Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 12.10.1995:
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Rieder präsentiert Ergebnisse der Expertenpflegeheimkommission

Utl.: Großteil der Empfehlungen bereits umgesetzt Wien, 12.10.(RK-KOMMUNAL) "Nirgendwo ist die Grenze zwischen aufopfernder Zuwendung zuPatienten unter oft extrem belastenden Bedingungen für die Pflegendeneinerseits und andererseits die Abhängigkeit der Patienten mit dem Risikovon Mißständen so unscharf wie in Pflegeheimen", erklärte WiensGesundheitsstadtrat Vizebürgermeister Dr. Sepp RIEDER am Donnerstag imRahmen der Präsentation des Berichtes der WienerExpertenpflegeheimkommission. "Umso mehr ist es notwendig, jeden Übergriffund jede Vernachlässigung von Patienten vorbehaltlos zu ahnden, aber auchalles zu unternehmen, um Bedingungen zu schaffen, in denen ein Klima, dasdie Gefahr solcher Übergriffe fördert, gar nicht erst entstehen kann."Gleichzeitig wandte sich Rieder aber gegen eine pauschale Diffamierungeines ganzen Berufsstandes und dagegen, daß die überragende Mehrheitkorrekter und anständiger Pflegepersonen mit den "schwarzen Schafen ineinen Topf geworfen wird." An der Präsentation nahmen weiters derVorsitzende der Expertenpflegeheimkommission, der Wiener PatientenanwaltProf. Dr. Viktor PICKL, sowie zwei Mitglieder der Kommission, Oberschwesteri.R. Elfriede AUINGER und Univ.-Prof. Dr. Georg GEYER, teil.

Zwtl.: Lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe Unmittelbar nach deminternen Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Pflegepersonen in denPflegeheimen St. Andrä/Traisen und Liesing wurden von der Generaldirektiondes Wiener Krankenanstaltenverbundes umfangreiche Untersuchungenvorgenommen und neben personellen Konsequenzen wie Kündigungen undVersetzungen auch erste organisatorische Sofortmaßnahmen getroffen.Sämtliche Unterlagen wurden den Justizbehörden übergeben. Zur umfassendenBeurteilung insbesondere in Richtung präventiver Schritte beriefVizebürgermeister Rieder eine Expertenpflegeheimkommission ein, die am 20.Februar 1995 unter dem Vorsitz des Wiener Patientenanwaltes Prof. Dr.Viktor Pickl zusammentrat. Der Kommission gehören als Mitglieder an: oElfriede AUINGER, Oberschwester i.R. o Univ.-Prof. Dr. Georg GEYER ehem.Vorstand der II. Univ. Klinik für Innere Medizin o Prof. Dr. LeopoldROSENMAYR Institut für Soziologie der Universität Wien o Chefarzt Dr.Stephan RUDAS Kuratorium für Psychosoziale Dienste

Zwtl.: Übergriffe blieben Einzelfälle Nach Vorliegen des Berichtes derExpertenpflegeheimkommission steht fest, daß die bekanntgewordenenÜbergriffe Einzelfälle in jeweils einer einzelnen Station des PflegeheimesSt. Andrä bzw. Liesing blieben. Die gegen die verdächtigen Personen vomWiener Krankenanstaltenverbund erstatteten Anzeigen und die derStaatsanwaltschaft übermittelten Unterlagen haben mittlerweile zusicherheitsbehördlichen Ermittlungen, in einem Fall zu einerVerfahrenseinstellung und in zwei Fällen zu anhängigen Gerichtsverfahrengeführt; Urteile stehen noch aus.

Zwtl.: Recherchen vor Ort - Empfehlungen werden umgesetzt DieExpertenpflegeheimkommission hat eingehende Untersuchungen an Ort undStelle vorgenommen und einen schonungslosen Bericht vorgelegt. Dieserenthält eine Beurteilung der Umstände, die in den beiden Fällen in jeweilseiner Station zu dem Fehlverhalten von Pflegepersonen geführt hat undbeschreibt generell die Bedingungen, die solche Übergriffe undVernachlässigungen begünstigen können. So sei es auf beiden Stationenzu "Cliquenbildungen" und einem negativen "Teamgeist" gekommen,gruppendynamische Prozesse hätten das ihrige getan, um Spannungenaufzubauen, die sich offenkundig an Patienten entluden. Es wurde auchbeobachtet, daß Patienten und deren Angehörige vielfach Angst haben, imFalle von Beschwerden Racheakten ausgesetzt zu sein. Als ungünstigeBedingungen werden im Bericht insbesondere bauliche Gegebenheiten, zuwenigPflegepersonal, zu große Stationen, zuwenig Supervision sowie die mangelndeKommunikation zwischen Ärzten und Pflegepersonal angeführt. Für dasPflegeheim St. Andrä hielte die Kommission theoretisch eine Schließung fürzielführend, hält es aber praktisch für nicht durchführbar. Schließlich enthält der Kommissionsbericht eine Reihe von Empfehlungen.Rieder: "Wir werden die Empfehlungen der Kommission, soweit das nicht schongeschehen ist, Schritt für Schritt umsetzen."

