Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 15.11.2002:
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Mariahilf ist Pilotbezirk für alltagsgerechtes Planen und Bauen

Mariahilf ist Pilotbezirk für alltagsgerechtes Planen und Bauen

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Wien (RK). Vor einem Jahr stellten Frauenstadträtin Renate Brauner und Planungsstadtrat Rudolf Schicker das Projekt "Gender Mainstreaming-Musterbezirk" vor. Durch ein eigens erarbeitetes Kartenmaterial wurde im Sommer schließlich den Bezirken die Grundlage gegeben, zu einem Musterbezirk hinsichtlich alltags- und ...

Wien (RK). Vor einem Jahr stellten Frauenstadträtin Renate Brauner und Planungsstadtrat Rudolf Schicker das Projekt "Gender Mainstreaming-Musterbezirk" vor. Durch ein eigens erarbeitetes Kartenmaterial wurde im Sommer schließlich den Bezirken die Grundlage gegeben, zu einem Musterbezirk hinsichtlich alltags- und frauengerechtem Planen zu werden. Als Pilotbezirk wurde Mariahilf ausgewählt, wo nunmehr ab kommendem Jahr alle Planungs- und Baumaßnahmen im öffentlichen Raum unter dem Aspekt des sogenannten Gender Mainstreamings, also der Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensbedingungen und Chancen von Frauen und Männern im politischen Handeln, erfolgen sollen. Im Rahmen eines Rundganges präsentierten Stadträtin Brauner und Stadtrat Schicker am Freitag gemeinsam mit der Bezirksvorsteherin von Mariahilf, Renate Kaufmann, konkrete Beispiele in Mariahilf, an denen künftig Maßnahmen zur Verbesserung der Alltagstauglichkeit des öffentlichen Raums gesetzt werden sollen, bzw. werden wurdenauch bereits erfolgreich umgesetzte Projekte gezeigt gezeigt. Der Rundgang führte von der Gumpendorferstraße über die Stumpergasse, Loquaiplatz, Esterhazygasse, Corneliusstiege und Stiegengasse bis zur Barnabitengasse.*****

Die Prinzipien des "Gender Mainstreaming" - also der Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensbedingungen von Frauen und Männern im politischen Handeln und Herstellung der Chancengleichheit - werden noch stärker als bisher zur generellen Handlungsanleitung in der Wiener Stadtplanung. Die Planung und Umsetzung jedes Projekts - z.B. bei Wohnbauten, die Planung öffentlicher Einrichtungen, Verkehrsmaßnahmen, Maßnahmen im öffentlichen Raum etc. - sollte unter der Prämisse der "Alltagstauglichkeit" erfolgen. Im Konkreten heißt dies: Mehr Platz und weniger Hindernisse für FußgängerInnen, mehr Sicherheit und Anhebung des Sicherheitsgefühls durch eine adäquate (Straßen)Beleuchtung, die Berücksichtigung der Wünsche von Kindern und Jugendlichen - und hier vor allem Mädchen - in der Gestaltung des öffentlichen Raums, die Förderung von Frauen in Architektur, Planung und Technik etc.

Auf Initiative von Frauenstadträtin Renate Brauner und Planungsstadtrat Rudolf Schicker wurde dazu vor einem Jahr die Leitstelle für alltags- und frauengerechtes Planen in der Baudirektion mit einer Konzeptentwicklung für einen "Gender- Musterbezirk" beauftragt. Bei einem ersten Kontakt mit den Bezirken haben sich 19 von 23 Bezirken dafür interessiert, sich an diesem Projekt zu beteiligen. "Gender Mainstreaming ist ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung im Handeln der Verwaltung. In meinem Ressort befinden sich alle für den öffentlichen Raum zuständigen Abteilungen; die Resonanz der Bezirke auf unser Projekt war sensationell - ich bin daher optimistisch, dass in Zukunft ein alltags- und frauengerechtes Planen und Bauen, das Rücksicht auf die Bedürfnisse aller NutzerInnen des öffentlichen Raums nimmt, zu einer Selbstverständlichkeit wird", betonte Stadtrat Schicker dazu.

Stadträtin Brauner: "Gerade die Kommunalpolitik ist eine Politik des Alltags, die auf die Gewohnheiten und Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsgruppen besonders Rücksicht nehmen muss. Die Lebensbedingungen von Frauen unterscheiden sich in einigen Bereichen grundsätzlich von jenen der Männer: Frauen benutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel, legen eine Vielzahl von Alltagswegen in ihrer direkten Wohnumgebung zu Fuß zurück und sie leisten immer noch den Großteil der Versorgungsarbeit in den Familien. Dass alles muss eine alltags- und frauengerechte Stadtplanung berücksichtigen. Defizite im öffentlichen Raum, die Männer in ihrer alltäglichen Mobilität vielleicht nur wenig einschränken, können für Frauen zu einem sehr großen Ärgernis werden. Der 6. Bezirk als Modellbezirk nach Kriterien des Gender Mainstreaming wird also ein wichtiges Vorbild für ganz Wien auf dem Weg zu einer noch frauengerechteren Stadt sein."

