Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 11.06.1999:
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Internationales Presseecho auf die Wiener Festwochen 1999

Wien, (OTS) Nicht nur die österreichischen Medien, sondern auch mehrere internationale Tageszeitungen und Wochenmagazine widmeten den Wiener Festwochen 1999 breiten Raum. Hier eine Auswahl: Schmaler Pfad, endlos lang "Ist es möglich, ein Wiener-Festwochen-Programm zu entwickeln, das auf Erzählungen und Illusionen ...

Wien, (OTS) Nicht nur die österreichischen Medien, sondern auch mehrere internationale Tageszeitungen und Wochenmagazine widmeten den Wiener Festwochen 1999 breiten Raum. Hier eine Auswahl:

Über das Projekt "Wahlverwandtschaften" in den Sophiensälen;

Schmaler Pfad, endlos lang

"Ist es möglich, ein Wiener-Festwochen-Programm zu entwickeln, das auf Erzählungen und Illusionen verzichtet? Das keine mitreißenden Handlungsfäden, keinen Ausdruckstanz und keine Neuinterpretationen anbietet, sondern die Last der Darstellung abwirft? Der Anspruch ist ehrgeizig, die Ausführung ein doppelter Salto: Mit den "Wahlverwandtschaften" sollte ein "Parcours für verschiedene Raum- und Zeiterfahrungen" geboten werden. Konkret hieß das: Von sieben Uhr abends bis drei Uhr morgens mußten die Besucher zwischen zwanzig Spielstätten wählen. Ein Marathon vom Keller bis auf den Dachboden, kreuz und quer durch die Sofiensäle ...

... `Wahlverwandtschaften war ein Experiment. Daß die Besucher nicht so recht erfahrungsbereit mitspielten, lag sicher auch an der unklaren Mischung verschiedener Ereignisformen. Kann tatsächlich ein Wechsel der Betrachterhaltung erwartet werden zwischen dem All-over von Franz Pomassls Sound auf den Gängen, der klassischen Tanzaufführung von Jennifer Lacey in Kooperation mit Peter Kogler als Bühnenbildner und Pomassl als Soundmeister, zwischen der Hühner-Performance von Gelatin mit Eierwurf-Einlagen, dem Video von Uri Tzaig, einem Handballspiel ohne Tore, und Gabriel Orozcos Einlage, der 800 Dias mit Tanzmusik von Richard Dorfmeister und Rupert Huber kombinierte? Am Ende erfolgt der Wechsel zwischen bildender Kunst und Theater zu abrupt, um zu mehr als zu Konsum zu führen. Denn in dieser massiven, kategorienverwirrten Kombination wird das Publikum so sehr mit seiner unerwarteten Selbstorganisation beschäftigt, daß es kaum zum Nachdenken kommt. Dabei bieten sich durchaus spannende Fragen an: Was eigentlich ist ein Publikum? Welche Rolle, welche Erwartungen leiten seine Erfahrungen, und was kann eine ungeleitete Betrachtung im Theater bedeuten? Die `Wahlverwandtschaften bildeten den Höhepunkt, vielleicht sogar eine Art Zusammenfassung dessen, was Hortensia Völckers, die Direktorin für Tanz und mehr, während der Wiener Festwochen angeboten hat ...

... `Was geschieht, wenn die Bewegung selbst, die permanente Veränderung von Formen, thematisch wird und auf ein Bewußtsein trifft, das auf Fixieren und Kontrollieren von Illusionen, auf Feststellen von Dauerhaftem angelegt ist? Was also passiert, wenn die Last der Darstellung aufgehoben wird, wenn statt Erzählung Bewegung stattfindet, wenn statt eines reservierten Platzes ein ganzes Haus selbstgewählt wahrgenommen werden will? Die Antwort gibt das Publikum, das aufgerufen ist, sich selbst zu definieren. Dieser schwierige Weg zu einem veränderten Anspruch an das Theater, das haben die `Wahlverwandtschaften gezeigt, ist noch längst nicht ausformuliert, aber tastend zu beschreiten".

