Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 15.05.1998:
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Kisch-Ausstellung im Jüdischen Museum Wien eröffnet

Wien, (OTS) Daß das Jüdische Museum Wien sich in einer Ausstellung mit Egon Erwin Kisch auseinandersetzt, liegt daran, daß "es uns auch darum geht, einen Mann zu würdigen, der mit der Waffe des Wortes gegen Krieg und Faschismus, gegen die nationalsozialistische Barbarei gekämpft hat," stellte bei der Eröffnung der ...

Wien, (OTS) Daß das Jüdische Museum Wien sich in einer Ausstellung mit Egon Erwin Kisch auseinandersetzt, liegt daran, daß "es uns auch darum geht, einen Mann zu würdigen, der mit der Waffe des Wortes gegen Krieg und Faschismus, gegen die nationalsozialistische Barbarei gekämpft hat," stellte bei der Eröffnung der Ausstellung Donnerstag abend der Direktor des Museums, Dr. Karl Albrecht-Weinberger, eingangs fest. Um bei diesem Anlaß auch daran zu erinnern, daß auf den Tag genau vor fünfzig Jahren um 16.30 Uhr David Ben Gurion die israelische Unabhängigkeitserklärung verlas. Egon Erwin Kisch konnte dieses denkwürdige Ereignis nicht mehr selbst erleben, denn er starb wenige Wochen zuvor, am 31. März 1948. Als zusätzlichen Anreiz, diese Ausstellung zu machen, nannte der Museumsdirektor, daß "man das Werk von Kisch in der Zeit des Kalten Krieges sehr unterschiedlich bewertet hat - die Konservativen haben ihn als Kommunisten abgelehnt, die Kommunisten wiederum versuchten ihn zu vereinnahmen". Um ein umfassenden Bild des "rasenden Reporters" anhand von rund dreihundert Objekten zeichnen zu können, verdankt das Museum auch den Leihgebern, von denen Dr. Albrecht-Weinberger das Museum der tschechischen Literatur, die österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und einige private Leihgeber hervorhob.****

"Es war ein stiller Tod von Egonek, wie ihn seine Freunde nannten, verglichen mit seinem turbulenten Leben," stellte der Ausstellungskurator Dr. Marcus Patka fest. "Denn er hatte sich den Jugendtraum so vieler Menschen erfüllt und war ein Leben lang um die Welt gereist. Aus diesen Reisen hat er Literatur gemacht." Um dann festzustellen, daß das Synonym für Kisch, der rasende Reporter, nicht der Wirklichkeit entspricht. Denn "dieser war alles andere als ein Sensationsreporter oder Kaffeehausliterat. Vielmehr suchte hier ein skrupulöser Stilist politische und ökonomische Prozesse mit den dahinter stehenden menschlichen Schicksalen in ihrer historischen Bedingtheit literarisch zu gestalten."

Die offizielle Ausstellungseröffnung nahm Lenka Reinerová, eine Zeitzeugin, vor. Sie hat Kisch im Alter von neunzehn Jahren kennengelernt, er war damals fünfzig. Sie wohnte in Prag auf Nr. 7 in der selben Gasse wie die Familie Kisch. Lenka Reinerová, Journalistin und Schriftstellerin, arbeitete als junges Mädchen in der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung", für die früher auch Kisch schrieb. Ihre Schwestern und einige nahe Verwandte wurden von den Nazis ermordet, ihr selbst gelang die Flucht. Im Exil kreuzten sich auch wieder ihre Wege mit Egon Erwin Kisch und seiner Frau Gisela, für kurze Zeit in Versailles/Frankreich, wo sie gemeinsam im Hotel Moderne wohnten und für längere Zeit in Mexiko.

Anfang der Fünfzigerjahre wieder geächtet, diesmal von den Kommunisten - sie war inhaftiert und hatte nach der Niederschlagung des Prager Frühlings Schreibverbot. Auf Kisch bezogen stellte Lenka Reinerová bei der Ausstellungseröffnung fest, "manche Menschen scheinen tot zu sein, auch wenn sie unter uns sind. Manche Menschen scheinen bei uns zu sein, auch wenn wir mit ihnen nicht mehr Kaffee trinken. So geht es mir mit Kisch."

Abschließend ging sie noch auf die Beziehung von Kisch zum Judentum ein und meinte, daß es sicher kein Zufall gewesen sei, daß sich Kisch diesem in seinen letzten Lebensjahren besonders zugewandt habe. "Man kann nicht übersehen, was in den letzten und vorletzten Lebensjahren von Kisch geschehen ist." Und erzählte von der Zeit im mexikanischen Exil, wo Kisch von den Exilanten einer der ersten war die erfahren mußten, daß ihm nahe stehende Menschen, in seinem Fall zwei Brüder, dem Holocaust zum Opfer gefallen waren. Lenka Reinerová ging in dieser schweren Stunde zu ihm, um ihm beizustehen. Er sagte zu ihr, weißt Du, Dir wird das auch nicht erspart bleiben. Lenka Reinerová: "Es blieb mir auch nicht erspart. Dann kam er zu mir, um mir die ersten Stunden zu erleichtern."

Die Ausstellung "Egon Erwin Kisch. Der rasende Reporter" ist vom 15. Mai bis 9. August im Jüdischen Museum Wien, Wien 1., Dorotheergasse 11, zu sehen. Das Museum ist während der Sommermonate Sonntag bis Freitag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 70,- Schilling, ermäßigt 40,- Schilling. Anmeldung für Sonderführungen unter der Telefonnummer +43/1/535 04 31. (Schluß) ma

(RK vom 15.05.1998)