"Ich freue mich, dass Mariahilf dazu als Pilotbezirk ausgewählt wurde, da mir die Alltagstauglichkeit von Planungs- und Baumaßnahmen besonders am Herzen liegt. In Mariahilf haben wir schon vieles umgesetzt, allerdings gibt es - vor allem durch die zahlreichen Stiegenanlagen - auch noch einiges an Umgestaltungsmaßnahmen zu erledigen. Die Bezirkskarten, die die Leitstelle nunmehr den Bezirken als Grundlagenmaterial zur Verfügung gestellt hat, stellen eine wertvolle Unterlage dar, um zu erkennen, wo noch Potenziale ausgeschöpft werden können und müssen", so Bezirksvorsteherin Renate Kaufmann.

"Gender Mainstreaming"- Musterbezirke

Mit dem Projekt des "Musterbezirks" ist Wien auch im internationalen Vergleich an führender Stelle hinsichtlich der strukturellen Umsetzung der Prinzipien des Gender Mainstreaming.

Gerade die Bezirksebene bietet sich für eine systematische Erprobung des Gender Mainstreaming an, da sie die Ebene kommunalpolitischen Handelns ist, wo Alltag am stärksten spürbar ist, sich der Großteil des versorgenden Alltags abspielt. Ein Vorteil ist auch die relative Überschaubarkeit und BürgerInnennähe. Die Bezirksvertretungen haben einen Schwerpunkt ihrer Kompetenz und Ressourcenverantwortlichkeit im öffentlichen Raum.

EDV-gestützt wurden Bezirkskarten, die den Bezirken eine geschlechtssensible Entscheidungsfindung für Projekte und Vorhaben im öffentlichen Raum erleichtern, in Zusammenarbeit mit der MA 14- ADV erarbeitet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem "Lokal gebundenen Verkehr", das sind jene Personen, die ihre Alltagswege in besonderem Maße im Grätzel zurücklegen, die umwegempfindlich und auf Querungshilfen angewiesen sind: Kleinkinder, Mütter und Väter, die Betreuungs- oder Versorgungsaufgaben nachkommen, (hoch)betagte Menschen, Personen im Rollstuhl oder solche mit anderen vorübergehenden oder dauernden körperlichen Behinderungen/ Beeinträchtigungen.

Im zweiteiligen Kartenwerk sind jetzt erstmalig die "Netzqualität" und die "Netzdefizite" jeweils pro Bezirk für Wien zusammengefasst.

Aus dem Kartenteil "Netzdefizite" wird ersichtlich, wo überall im öffentlichen Wegenetz Qualitätsmängel aus der Sicht der zu Fuß Gehenden vorhanden sind: zu schmale Gehsteige, Beeinträchtigungen durch Gehsteig-Parker, FußgängerInnen- Unfallhäufungspunkte, fehlende Querungshilfen, schlechte Gehbeläge.

Die Kombination der Ziele des lokal gebundenen Verkehrs (Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, Schulen, Kindergärten, Ärzte, Parks, ...) mit den ausgewiesenen Defiziten stellt eine wichtige Grundlage für die Prioritätensetzung bei der Mängelbehebung dar. Denn man kann davon ausgehen, dass dort durchgeführte Verbesserungen besonders vielen betroffenen Personen zugute kommen. Einen zusätzlichen Handlungsimpuls für die Bezirke könnte 2003 das "Europäische Jahr der Behinderten" darstellen.

Weiters werden den Bezirken ein Handbuch mit Planungsempfehlungen und -richtlinien, sowie die Beratungskapazität der Leitstelle zur Verfügung gestellt werden.

Mariahilf - Pilotbezirk für Chancengleichheit im öffentlichen Raum

Als Pilotprojekt zur konsequenten Umsetzung der Prinzipien des Gender Mainstreaming wurde der 6. Bezirk ausgewählt. Dieser Pilotbezirk stellt ein "Labor" dar, um für die Anwendung von Gender Mainstreaming analytische Schärfe, Kreativität und Prozessqualität zu entwickeln. Alle Dienststellen des Planungs- und Verkehrsressorts sind aufgerufen, für jede Maßnahme, die im Pilotbezirk während dieser Legislaturperiode gesetzt wird oder werden soll, geschlechtsspezifische Auswirkungen abzuschätzen und auszuweisen, welche unterschiedlichen Bedürfnislagen verschiedener Zielgruppen berührt werden. Dies hat in Abstimmung und Kooperation mit der Leitstelle zu erfolgen. Schulungen für alle MitarbeiterInnen der Planungs- und Verkehrsabteilungen, die im Bezirk tätig sind, sollen mit Unterstützung der MA 57 - Frauenbüro durchgeführt werden.

