Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 27.10.2006:
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Bei Daseinsvorsorge Kluft in Brüssel überwinden

Wien (RK). In der ersten Wochenhälfte wurde im Wiener Rathaus die 12. NEELS-Expertenkonferenz abgehalten, die als Themenschwerpunkt den schon seit längerem eingeforderten Rechtsrahmen zur Daseinsvorsorge hatte. NEELS ist das Europäische Netzwerk gewählter Kommunalvertreter mit Zuständigkeit für lokale ...

Wien (RK). In der ersten Wochenhälfte wurde im Wiener Rathaus die 12. NEELS-Expertenkonferenz abgehalten, die als Themenschwerpunkt den schon seit längerem eingeforderten Rechtsrahmen zur Daseinsvorsorge hatte. NEELS ist das Europäische Netzwerk gewählter Kommunalvertreter mit Zuständigkeit für lokale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, und bildet damit eine politische Plattform der Eigentümervertreter im CEEP. Als Veranstalter der zweitägigen Konferenz fungierten die Stadt Wien über die MA 27, Dezernat Daseinsvorsorge, und der Verband der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) in seiner Eigenschaft als österreichische Sektion des CEEP.

Vizebürgermeister und Stadtrat für Finanzen, Wirtschaftspolitik und Wiener Stadtwerke, Dr. Sepp Rieder, wies einleitend darauf hin, dass "im Umfeld rasanter Privatisierungen öffentliches Eigentum ein Instrument der politischen Gestaltungskraft sein soll" und die Gestaltungskraft in den Kommunen von essentieller Bedeutung einerseits für die wirtschaftliche Entwicklung der Städte und andererseits für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger darstelle. Die Grundsatzfrage dabei sei der gesicherte Zugang der Allgemeinheit zu jenen Dienstleistungen, die unter Daseinsvorsorge zusammengefasst sind. Hier, so Rieder, sei Rechtssicherheit zu fordern, es könne nicht so sein, dass man sich quasi von einer Entscheidung des EuGH zur anderen weiterarbeiten muss. CEEP- Präsident BM a.D., Abg.z.NR Dr. Caspar Einem griff ebenfalls die Haltung des EuGH heraus und machte deutlich, dass dieser eine ganz klare Orientierung in Richtung Binnenmarkt und Durchsetzung des Binnenmarktes habe. "Die EU geht nicht von öffentlichen Unternehmen aus, sie geht davon aus, dass das, was öffentlich ist, den Privaten vorenthalten wird. Politische Verantwortung muss für die Öffentlichen eintreten", so Einem. Entscheidend helfe dabei die Erarbeitung der vielfach geforderten Rahmenbestimmungen für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinem Interesse: "Dieser Kampf muss geführt werden, das ist nicht zu ändern, dazu bildet NEELS eine ganz wichtige Voraussetzung".

CEEP-Generalsekretär Rainer Plassmann sprach die jüngste Entwicklung an und zwar den Rapkay-Bericht Ende September im Europäischen Parlament. Es handle sich dabei, so Plassmann, um keine wirklichen Vorschläge, sondern um rechtliche Initiativen. "Mit der derzeitigen Dienstleistungsrichtlinie können wir leben, die Daseinsvorsorge ist nicht gefährdet" meinte der Brüsseler Experte, "ein Problem stellen aber die EuGH Entscheidungen zu Einzelfällen dar, der Gerichtshof wird damit zu einem zweiten Gesetzgeber, deswegen fordern wir einen europäischen Rechtsrahmen. Es muss eine Kluft zwischen Europa und der Kommission überwunden werden, besonders was die Daseinsvorsorge betrifft". Plassmann wünschte sich als neuen übergeordneten Begriff "eine kollektive Wahrnehmung der öffentlichen Interessen". Die interkommunale Zusammenarbeit bilde nur eine Unterordnung bei den Public Private Partnerships, so sehe es die Kommission.