Sabine B. Vogel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.6.1999

Über Luc Bondys Inszenierung von Botho Strauß "Lotphantasie"

im Rabenhof:

Tiefe Sehnsucht

"Jeder Museumsbesucher kennt die Szene, in der die Töchter Lots ihrem Vater so viel Wein zu trinken geben, daß er nicht `gewahr ward, daß sie sich zu ihm legten und `Samen von ihm erhielten, also daß sie schwanger wurden von ihrem Vater. Nach der Genesis fällt das Ereignis in die Tage nach der Vernichtung von Sodom durch Feuer und Schwefel, als die Engel Lot, seine Frau und die beiden jüngsten Töchter aus der Stadt führten. Die ungehorsame Frau des Lot, die zurückblickte, erstarrte zur Salzsäule. Da Lot und seine Töchter nun in einer einsamen Höhle inmitten einer Salzwüste hausen mußten, fürchteten die Töchter, daß es keine Männer mehr gäbe, von denen sie Kinder empfangen könnten. Sie verfielen so dem Gedanken, ihren Vater zum Inzest zu gebrauchen.

Den Dichter Botho Strauß hat die im 19. Kapitel der Genesis erzählte Geschichte immer beschäftigt. Als Luc Bondy ihn um ein Stück bat, das er bei seinem Wiener Festwochen-Theaterlabor zur Uraufführung bringen könne, griff er den Stoff wieder auf und schuf mit `Lotphantasie eine bezaubernde Mischung aus biblischen und modernen Elementen ...

... Katharina Schubert (Abbia) und Marianne Hamre Scheicher (Zibbia) sind hochbegabte Studentinnen des Wiener Reinhardt- Seminars, die Luc Bondy für seine zarte, poetische Inszenierung ausgewählt hat. Hans Diehl verleiht dem Vater Lot die wünschenswerte Greisenhaftigkeit. Zum Schluß führt Botho Strauß noch einen `Fremden (Wolfgang Michalek) in das Geschehen ein, der die Töchter erkennen läßt, daß es doch noch Männer auf der Welt gibt und ihr Inzest mit dem Vater eigentlich überflüssig war. Aber vielleicht ist der `Fremde auch ein Engel, da er bei jeder Berührung Federn fallen läßt. Sehr eindrucksvoll hat Gilles Ailaud das von eisblauem Salz bestimmte Bühnenbild gestaltet, während Marianne Glittenberg den Töchtern Minikleider und Lot ein den Bibelillustrationen der Nazarener nachempfundenes `orientalisches Gewand zugeordnet hat".

Ruediger Engerth, Handelsblatt, 3.6.1999

Der Bibel-Kopist

"Herr Jelke, ein `Schwundgreis mit ausgemergeltem Schädel, ist Pförtner und hat eine junge, sprunghafte Geliebte, die ihm öfter mental abhanden kommt, mitten in einem `Kuss des Vergessens beispielsweise. Herr Lot, ein `kleiner halbnackter knöcherner Greis in der Salzwüste, ist der bibelfeste Tagtraum einer Studentin, die auf der Suche nach ihrem vermissten Liebsten, Pförtner bei den Städtischen Wasserwerken, in einem Busunterstand wartet.

Kein Zweifel, der Dramatiker Botho Strauß, 55, fühlt die Last der Jahre. Seine beiden letzten Stücke spielen (die seltsame Vorliebe für Pförtner einmal beiseite) mit dem Motiv Älterer-Herr- liebt-Mädchen-das-seine-Tochter-sein-könnte. In Der Kuss des Vergessens kommt es noch als Etüde über Paarbeziehungen daher, in der folgenden Lotphantasie geht's ganz offen um Inzest. Und ein Tropf, wer die feine Ironie nicht bemerkte: Den Einakter hat er für Luc Bondy, neuerdings Professor am Max-Reinhardt-Seminar, und zwei seiner Elevinnen geschrieben - Uraufführung war nun, bescheiden als Theaterlabor angekündigt, bei den Wiener Festwochen ...

