Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 04.08.1998:
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Hochwasserschutz im Westen Wiens neu konzipiert

Wien, (OTS) Das neue Hochwasserschutzkonzept im Westen Wiens sieht vor, die Wienfluß-Hochwässer gefahrlos durch das Stadtgebiet leiten zu können. Dafür ist eine deutliche Absenkung der Hochwasserspitzen nötig.**** Das Abflußverhalten der Wien ist gekennzeichnet durch das rasche Ansteigen des Wasserspiegels bei ...

Wien, (OTS) Das neue Hochwasserschutzkonzept im Westen Wiens sieht vor, die Wienfluß-Hochwässer gefahrlos durch das Stadtgebiet leiten zu können. Dafür ist eine deutliche Absenkung der Hochwasserspitzen nötig.****

Ursachen und Auswirkungen der Wienfluß-Hochwässer

Das Abflußverhalten der Wien ist gekennzeichnet durch das rasche Ansteigen des Wasserspiegels bei Regenfällen und das ebenso rasche Abklingen der Hochwasserwelle nach dem Regen, während sie in der übrigen Zeit auffallend wenig Wasser führt. Die Ursache dafür liegt in ihrem Ursprungsgebiet, dem Wienerwald. Dort bildet der sogenannte "Wiener Sandstein" den Untergrund, ein Boden, der bei Regen sehr rasch gesättigt wird, also nur einen geringen Teil des Wassers aufnehmen kann. Der größte Teil der Niederschläge fließt sofort ab, was bei starken Regenfällen zu einem raschen Ansteigen des Gesamtabflusses und damit zu Hochwässern in den Wienerwaldbächen führt, von denen viele in den Wienfluß münden.

Die Auswirkungen dieser Abflußdynamik haben gewaltige Dimensionen. Während der Wienfluß bei Niederwasser 200 Liter pro Sekunde abführt, können es im extremen Hochwasserfall 450.000 Liter und mehr sein. Das ist mehr als das 2.000 - fache der Niederwassermenge.

Zu den Hochwassermengen aus dem Wienerwald kommen auch noch die Niederschläge, die über den bebauten Flächen des "städtischen Einzugsgebietes" abregnen: Das Regenwasser kann auf versiegelten, also bebauten oder befestigten Flächen nicht im Boden versickern und fließt über die Kanalisation ab, wo es sich mit den Abwässern vermischt. Die Kanäle der westlichen Stadtteile Wiens münden wiederum in die beiden Wiental-Sammelkanäle, die aufgrund des steigenden Wasserverbrauches und der zunehmenden Versiegelung völlig überlastet sind. Bereits bei kleinen Regenfällen sind die Sammelkanäle voll und entlasten über sogenannte Regenüberläufe Mischwasser in den Wienfluß. Auf diese Weise können pro Sekunde bis zu 160 Kubikmeter Regenwasser, das über der Stadt abgeht, in den Wienfluß gelangen. Bei einem 1000-jährigen Hochwasser würde das eine Vergrößerung der Wassermenge von 475 m³/sec. im Bereich Auhof auf 635 m³/sec. bei der Mündung in den Donaukanal bedeuten, eine Wassermenge, die das Fassungsvermögen der bestehenden Anlagen zu übersteigen droht.

Umbau der Wehranlage

Damit der gesamte, 1,160.000 m³ umfassende Speicherraum optimal genutzt werden kann, sind einige Umbauarbeiten erforderlich:

  • Um zu verhindern, daß der Wienfluß die Becken vorzeitig füllt,
    muß die Wehrkrone des Einlaufwehres erhöht werden.
  • Durch einen Schützenverschluß im Einlaufbauwerk wird die
    Speisung der Retentionsbecken in Abhängigkeit von der
    ankommenden Wienflußwelle gesteuert. Um die Zuflüsse der Lainzer
    Tiergartenbäche vor dem Eintreffen der Hochwasserwelle ins
    Wienflußgerinne ableiten zu können, werden auch in die Querdämme
    Öffnungen mit je zwei Schützenverschlüssen eingebaut.
  • Mit Hilfe eines zentralen Prozeßrechners soll der gesamte
    Rückhaltebetrieb in Abhängigkeit vom Gesamtabfluß und dem
    Wasserstand in den einzelnen Becken gesteuert werden können.

Übersteigt die abfließende Wassermenge der Wien 30 m³/sec., werden die Schützenverschlüsse im Einlaufbauwerk geschlossen und das Hochwasser in das angrenzende Umleitungsgerinne abgeleitet. Nur extreme Wienflußhochwässer können das Einlaufwehr überströmen und die fünf hintereinanderliegenden Becken füllen.