Die Stadt Wien werde bei NEELS durch Landtagsabgeordneten und Gemeinderat Dr. Kurt Stürzenbecher vertreten, der feststellte, "das Recht soll vom Volk ausgehen, wenn nur auf der Basis von Case Law entschieden wird, geht das zu Lasten der Konsumenten. Wir sehen Marktfreiheit nicht nur als Dogma, das Wettbewerbsrecht muss in Relation zu anderen Werten für die Bürgerinnen und Bürger gesehen werden". Es sei, so der Mandatar, demokratiepolitisch wichtig, dass eine Regelung über Rechtsnormen erfolge. NEELS müsse bei der Verfolgung dieser Ziele auch ein entsprechendes Lobbying betreiben", denn der Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene ist kompliziert". Für die MA 27 - Dezernat Daseinsvorsorge, wies deren Leiter, OMR Mag. Martin POSPISCHILL, auf die qualitativ hochwertigen Dienstleistungen der Stadt Wien im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger hin. Die Stadt Wien erbringe diese Leistungen zu 100 Prozent als Eigentümer selbst oder durch ausgegliederte Unternehmen, die Maxime dabei laute "Wir machen den Versuch, die Dienstleistungen aktiv zu leben". Pospischill sprach klar aus, was allen Beteiligten bewusst sein dürfte: "Wir haben nicht mehr viel Zeit für das Inkrafttreten eines Rahmenrechts. Setzen die EU-Institutionen ihren bisherigen Weg fort, gibt es in drei bis fünf Jahren keine Daseinsvorsorge mehr". Auf diese Befürchtung müsse man schnell reagieren, auch wenn es vereinzelt gute sektorale Entwicklungen, wie etwas den ÖPNV, gebe.

Auf kommunaler Seite machte der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden die Probleme und Sorgen der Städte anschaulich. Die Debatte darüber, wie weit sich die öffentliche Wirtschaft der Privatwirtschaft nähere, was die Effizienz betreffe, gehe in Richtung der PPP und sei zu akzeptieren. Mangels klarer rechtlicher Vorgaben spiele jedoch die Judikatur eine übergeordnete Rolle. Man könne auch bei den Experten in Brüssel kaum einheitliche Tendenzen feststellen, ein anderes Urteil (Teckal) habe mehrere Auslegungsmöglichkeiten gefunden: Nur bei 100 Prozent Kontrolle der öffentlichen Hand sei eine Inhouse- Vergabe erlaubt, versus wenn diese 100 Prozent nicht komplett erfüllt seien, müsse eine 100prozentige Ausschreibung erfolgen. Als deutliche Präferenz seien Rechtsnormen zu sehen, denn "wir brauchen klare Richtlinien und keine interpretativen Mitteilungen", forderte Schaden.

Einen Einblick in die Vorgangsweise französischer Kommunalpolitik gab Albert Mahe, Vizebürgermeister von Nantes. Das Kapital der öffentlichen Unternehmen befinde sich zu 50 bis 80 Prozent in der Hand der Gebietskörperschaften, 15 bis 49 Prozent bei privaten Eignern. Nun geht man daran, neue Gesellschaften zu bilden, die sich zu 100 Prozent in Händen der Gemeinden befinden. Dieses Modell "entspricht voll den Regeln der Inhouse-Gesetze von Brüssel", so der Kommunalpolitiker. Beim Personalstatus bestehe ein Unterschied, in den Regie-Betrieben sind die Beschäftigten Beamte, bei den Inhouse-Firmen Privatangestellte.

Dass sich hier noch ein weites Feld auf tut, hatte zuvor schon NEELS-Präsident Carl Cederschiöld, vormals Stockholmer Bürgermeister, formuliert "Wenn wir die angesprochene Kluft nicht überwinden, wird es extrem schwierig sein, eine neue Verfassung zu entwickeln. Es ist nicht nur ein vorbildliches Recht der Stadt Wien, sich bei der Daseinsvorsorge zu engagieren, das Subsidiaritätsprinzip muss auch weiter wirken".

Die grundsätzlichen Gedanken der NEELS-Konferenz wurden in einer "Wiener Deklaration" festgehalten, die im Rahmen der 9. Europäischen Konferenz der Kommunalwirtschaft des CEEP am 31. Oktober in Brüssel vorgestellt wird. An dieser Konferenz wird eine starke österreichische Delegation teilnehmen, der neben mehreren Mandataren aus allen im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien, auch führende Persönlichkeiten der Kommunalwirtschaft angehören werden. (Schluss) red

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(RK vom 27.10.2006)