... Für die Bühne stellt sich das, pardon, haarige Problem: Wie inszeniert man den doppelten Samendiebstahl, den die Töchter zwecks Fortpflanzung des Stammes am betrunken gemachten Vater begehen? Bei Bondy gibt's zur Einstimmung eine anmutige spreizbeinige Körperwaschung Zibbias, bei der Lot scheu wegschaut; dann einen (von Lucinda Childs choregrafierten) Balztanz mit rutschenden Spaghettiträgern, bei dem Abbia ein heftiges `Matrimonium! Matrimonium! (man höre: Mutterschaft!) stampft; und schließlich die mit kostbarem Graulicht weich gezeichnete Ganzkörperenthüllung der Elevinnen, die Lot mit dem Temperament einer bandagierten Mumie über sich ergehen lässt.

Das ist, mit Verlaub, zu geschmackvoll, um wahr zu sein, mehr konventionelle Oper als expressives Körpertheater, wie es der Titel Theaterlabor verheißt. Ist es souveräne männliche Selbstironie, dass Bondy sich den liebenswerten, nie sonderlich virilen Charakterkomiker Hans Diehl (früher Berliner Schaubühne) als Lot erkürt hat? Oder abwiegelnde Geste gegenüber der feministischen Fraktion, der dieses alttestamentarische, von Strauß unverändert tradierte, ja durch den Prolog gar als Frauenfantasie deklarierte Machotum ohnehin nicht schmeckt? ...

... Was bleibt dem komischen Mann am Ende? Lot wird bei Strauß Schriftsteller, lässt sich von den Töchtern Kratzwerkzeug bringen und beginnt auf der Salzkruste ein Geschichtsbuch. `Ich sehe: Sodom ist immer. Nur sehr wenige Augenblicke unter den Menschen sind frei, spricht er abgeklärt. `Und was ich sehe, das ritze und schabe ich unaufhörlich in die Kruste. Da mag zumindest Abbia nicht mehr dabei sein. Sie knipst ihren Traum aus und tauscht Bauch wieder gegen Rucksack. `Ist ja gerade so eben noch mal gut gegangen, wiederholt sie ein paar Mal, ehe sie dem heranfahrenden Bus entgegenstürmt.

Für die junge Schauspielerin wäre das zu wenig gesagt. Sie ist nämlich die Entdeckung dieser wunderlichen, demnächst durch Europa tourenden Bibelstunde: Katharina Schubert".

Andres Müry , Die Zeit, 11.6.1999

Über das Tanzstück "appetite" von Meg Stuart, Ann Hamilton und der Gruppe "Damaged Goods" in den Sofiensälen:

Buben mit Buben, Mädchen mit Mädchen

"Was heißt hier, man solle nicht mit den Schmuddelkindern spielen. Meg Stuart tut es. Die amerikanische Choreographin, seit vergangenem Jahr zusammen mit ihrer Gruppe Damaged Goods als choreographer in residence bei den Wiener Festwochen, wirft einen Blick zurück auf die Kindheit. Es ist der distanzierte Blick der Erwachsenen, der längst nicht nur die heiteren Momente erfaßt. Doch anders als bei ihrem letzten Stück `Splayed Mind Out, das sich ganz allgemein und quälend mit der Erforschung des Selbst und des Anderen widmete, wirkt `appetite geradezu konkret, ja bisweilen anekdotisch.

Ein Ort für Kinder? Die Künstlerin Ann Hamilton hat auf manche Plätze im Publikum verschnürte Decken gelegt, was die Assoziation mit einer langen Reise oder Flucht wachruft und manche Zuschauer irritierte. Von der Hinterbühne fällt helles Leinen herab, in das Wasser im Zuge der Aufführung säulenartige Muster zeichnet. Die gesamte Bühne ist mit einem Tuch verhüllt; ein Tänzer liegt darunter, zeichnet mit seinen Armen Gesten in die Luft. Eine Frau kauert mit dem Rücken zum Publikum im Hintergrund; eine zweite hockt unförmig ausgestopft auf einem Stuhl.

