Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 22.03.2006:
Bitte beachten Sie, dass die Inhalte (Termine, Kontaktmöglichkeiten,...) möglicherweise nicht mehr aktuell sind.

Brandsteidl bei Gedenktafel-Enthüllung in der AHS Wasagasse

Wien (RK). "Nur die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann davor bewahren, diese wiederholen zu müssen. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass die AHS Wasagasse mit ihrem Projekt 'Erinnerung' eine so intensive und sicher auch schmerzliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Schule ...

Wien (RK). "Nur die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann davor bewahren, diese wiederholen zu müssen. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass die AHS Wasagasse mit ihrem Projekt 'Erinnerung' eine so intensive und sicher auch schmerzliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Schule gesucht hat", stellte Wiens Amtsführende Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl gestern, Dienstag, im Rahmen eines Festakts zur Enthüllung einer Gedenktafel für die zwischen 1938 und 1945 vertriebenen oder ermordeten jüdischen SchülerInnen der AHS Wasagasse (G9) fest.

Zur Geschichte der Wasagasse: Die Schulkataloge und Jahresberichte des Gymnasiums lesen sich wie das "Who is Who" der österreichischen Kultur und Wissenschaftselite. Am bekanntesten sind zweifelsohne Karl Landsteiner, Stefan Zweig, Erich Fried und Friedrich Torberg. Aber hier ist die Liste längst nicht zu Ende: Erich Kleiber, Julius Tandler, Ludo Hartmann, Otto Leichter, Erwin Chargaff, Marcel Prawy, Peter Hammerschlag, Felix Salten, Ari Rath und viele andere könnten beispielsweise noch genannt werden. Das Wasagymnasium war Teil einer blühenden jüdischen Kultur im 9.Bezirk: Um die Jahrhundertwende waren 70% der Schüler jüdisch; 1938 waren es 50%. Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft in Österreich wurde dem mit Gewalt ein Ende gesetzt. Am 27.April 1938 erfolgte die Absonderung der jüdischen Mittelschüler und die Errichtung von rein jüdischen Mittelschulen. Die jüdischen Schüler der umliegenden Gymnasien wurden ans Gymnasium Wasagasse "umgeschult". Am 3.Juni wurde die jüdische Sammelschule G9 in den 17.Bezirk in die Kalvarienberggasse verlegt, das Gebäude von der NSDAP übernommen. Den jüdischen Schülern war dann ab dem Schuljahr 1938/39 der Besuch öffentlicher Schulen gänzlich untersagt. Viele der ehemaligen Schüler und ihre Eltern konnten durch Flucht ihr Leben retten. Alle wurden um ihre Jugend gebracht. Sie wurden ausgeplündert, vertrieben und verfolgt. Ihre Familien wurden in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet.

Vor dem Hintergrund dieser Schulgeschichte entschloss sich die AHS Wasagasse, getragen vom massiven Engagement der Lehrerin Mag. Renate Mercsanits und den SchülerInnen, das Projekt "Erinnerung" zu starten und eine umfangreiche "Spurensuche" zu beginnen. Die Spurensuche ist zu einer Suche nach ermordeten oder vertriebenen Menschen geworden. SchülerInnen der 7.B Schuljahr 2003 konnten dieses Projekt tragen. Diese Klasse, die auch eine Exkursion nach Auschwitz machte, hat mittlerweile maturiert. Das Projekt wurde auf anderen Ebenen mit anderen Klassen in mehreren Fächern weitergeführt. Schulklassen wurden immer wieder mit den Schicksalen der ehemaligen jüdischen Schüler und Lehrer konfrontiert.

Als Ausdruck und Höhepunkt dieses Projekts wurde nun eine Gedenktafel zur Erinnerung an die im Jahre 1938 unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vertriebenen, verfolgten und ermordeten Schüler und Lehrer in der Schule enthüllt. An dem Festakt nahmen neben zahlreicher Prominenz aus der Politik und dem Schulwesen auch zahlreiche ehemalige jüdische SchülerInnen teil - so hielt der ehemalige Wasagassen-Schüler und spätere Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari Rath, einen bewegenden Festvortrag.

Brandsteidl abschließend: "Ich danke allen Beteiligten für ihren Einsatz in diesem Projekt. So zeitintensiv und sicher auch emotional schmerzlich diese Beschäftigung war, scheint mir diese tiefgehende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ein wichtiger Baustein für eine Zukunft, in der Inhumanität und Antisemitismus keinen Platz haben dürfen und in der das demokratische Bewusstsein der BügerInnen sich auch in gelebter Zivilcourage und Solidarität ausdrückt." (Schluss) ssr

(RK vom 22.03.2006)