Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 28.01.1998:
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Symposion zur Rolle der Wiener Psychiatrie in der NS-Zeit

Wien, (OTS) Am 29. und 30. Jänner findet unter dem Ehrenschutz von Bundeskanzler Mag. Viktor Klima und Bürgermeister Dr. Michael Häupl das erste internationale Symposion statt, das die Rolle der Wiener psychiatrischen Einrichtungen (Uni-Klinik, Baumgartner Höhe, Ybbs/Donau) in den NS-Euthanasieprogrammen beleuchtet. ...

Wien, (OTS) Am 29. und 30. Jänner findet unter dem Ehrenschutz von Bundeskanzler Mag. Viktor Klima und Bürgermeister Dr. Michael Häupl das erste internationale Symposion statt, das die Rolle der Wiener psychiatrischen Einrichtungen (Uni-Klinik, Baumgartner Höhe, Ybbs/Donau) in den NS-Euthanasieprogrammen beleuchtet. Aus diesem Anlaß lud am Mittwoch Wiens Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder zu einem Pressegespräch, an dem auch Prof. William E. Seidelman, Universität Toronto, Mag. Waltraud Häupl, Schwester eines Euthanasie-Opfers, Dr. Wolfgang Neugebauer, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, und der Ärztliche Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe, Prof. Dr. Heinz-Eberhard Gabriel, teilnahmen.

Rieder: Beschämender Umgang mit Verbrechen der NS-Medizin nach 1945

Rieder: "Das wissenschaftliche Symposion befaßt sich mit einem der schrecklichsten und abstoßendsten Kapitel der Wiener Psychiatrie und mit der tiefen Verstrickung der österreichischen Medizin in die Bestialität und in die unmenschlichen Greueltaten des Nationalsozialismus."

Die als Kindereuthanasie völlig unzureichend umschriebene Ermordung geistig und körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher in der Klinik "Am Spiegelgrund" auf der Baumgartner Höhe sowie an rund dreißig weiteren solcher "Kinderfachabteilungen" im gesamten damaligen Reichsgebiet sei, so Rieder, am Anfang der nationalsozialistischen Todesspirale gestanden, die im Völkermord des Holocaust mündete.

"Als willfährige Handlanger für die nationalsozialistische Rassenpolitik haben Ärzte und Krankenschwestern an dieser Wiener Klinik nicht nur Kinder ermordet, sondern haben auf deren Leichen ihre wissenschaftlichen Karrieren begründet. Noch erschreckender ist aber, daß diese wissenschaftliche Ausbeutung über das Jahr 1945 hinaus stattfand", so Rieder.

Wie es überhaupt auch um den beschämenden Umgang mit diesen medizinischen Verbrechen in den Jahren nach 1945 geht. Rieder: "Bis in die jüngste Zeit herauf haben wir weder den Opfern noch den Tätern gegenüber zeitgerecht die notwendigen Maßnahmen gesetzt. Die politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes haben nur sehr spät zu einem Bekenntnis zu einer gesellschaftlichen Verantwortlichkeit gefunden. Und diese Verantwortung bezieht sich sowohl auf die Verbrechen und die Täter in der Nazi-Zeit als auch auf den Umgang mit diesen Verbrechen und Taten nach 1945 und auf die späteren Verdränger und Vergeßlichen. In der Person des Primarius Dr. Gross, der Arzt an der Klinik "Am Spiegelgrund" war, hatte dieses Kapitel der Nichtbewältigung und des Verdrängens bis zum heutigen Tag auch Namen und bis vor einem halben Jahr auch im wahrsten Sinn des Wortes Adresse.

Ehrengrab für Euthanasie-Opfer

Ins Blickfeld des internationalen Interesses ist die NS-Rolle der Wiener Psychiatrie Anfang 1997 geraten, als sich die Stadt Wien entschloß, die sterblichen Überreste (meist Gehirnteile) von rund 400 Kindern der "Städtischen Nervenklinik für Kinder und Jugendliche Am Spiegelgrund" zu beerdigen. Derzeit werden die Leichenteile in einem Gedenkraum auf der Baumgartner Höhe aufbewahrt. Der endgültige Zeitpunkt der Beerdigung in einem Ehrengrab der Stadt Wien am Zentralfriedhof steht derzeit noch aus, da die Staatsanwaltschaft Wien, die derzeit gegen den früheren Primarius Dr. Heinrich Gross ermittelt, an die Stadt Wien mit der Bitte herantrat, vorerst von einer Beerdigung der möglicherweise als Beweismittel geltenden Leichenteile abzusehen.