Kriterium für die Auswahl des Bezirkes war nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Mariahilf als einziger Bezirk über eine eigene Frauenkommission verfügt, die sich im Besonderen mit einer alltagsgerechten Gestaltung des öffentlichen Raums auseinandersetzt. Außerdem wurde erst kürzlich eine eigene Behindertenkommission im Bezirk eingerichtet.

Die Auswahl erfolgte zudem auch auf Basis des Programms "Neuinterpretation des öffentlichen Raums", das im Auftrag der MA 19 seitens der Architekten Schwarz und Schwarz für die Bezirke Landstraße und Mariahilf als Pilotprojekt erarbeitet wurde. Dabei werden Potenziale und Defizite im öffentlichen Raum gegenüber gestellt und so ein langfristiger Entwicklungsplan für den Öffentlichen Raum des jeweiligen Bezirkes definiert. Dadurch wird den Bezirken eine wichtige Entscheidungsgrundlage geboten. Das Programm läuft für ganz Wien, im kommenden Jahr werden weitere drei Bezirke bearbeitet.

Für die Absicherung der Prozessqualität, die begleitende Projektevaluierung sowie die Abdeckung von Mehrkosten für das "Qualitätsplus" durch innovative Maßnahmen werden zentrale Budgetmittel des Planungsressorts bereitgestellt. Dem Pilotbezirk wird somit ein flächendeckender Planungsprozess geboten, die Finanzierung der konkreten Maßnahmen liegt in der Kompetenz des Bezirkes.

Die Eckpunkte der heute besichtigten Route waren:

  • U6-Station Gumpendorfer Straße:
    Hier ist die Vorplatzgestaltung auf beiden Seiten der U-Bahn-
    Trasse ebenso wie die Verbesserung der Verbindungen zum 15.
    Bezirk im Sinne einer höheren Sicherheit und Nutzungsqualität
    notwendig. Bereits umgesetzt wurde ein taktiles Leitsystem für
    Blinde sowie eine akustische Ampelschaltung.
  • Stumpergasse: Gehsteigvorziehung bereits umgesetzt
  • Durchgang Sonnenuhrgasse: Durch Verbesserungsmaßnahmen wurde der
    Durchgang übersichtlicher und somit sicherer gestaltet
  • Gumpendorfer Straße - Kreuzung Hirschengasse: Eine Entschärfung
    des Kreuzungsbereichs ist notwendig
  • Loquaiplatz: Das Parken am Gehsteig birgt Beeinträchtigungen
    bzw. Gefahren für die BewohnerInnen des Pensionistenheims.
    Bereits umgesetzt wurde eine neue, sinnvollere Nutzung des
    vormaligen "Wickelhäuschens"; auch der Zugang zur WC-Anlage vom
    Park aus wurde vereinfacht.
  • Otto-Bauer-Gasse: Oft sind es schon kleine, kostengünstige
    Maßnahmen, die wesentlich zur Hebung der Verkehrssicherheit
    beitragen: Hier wurde hohe Strauchbepflanzung durch ein
    Blumenbeet ersetzt und so die Einsicht in den Kreuzungsbereich
    deutlich verbessert.
  • Gumpendorfer Straße - Kreuzung Esterhazygasse: Hier ist es
    notwendig, die FußgängerInnenrelationen zu verbessern. Der
    Gehsteig ist relativ schmal, die Überquerungsmöglichkeiten der
    Gumpendorfer Straße schwierig.
  • Corneliusstiege: Hier wurde eine spezielle Kinderwagenrampe
    installiert und ein entsprechendes Hinweisschild zur Benutzung
    angebracht.
  • Stiegengasse/Amonstiege: Die sehr steile und längste Stiege des
    Bezirks stellt ein großes Hindernis für FußgängerInnen mit
    Kinderwägen, Einkaufstaschen, betagte und gebrechliche Personen
    dar. Im Bezirk wurde ein Antrag auf Errichtung eines Aufzugs
    beschlossen; die technischen Möglichkeiten zur Umsetzung werden
    geprüft.
  • Bei der Capistranstiege hat die MA 29 unter hohem technischen
    Aufwand die Brüstungen durch durchsichtige Geländer ersetzt und
    somit die Sicherheit erhöht.
  • Barnabitengasse: Der Gehsteig-Belag in der Barnabitengasse ist
    durch die Kopfsteinpflasterung extrem fußgängerInnen-
    unfreundlich. Eine Lösung hinsichtlich eines alltagstauglicheren
    Belags, der auch den Vorgaben der Stadtgestaltung entspricht,
    muss gefunden werden.

rk-Fotoservice: www.wien.gv.at/

(Schluss) hk/gb

(RK vom 15.11.2002)