In Verbindung mit den Umbaumaßnahmen an der Rückhalteanlage Mauerbach und am Wienerwaldsee kann das verfügbare Speichervolumen soweit optimiert werden, daß die Wassermenge, die bei einem 1000- jährigen Hochwasser das Stadtgebiet erreicht, auf maximal 380 m³/sec. vermindert werden kann.

Die Rückhaltebecken als Naturraum

Schon heute beherbergen die Rückhaltebecken bei Auhof das größte Feuchtbiotop im Westen Wiens. Dieses Biotop ist Beispiel für einen "Lebensraum aus zweiter Hand", der hier ganz zufällig und ungeplant entstanden ist. Großflächige Schilfröhrichte und einzelne oder in Gruppen stehende Schwarzerlen und Baumweiden prägen diesen Lebensraum. Dem Gebiet fehlen aber die sonst für Aulandschaften typischen Landschaftsstrukturen, wie sie durch die Dynamik des fließenden Wassers geschaffen werden.

Im Zuge der Umbauarbeiten bietet sich nun die Gelegenheit, den Wienfluß und den Mauerbach - anstatt wie bisher durch das Umlaufgerinne - direkt durch die Rückhaltebecken zu leiten. Dies entspricht ziemlich genau jenem Verlauf, den die beiden Gewässer vor der Regulierung hatten. Durch die ständige Strömung in den Becken sollen sich die Wien und der Mauerbach künftig ihr Bett selbst gestalten. Seitenarme, Wasserflächen und vielfältige Feuchtbiotope werden entstehen und dazu beitragen, daß sich die Wasserqualität des Wienflusses verbessert. Außerdem wird sich eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren ansiedeln. So können auch Lebensräume für in Wien bereits selten gewordene Arten entstehen.

Ein ökologischer "Schauraum"

Der Naturraum in den Rückhaltebecken soll weitgehend sich selbst überlassen bleiben und möglichst wenig von außen beeinträchtig werden (der Hochwassereinstau ist in diesem Sinne keine Beeinträchtigung, da Hochwässer Bestandteil der natürlichen Dynamik von Aulandschaften sind). Daher sollen die Becken für Erholungssuchende zwar nicht zugänglich, wohl aber von außen besser erlebbar gemacht werden. Zu diesem Zweck werden an den Wehren Fußgeher- und Radfahrerstege angelegt.

Der neue Wienfluß in der Stadt

Der zweite Schritt zur Verbesserung der Hochwassersituation im Wiental ist die Sanierung und der Umbau des Flußbettes im Stadtgebiet. Unbedingt erforderlich sind Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten an Ufermauern und Flußsohle. Darüberhinaus bietet sich aber auch die Möglichkeit, die Abflußverhältnisse in der Stadt erheblich zu verbessern. Kernstück der geplanten Umbauarbeiten ist der sogenannte Wientalsammler - Entlastungskanal, ein geschlossener Kanal, der im Flußbett errichtet werden und die gesamte Mischwassermenge des städtischen Einzugsgebietes aufnehmen soll. Durch die Errichtung des Entlastungskanales würde sich auch im Hinblick auf Gewässerökologie und Stadtstruktur ein bisher ungeahntes Entwicklungspotential bieten:

  • Der Wienfluß wäre nicht mehr durch die Kanalisation belastet,
    seine Wasserqualität würde sich erheblich verbessern. Dadurch
    könnte der Wienfluß seine ökologische Funktion als
    naturräumlicher Verbindungsweg zwischen Wienerwald und
    Donaukanal wieder erfüllen.
  • Die Hochwässer, die die Stadt durchfließen, werden nicht mehr
    durch Mischwasser aus der Stadt aufgestockt, der Wasserabfluß
    wird wesentlich gleichmäßiger sein. Dadurch wird die Errichtung
    eines Rad- und Fußweges auf dem Entlastungskanal möglich. Ein
    neues Naherholungsgebiet könnte geschaffen werden.

Der Entlastungskanal

Der neue Entlastungskanal soll im Bereich der Brauhausbrücke seinen Anfang nehmen und bis zum Donaukanal führen, wo er in den Rechten Hauptsammelkanal mündet. Er soll linksufrig im Flußbett angeordnet und gegenüber der Wienflußsohle tiefer angeordnet werden. Die Absenkung ist erforderlich, um einen Abstand von zwei Metern zwischen der Kanaloberkante und den Gewölbeansätzen bei Brücken zu gewährleisten, wodurch die Nutzbarkeit der Kanaloberfläche für Fußgeher und Radfahrer ermöglicht wird. Mit einer Kapazität von 200 m³/sec. soll der neue Kanal auch bei starken Niederschlägen die bestehenden Wienfluß - Sammelkanäle vollständig entlasten. Dazu müssen alle Regenüberläufe der Sammelkanäle so umgebaut werden, daß ihr gesamter Inhalt in den Entlastungskanal geleitet werden kann. Von dort gelangen die Misch- und Abwässer über den Rechten Hauptsammelkanal bis zur Hauptkläranlage Simmering.

