträumen nach, um die Armut publikumswirksam festzuhalten. Als Verkaufsschlager lief die entsprechende Diashow Jahre lang in der Urania, das Buch wurde ein Bestseller - damit stellt sich auch eine zentrale Frage der Ausstellung nach den Grenzen derartiger Reportagen, bei denen Aufklärung, soziales Engagement, aber auch Voyeurismus und schlichte Bereicherung am Elend anderer nahe beieinander liegen. Die Schau im Wien Museum stellt diese Reportage ins Zentrum der Ausstellung, die die Kehrseite der Pracht der Gründerzeitmetropolen sichtbar macht. Grafische Zyklen von Käthes Kollwitz und Heinrich Zille aus dem Berliner Milieu, Reportagen von Bruno Frei über das jüdische Elend in Wien und Fotoberichte des New Yorker Polizeireporters Jacob A. Riis "How The Other Half Lives" zeigen auch die mit den Jahren zunehmende Schärfe sozialer Kritik und Auflehnung gegen die Diktatur der Armut in den Städten.

Die Ausstellung ist täglich außer Montag von 8 bis 18 Uhr zu sehen, Eintritt 6 Euro ermäßigt vier Euro (an Sonntagen 5 bzw 3 Euro). Diverse weitere Ermäßigungen für spezielle Publikumsgruppen. Öffentliche Führungen gibt es jeweils am Samstag und am Sonntag um 16 Uhr, eine Reihe von Veranstaltungen begleitet die Ausstellung, im Brandstätter Verlag ist ein umfangreicher Katalog erschienen. (Schluss) gab

(RK vom 13.06.2007)