Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 25.01.1996:
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Holocaust-Memorial: Projekt von Rachel Whiteread wird verwirklicht

Wien, 25.1. (RK-KULTUR) Im geladenen Wettbewerb für das Holocaust-Memorial auf dem Wiener Judenplatz ging die junge britische Künstlerin Rachel WHITEREAD als Siegerin hervor. Ihr Projekt, ein Stahlbetonkubus mit nach außen gekehrten Bibliothekswänden wurde von der Jury einstimmig zur Verwirklichung empfohlen. Das ...

Wien, 25.1. (RK-KULTUR) Im geladenen Wettbewerb für das Holocaust-Memorial auf dem Wiener Judenplatz ging die junge britische Künstlerin Rachel WHITEREAD als Siegerin hervor. Ihr Projekt, ein Stahlbetonkubus mit nach außen gekehrten Bibliothekswänden wurde von der Jury einstimmig zur Verwirklichung empfohlen. Das Mahnmal soll am 9. November dieses Jahres, dem 58. Jahrestag der Reichskristallnacht, in der die Wiener Synagogen zerstört wurden, eröffnet werden. In einem Pressegespräch stellten am Donnerstag - gemeinsam mit dem Initiator des Mahnmals, Dipl.-Ing. Simon WIESENTHAL und der Künstlerin - Bürgermeister Dr. Michael HÄUPL, Kulturstadträtin Dr. Ursula PASTERK, Planungsstadtrat Dr. Hannes SWOBODA und der Juryvorsitzende Prof. Hans HOLLEIN das Siegerprojekt der Öffentlichkeit vor. Bürgermeister Dr. Häupl dankte Simon Wiesenthal für seine Initiative zur Errichtung des Mahnmals und verwies auf die notwendige Sensibilität, die das Denkmal und seine Einbindung in das Ensemble des Judenplatzes erforderten. Der ausgezeichnete Entwurf werde allen diesbezüglichen Anforderungen gerecht.****

Kulturstadträtin Dr. Ursula Pasterk verwies auf die hohe metaphorische Kraft des abstrakten Denkmalentwurfes, der auch das Fortleben des Judentums im Wort, im Buch symbolisiere. Pasterk verwies weiters darauf, daß auch die Ausgrabungen auf dem Judenplatz zugänglich gemacht werden sollen. Alle neun Entwürfe für das Holocaust-Mahnmal werden von der Kunsthalle Wien Mitte März in der Halle F 1 im Museumsquartier gezeigt werden.

Planungsstadtrat Dr. Hannes Swoboda bezeichnete es als besonderes Kennzeichen, daß der Judenplatz mit dem Mahnmal sowohl ein Ort der Andacht wie auch ein lebendiger innerstädtischer Platz sein werde. Der Parkplatz werde im Zuge der Realisierung des Mahnmals aufgelassen, der Verkehr auf dem Platz werde eingeschränkt werden, sagte Swoboda. Die Kosten für das Mahnmal und die dazugehörige Platzgestaltung bezifferte er mit elf Millionen Schilling.

Für die Jury stellte Prof. Hans Hollein fest, daß besonders der Gedanke des Überlebens des Judentums in Buch und Schrift an dem Entwurf von Rachel Whiteread beeindruckt habe. Der skulpturale Bau erhalte einen besonderen Akzent durch eine symbolische Tür. Der Anlaß für das Mahnmal werde durch zwei Texte ausgedrückt, die auch die Orte der Vernichtung der Juden enthalten werden.

Simon Wiesenthal betonte, daß damit ein Denkmal für die 65.000 ermordeten Juden Österreichs gechaffen werde, das auch der großen kulturellen Bedeutung des Judentums für unser Land Rechnung trage. Die Monumente des Judentums, so Wienstahl, seien immer Bücher gewesen, das Denkmal entspreche diesem Gedanken.

Rachel Whiteread stammt aus London und zählt zu den bedeutendsten jungen Künstlerinnen des Landes. Sie hat unter anderem den Turner-Preis der Tate-Gallery erhalten und an der documenta 9 und der Biennale Sidney teilgenommen. Das preisgekrönte Projekt hat die Maße 10 mal 7 Meter Grundfläche und 3,8 Meter Höhe und besteht aus hellgrauem Betonguß. Es steht auf 30 mm starken Glasplatten, die in das Betonfundament eingelassen sind. Die Außenseiten des Kubus sind durchmodelliert als nach außen gewendete Bibliothekswände. Die Bücherwände werden damit zu einer Struktur, die die Seitenflächen belebt und ordnet. Das Denkmal, das auch einen Gegenpol zum traditionellen Denkmaltyp des Lessing-Denkmals bildet, symbolisiert das Überleben des Judentums durch Schrift, Sprache, Buch. Die Leere des Innenraums steht für die Auslöschung der Juden und ihrer Kultur.

Teilnehmer am Wettbewerbsverfahren

  • Valie Export - Österreich
  • Karl Prantl - Österreich
  • Zbynek Sekal - Österreich
  • Heimo Zobernig - Österreich
  • Michael Clegg & Martin Gutman - Israel, USA
  • Peter Eisenman - USA
  • Zvi Hecker - Israel
  • Ilya Kabakov - Rußland, USA
  • Rachel Whiteread - Großbritannien

Preisgericht

  • Dr. Michael Häupl - Bürgermeister der Stadt Wien
  • Dr. Ursula Pasterk - Amtsführende Stadträtin für Kultur
  • Dr. Hannes Swoboda - Amtsführender Stadtrat für Stadtentwicklung,
    Planung und Außenbeziehungen der Stadt Wien
  • Architekt Prof. Hans Hollein - Wien
  • Dipl.-Ing. Simon Wiesenthal - Leiter des Dokumentationszentrums
    des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes, Wien
  • Dr. Harald Szeemann - Zürich
  • Sylvie Liska - in Vertretung der Israelitischen Kultusgemeinde,
    Wien
  • Lord George Weidenfeld - London
  • Phyllis Lambert - Direktorin des Centre Canadian d'Architecture,
    Montreal
  • Robert Storr - Museum of Modern Art, New York
  • Amnon Barzel - Direktor des Jüdischen Museums Berlin
(Schluß) gab/bs/rr

(RK vom 25.01.1996)