Aus dem Lautsprecher tropft und kreischt und wummert und singt es: Die Musik von Bart Aga, Bill Frisell und Stefan Pucher gibt die Melodie, den harten Rhythmus oder die Baß-Folter vor. Eine Frau liest im Off Wiener Wohnungsannoncen vor. Ein Tänzer wird die Ausgestopfte ihres Kokons entledigen, aus Jackenschlitzen Pullover und Kleider ziehen und zu einem Haufen schichten. Das Tuch wird gelüftet und gibt einen alten Kinderstuhl frei. Der steht einsam auf einem öden Spielplatz, bedeckt mit rissigem Ton, der Kleidung und Körper der drei Tänzer und vier Tänzerinnen grau kleistern wird.

Deren Kleider mögen bunt sein, aber das Kinderland Meg Stuarts, ein Land der Erinnerung, kennt keine Farbe. Es ist ein Ort der Verstörung und der Verletzung, der verdrehten Füße und verrenkten Gliedmaßen, der stürzenden, rollenden Körper ...

... Meg Stuart schickt Sirenengeheul durch ein Megaphon, mit dem sie dann ihrer Gefährtin das Herz abhört. Kinderland: Buben spielen mit Buben und Mädchen mit Mädchen. Doch nie sind diese Spiele die reine Unschuld: sie tragen bereits Erotik in sich, die der zwischen Mann und Frau zum Verwechseln ähnlich sieht ...

... `appetite, diese Kette assoziativer Bilder, läuft nicht immer flüssig, gibt sich stellenweise sperrig. Dann hängt das Stück durch und die Gedanken drohen davonzufliegen wie die Ballons. Aber Meg Stuart gelingt es immer wieder, sie durch neuerliche Konzentration einzufangen. `appetite also läuft noch unrund und zu lang. Nicht glätten sollte Meg Stuart, aber straffen".

Eva-Elisabeth Fischer, Süddeutsche Zeitung, 7.6.1999

Über die Festwochen-Ausstellung "Rodney Graham: Music Film Video Photo" in der Kunsthalle Wien:

Insel der Schikane

"Mit Vorliebe ist er sein eigener Darsteller. Als fast 50jähriger hat er sich den Traum aller kleinen Jungen erfüllt: Einmal Robinson Crusoe sein! Heroisch gestimmt, schlüpfte Rodney Graham 1997 ins schmucke Gewand eines britischen Gentleman aus dem 18. Jahrhundert und begab sich auf eine traumhafte einsame Insel mit weißem Sand. Dorthin mitgenommen hat er einen Papagei und einen Kameramann.

Graham, 1949 in Vancouver geboren und von Hollywood ebenso fasziniert wie von abendländischer Hochkultur, drehte dort einen Kostümfilm. `Vexation Island, zu deutsch: Insel der Schikane. Der Film ist ein Endlos-Loop. Immer dann, wenn Graham-Crusoe nach der Kokosnuß greifen will, fällt sie ihm auf den Kopf und er in den Sand. Sisyphos-Schicksal - der Stoff, aus dem die Philosophie und wohl auch unser aller Alltag ist. Man kann lange hinschauen und bleibt gespannt.

Das gilt auch für andere Arbeiten des Künstlers. Die einfache Erklärung: Sie haben nicht nur mehrere Bedeutungsebenen, sondern auch hintergründigen Humor. Graham streut den sparsamen Witz des guten Clowns. Und wo gibt es so was sonst in der Manege der zeitgenössischen Kunst? `Ich liebe die menschliche Fähigkeit zur Scherzhaftigkeit, sagt er. Der Kanadier, dessen Werk in der konzeptuellen Kunst der frühen siebziger Jahre wurzelt, war 1997 der Vertreter seines Landes bei der venezianischen Biennale. Gegenwärtig ist sein filmischer Beitrag zur Tragikomik des Lebens in einer Ausstellung der Kunsthalle Wien zu sehen. Im Rahmen der Wiener Festwochen stellt sie Graham vor als Künstler, Komponisten und Kulturschaffenden, der die Technik der unerwarteten Kopplung von geistesgeschichtlich vertäuten Querverweisen virtuos beherrscht ..."

D. Baer-Bogenschütz, Berliner Morgenpost, 8.6.1999

Für die Auswahl verantwortlich: Dr.Christian Röttinger. (Schluß) rö

(RK vom 11.06.1999)