Systematische Tötung von Kindern

Am 18. August 1939 verfaßte das Reichsministerium einen geheimen Runderlaß, wonach Hebammen und Ärzte zur Meldung von "Mißbildungen" (z.B. "Mongolismus", Mikro- und Hydrocephalus oder Idiotie) den Gesundheitsämtern zu melden hatten. Gemeldet werden mußten Kinder bis zu drei Jahren mit diesen Leiden. Diese Meldebögen wurden an drei vom "Reichsausschuß" beauftragte Gutachter weitergeleitet, die schließlich mittels spezieller Vordrucke über Tod oder Leben der Kinder entschieden. Zu Tode kamen die Kinder meist in sogenannten "Kinderfachabteilungen", von denen es im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches rund dreißig gab. Insgesamt kamen so mehr als 5000 Kinder zu Tode.

Die in Österreich bekanntesten Fachabteilungen waren die "Städtische Nervenklinik für Kinder und Jugendliche Am Spiegelgrund" sowie "Feldhof" in Graz. Der "Spiegelgrund" befand sich in den heutigen Pavillons 15 und 17 des Psychiatrischen Krankenhauses. Auf dem Gelände des Psychiatrischen Krankenhauses gab es überdies auf die gesamte Anlage "aufgeteilt" das "Erziehungsheim Am Spiegelgrund". In der "Nervenklinik" Am Spiegelgrund wurden Kinder aus dem gesamten damaligen Deutschen Reich ermordet. Besonders gut dokumentiert ist das Schicksal der im August 1943 aus den Alsterdorfer Anstalten (Hamburg) auf den Steinhof gebrachten 228 Frauen und Mädchen, von denen 201 starben.

Die "T4-Aktion"

Aber nicht nur Kinder waren Opfer der NS-Euthanasie. Grundlage der NS-Euthanasie an Erwachsenen war die sogenannte T4- Aktion, die am 1. September 1939 startete, benannt nach der Adresse der Berliner Reichskanzlei Tiergartenstraße 4. Im Rahmen dieser Aktion wurden u.a. vom Steinhof über 4000, aus Gugging 500 bis 600, aus Ybbs 2.282 und aus Graz Feldhof 1.500 Patienten in das KZ Hartheim bei Eferding transportiert und dort getötet. Allein in den Jahren 1940/41 wurden in Hartheim 18.269 Menschen vergast. (Daten aus: NS-"Euthanasie" an Behinderten, von Wolfgang Neugebauer, erschienen in "wertes unwertes Leben" - BIZEPS)

Medizin im Nationalsozialismus

1938 gab es in Wien rund 4.900 Ärzte. Davon verloren rund 3.200 aufgrund der Rassengesetze ihre Behandlungserlaubnis, nur 370 jüdische Ärzte, die sich nun "Krankenbehandler" nennen mußten, durften weiterhin jüdische Patienten behandeln. Besonders kraß wirkte sich der geistige Aderlaß an der Medizinische Fakultät, damals die größte im deutschsprachigen Raum, aus. Von 309 aktiven Professoren und Dozenten wurden 178 (57 Prozent) von der Universität "entfernt".

Diskriminierung von jüdischen Ärzten gab es aber schon vor dem "Anschluß". Weil Juden im öffentlichen Gesundheitsdienst unerwünscht waren, arbeiteten jüdische niedergelassene Ärzte vor allem mit sozialdemokratisch oder gewerkschaftlich verwalteten Krankenkassen zusammen. So waren beispielsweise 93 Prozent der praktischen, und 95 Prozent der Fachvertragsärzte der "Handelskasse", der Krankenkasse der kaufmännischen Angestellten, Juden.

Besonders kraß wirkte sich die Diskriminierung jüdischer Ärzte vor allem in ländlichen Gebieten aus, was sich auf die Verteilung von Ärzten zwischen Wien und den anderen Bundesländern auswirkte. So gab es z.B. im Gegensatz zu Wien mit 3.200 jüdischen Ärzten in Niederösterreich nur 170 jüdische Ärzte. In allen anderen Bundesländern gab es nur vereinzelt jüdische Ärzte. (Daten aus: "Der Wahrheit ins Auge sehen" von Michael Hubenstorf, erschienen im "Wiener Arzt" 5/6/95) (Schluß) nk/

(RK vom 28.01.1998)