Die Sanierung der Ufermauern

Bei starken Hochwässern kommt es vor Gewölbebrücken zu einem Rückstau und in der Folge zu einem bis zu 2,5 Meter hohen Wellenschlag flußab der Brücken. An einigen kritischen Stellen könnten die Wellen die Trennmauer zur U-Bahn überfließen - ein Risiko, das nicht eingegangen werden darf. Daher ist es erforderlich, die U-Bahn-Mauer an den betreffenden Stellen zu erhöhen.

Darüberhinaus werden jene Mauerabschnitte, bei denen Standfestigkeit und Wasserdichtheit altersbedingt nicht mehr gewährleistet sind, im Zuge der Umbauarbeiten saniert.

Gewässerökologische Maßnahmen

Da die ohnehin sehr schadhafte Flußsohle im Zuge der Errichtung des Entlastungskanales aufgebrochen werden muß, bietet sich die Gelegenheit für eine naturnähere Ausgestaltung des Flußbettes. Obwohl ein "naturnaher Wasserbau" im eigentlichen Sinn aufgrund der beengten Raumverhältnisse und der steilen Ufermauern kaum möglich ist, kann man sich durch gezielte Maßnahmen dem natürlichen Zustand annähern und dem Wienfluß einige seiner ursprünglichen ökologischen Funktionen wiedergeben.

Um Lebensräume für eine standortgemäße Tier- und Pflanzenwelt zu schaffen und die Selbstreinigungskraft des Flusses zu erhöhen, ist es insbesondere erforderlich, Substrat unterschiedlicher Korngröße (Steine, Kiesel, Sand) auf die harte Flußsohle aufzubringen, bzw. die bestehende Sohle überhaupt durch Substrat zu ersetzen. Strukturbildende Elemente, wie Sohlgurte, Inseln, Buhnen und Störsteine sollen einerseits dafür sorgen, daß das aufgebrachte Material nicht weggeschwemmt werden kann, andererseits gliedern sie den Fluß in verschiedene Lebensräume, Verweilzonen und Nischen für eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen. Auf einer Versuchsstrecke in Weidlingau wurden bereits unterschiedliche Ausführungen von Sohlgurten (aus Holzpflöcken oder Stein) für die Umgestaltung des Wienflußbettes getestet. Überraschend dabei war, in welch kurzer Zeit sich eine Vielfalt an Lebewesen, vor allem an Pflanzen und Fischen, angesiedelt hat.

Durch die Absenkung der Fußgeherpromenade ist linksufrig eine flachere Böschungsformung möglich, wodurch sich ein größerer Spielraum für differenzierte Ufergestaltung ergibt. Dabei ist es wichtig, an die Schaffung von Flachwasserzonen zu denken, die wesentlich zur Selbstreinigungskraft eines Gewässers beitragen. Ein weiterer Beitrag zur Gestaltung und Strukturierung des Gewässers soll die Pflanzung von Strauchweiden und Fließwasserröhrichten sein.

Ein Rad- und Fußweg am Wienfluß

Die Zeiten, in denen der Wienfluß kaum zugänglich ist und sich weitgehend unserer Wahrnehmung entzieht, könnten bald der Vergangenheit angehören. Denn auf der Oberfläche des Wientalsammler - Entlastungskanales ist die Errichtung eines Rad- und Fußweges vorgesehen. Damit könnte einerseits der Wienfluß als wertvolles Naherholungsgebiet erschlossen werden. Andererseits würde damit eine hochwertige überregionale Verbindungsroute vom dichtbebauten Stadtgebiet bis zu den Erholungsgebieten im Westen Wiens geschaffen werden.

Für den Radweg ist eine Breite von 2,5 Metern vorgesehen, der flußseitig gelegene Fußweg soll drei Meter breit sein und gegenüber dem Radweg um 80 Zentimeter abgesenkt werden. Die Niveautrennung bringt zwei große Vorteile: eine konfliktfreiere Abwicklung von Rad- und Fußgeherverkehr wird möglich und das Erlebnis der Wassernähe wird verstärkt. Neben ausreichenden Zufahrts- und Zugangsmöglichkeiten ist auch die Errichtung von Sitz- und Ruhebereichen vorgesehen. (Schluß) hl

(RK vom 04.08.1998)