Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 30.07.2001:
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Vor 25 Jahren Einsturz der Wiener Reichsbrücke

Wien (RK). Ein ebenso spektakuläres wie unerfreuliches Ereignis markierte im Jahr 1976 den Monatsbeginn August: Der Einsturz der Wiener Reichsbrücke am Monatsersten in den frühen Morgenstunden. Dabei war es noch Glück im Unglück, dass sich an diesem Sonntagmorgen es hätte ein schöner heißer Badesonntag werden sollen ...

Wien (RK). Ein ebenso spektakuläres wie unerfreuliches Ereignis markierte im Jahr 1976 den Monatsbeginn August: Der Einsturz der Wiener Reichsbrücke am Monatsersten in den frühen Morgenstunden. Dabei war es noch Glück im Unglück, dass sich an diesem Sonntagmorgen es hätte ein schöner heißer Badesonntag werden sollen knapp vor 5 Uhr früh, als die Brückenkonstruktion absackte, nur vier Fahrzeuge im Brückenbereich befanden. Leider war ein Menschenleben zu beklagen, der Fahrer eines Kleinlasters wurde mit dem Fahrzeug unter Wasser gedrückt und konnte nur noch tot geborgen werden. Ein fahrgastloser Bus der Wiener Verkehrsbetriebe stürzte zwar ab, der Lenker konnte sich aber auf das Dach retten. Die beiden anderen Fahrzeuge waren auf der Fahrbahn hängen geblieben. Um 6,30 Uhr trat dann ein Krisenstab unter dem Vorsitz von Bürgermeister Leopold Gratz zusammen. Es war klar, dass möglichst rasch provisorische Donauquerungen hergestellt werden mussten:

Unter Zuhilfenahme von Brückengeräten des Bundesheeres sollte ein erstes Provisorium hergestellt werden, über das die Straßenbahn eingleisig verkehren konnte, für den zweigleisigen Verkehr sollte ebenfalls eine Pionierbrücke geschlagen werden. Eine dritte provisorische Brücke sollte dem Individualverkehr dienen. Bereits am 16. Oktober war die Straßenbahnbrücke benützbar, und ab dem 16. Dezember konnte die Notbrücke für den Autoverkehr befahren werden. Bis Jänner 1977 wurden dann die Brückenteile aus dem Strom entfernt.

Für die neue Reichsbrücke wurde noch im Dezember 1976 ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Ende Juni 1977 fiel die Entscheidung zugunsten des Projekts "Johann Nestroy" der Architekten Popper und Kotz, das eine zweigeschossige Stahlbetonbrücke vorsah, mit deren Bau im Jänner 1978 begonnen wurde. Durch diese Konstruktionsform war es möglich, auch gleich die U-Bahn-Linie "U 1" über die Donau zu führen, deren Betriebsaufnahme dann am 3. September 1982 erfolgte. Die Verkehrsfreigabe war bereits am 8. November 1980, die Eröffnung wurde von Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger und Bürgermeister Mag. Leopold Gratz vorgenommen. Die neue Brücke besteht aus mehreren Tragwerken: Der Strombrücke über Handelskai, Donau und Donauinsel (5 Felder mit 528 Metern Länge), der Flutbrücke über die Neue Donau (3 Felder mit 212 Metern Länge) und der Brücke über die A 22/Donauuferautobahn (2 Felder mit 124 Metern Länge).

Ein kurzer historischer Überblick über die Donauquerungen bzw. die Brücken in diesem Stromabschnitt: Vor ihrer Regulierung war die Donau im Bereich der heutigen Stadtgrenzen generell ein stark verzweigter Fluss, mehrere Holzbrücken - so auch die erste Kaiser Ferdinand-Nordbahnbrücke (1836) - führten über die einzelnen Arme. Als Folge der Donauregulierung in den Jahren 1870 bis 1875 kam es zur Errichtung neuer Brücken, die den 300 Meter breit gewordenen Strom überqueren sollten. So wurde 1872 bis 1876 die "Kronprinz Rudolph-Brücke" errichtet, die aus einem durchlaufenden eisernen Gittertragwerk bestand. Im Jahr 1919 wurde sie in "Reichsbrücke" umbenannt. Die verhältnismäßig schmale Konstruktion sollte durch ein Bauwerk ersetzt werden, das dem steigenden Verkehrsaufkommen gerecht wurde.

Die "neue" Reichsbrücke wies dann zwei Autospuren je Richtung, zwei Straßenbahngleise und Gehwege auf beiden Seiten auf. Die Flutbrücke über das damalige Überschwemmungsgebiet blieb erhalten und wurde entsprechend verbreitert. Den Wettbewerb gewannen die Wiener Architekten Siegfried Theiß und Hans Jaksch übrigens auch die Planer des ersten Wiener Hochhauses (1933) in der Herrengasse 6-8 -, an der künstlerischen Gestaltung der zur damaligen Zeit drittgrößten Kettenbrücke Europas wirkte Clemens Holzmeister. Nach fast vierjähriger Bauzeit wurde sie am 10. Oktober 1937 eröffnet. Eher traurige Berühmtheit erlangte die Reichsbrücke in den letzten Kriegstagen im Frühjahr 1945: Sie war die einzige Donaubrücke im Wiener Raum, die von kleineren Schäden abgesehen, intakt geblieben war. Auf die zurück weichenden Verbände der Deutschen Wehrmacht folgten unmittelbar die Truppen der Roten Armee unter Marschall Tolbuchin. Von 1946 bis 1956 führte die Brücke dann den Namen "Brücke der Roten Armee". Knapp vor dem Kriegsende war die Brückenkonstruktion extremen Belastungen durch schweres Kriegsgerät (Panzer, Geschütze) ausgesetzt gewesen. Die Brückenfachleute vertreten aber die Meinung, dass kein Kausalzusammenhang zwischen damals und dem Brückeneinsturz besteht.

So bedauerlich das spätere Unglück auch war, vorhersehbar war es nicht. Die Expertenkommission, die sich mit den möglichen Ursachen für den Brückeneinsturz befasste, kam nach den umfangreichen Untersuchungen, die bereits am 2. August 1976 begonnen hatten und deren Abschlussbericht am 9. März 1977 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, u.a. zu dem Schluss, dass ohne eine zerstörende Vorgangsweise das Innere der Pfeiler nicht hätte überprüft werden können. Der Sprecher der fünfköpfigen Kommission, Universitätsprofessor DI Dr. Hans Reiffenstuhl (TU Wien) ließ keinen Zweifel offen: Auch eine noch so eingehende Überprüfung hätte den Einsturz nicht verhindern können. Das war auch in Hinblick auf die juristischen Schlussfolgerungen wichtig, weil damit "vis major", also ein unabwendbares Ereignis vorlag, was etwa für die Frage zivilrechtlicher Haftungen bei der Schifffahrt von Bedeutung war.

Zu dem Gesamtkomplex Einsturz und Neuerrichtung der Wiener Reichsbrücke erscheint eine RK-Spezial, die den Zeitablauf detaillierter darstellen wird, und in der auch Landtagspräsident a.D. Ing. Fritz Hofmann (damals Stadtrat), der die politische Verantwortung für das Ereignis übernommen hatte, sowie der amtierende Wiener Brückenbauchef, OSR DI Walter Hufnagel (MA 29) zu Wort kommen werden. (Schluss) pz

(RK vom 30.07.2001)