Zwtl.: Kommission bleibt Dauereinrichtung DieExpertenpflegeheimkommission wird als ständige Einrichtung bestehenbleiben. Sie ist vor allem als eine unbürokratische Anlaufstelle für alleAngehörigen gedacht. Darüber hinaus können sich alle MitarbeiterInnen derWiener Pflegeheime, die auf vermeintliche oder tatsächlicheUnregelmäßigkeiten in ihrem Arbeitsumfeld stoßen, an die Kommission wenden.Mit Anordnung vom 27. Februar 1995 wurde allen MitarbeiterInnen dieMöglichkeit geschaffen, sich unmittelbar und nicht nur über den Dienstwegan die Kommission zu wenden. Alle Hinweise werden vertraulich behandelt. Von der Arbeit der Expertenpflegeheimkommission unberührt bleiben dieAufgaben der gemeinderätlichen Pflegeheimkommission, der vierzehnGemeinderätInnen aller Fraktionen angehören, und die weiterhin dieSituation in den öffentlichen Pflegeheimen vom Standpunkt der Patienten ausbetrachten und bei Notwendigkeit entsprechende Reformvorschläge für diesozial-medizinische Betreuung alter Menschen unterbreiten wird.

Zwtl.: Personalmaßnahmen im Pflegeheim St. Andrä bzw. Liesing Insgesamt wurden durch den Wiener Krankenanstaltenverbund am 6. Dezember1994 vier und am 6. März 1995 zwei weitere MitarbeiterInnen desPflegeheimes St. Andrä bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten angezeigt. Vondiesen befinden sich drei nicht mehr in Diensten der Stadt Wien, in einemFall wurde das Verfahren am 28. Juni 1995 eingestellt. Zwei Pflegepersonenwurden unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe von der betroffenenStation versetzt. Gegen beide läuft unabhängig von den gerichtlichenUntersuchungen ein Disziplinarverfahren. Erst am 11. Oktober wurdebekannt, daß die Sicherheitsbehörde gegen zwei weitere MitarbeiterInnen vonsich aus Vorerhebungen einleitete. Von diesen zwei Personen ist eine nichtmehr in Diensten der Stadt Wien. Seit 1. Juni 1995 steht derPflegedienst des Pflegeheimes St. Andrä unter der Leitung vonPflegedirektor Günther PELIKAN. Der frühere Pflegedirektor, gegen den keinegerichtlichen Ermittlungen laufen, wurde dem Pflegeheim Ybbs/Donau alsStationspfleger dienstzugeteilt. Am 13. Februar 1995 wurden vom WienerKrankenanstaltenverbund vier MitarbeiterInnen des Pflegeheimes Liesing beider Staatsanwaltschaft Wien angezeigt. Von den angezeigten Personenbefindet sich eine nicht mehr in Diensten der Stadt Wien, eine weiterebefindet sich im Ruhestand. Eine angezeigte Stationsschwester wurde insPflegeheim Sanatoriumstraße versetzt. Gegen beide noch aktivenMitarbeiterInnen sowie gegen die pensionierte Mitarbeiterin laufenDisziplinarverfahren. Ab 16. Oktober 1995 wird der Pflegedienst desPflegeheimes Liesing unter der Leitung von Pflegedirektor Günter PICHLERstehen. Seine Vorgängerin befindet sich im Ruhestand. Die Nachfolge desmittlerweile pensionierten Ärztlichen Direktors des Pflegeheimes, gegen denebenfalls keine gerichtlichen Ermittlungen laufen, trat am 1. Oktober 1995Frau Dr. Susanne STEINER-DRAPALIK an.

Zwtl.: Personalmaßnahmen im Pflegeheim St. Andrä bzw. Liesing

PFLEGEHEIM ST. ANDRÄ: o Zusätzliches Pflegepersonal in St. Andrä SeitMärz 1995 wurde der tatsächliche Personalstand im Pflegeheim St. Andrä von90 auf 97 aufgestockt. Gleichzeitig erfolgte die Änderung derDiensteinteilungen für AbteilungshelferInnen und Stationsschwestern.

o Lehrgang für psychiatrische Krankenpflege Bereits für das Schuljahr1996 fixiert ist überdies die Errichtung eines dislozierten Lehrganges derAusbildungsstätte für psychiatrische Krankenpflege im Pflege- undTherapiezentrum Ybbs im Pflegeheim St. Andrä.

PFLEGEHEIM LIESING: o Sieben zusätzliche Dienstposten in Liesing Auchim Pflegeheim Liesing kam es zu einer Erhöhung der Dienstpostenzahl umsieben Pflegepersonen. Somit versehen derzeit in Liesing 176 Pflegepersonenihren Dienst.

o 40-Stunden-Woche für das gesamte Pflegepersonal Für dasPflegepersonal im Pflegeheim Liesing gilt im Rahmen des "Schicht- undTourendienstes" bereits die 40-Stunden-Woche.

o Regelmäßige Chargen- bzw. Leiterkonferenzen Um die interdisziplinäreZusammenarbeit zu optimieren, wurde eine Leiterkonferenz einberufen, beider beschlossen wurde, daß zwei Arbeitsgruppen einen Maßnahmenkatalog zurStrukturverbesserung sowie zur Förderung der Zusammenarbeit erarbeiten(Stationsleitung: Pflege und Medizin). Diese Leiterkonferenz wird künftigeinmal monatlich stattfinden. Darüber hinaus wird ab sofort ebenfallseinmal monatlich eine regelmäßige Chargenkonferenz, bei der alle aktuellenFragen erörtert werden sollen, stattfinden. Die Stationsleitungen wurdendazu motiviert, gemeinsam mit ihren Teams Pflegeziele für ihre Stationenfestzulegen.

o Supervison und Weiterbildung Die innerbetriebliche Fortbildung wurdebereits zeitlich umorganisiert. Geplant ist weiters die Abhaltung von zweifachspezifischen Seminaren. Derzeit werden bereits drei Stationen inForm von Supervision unterstützt. Zwei weitere Stationen haben sich bereitsdafür angemeldet.

Zwtl.: Organisatorische Maßnahmen im Pflegeheim St. Andrä bzw. Liesing

PFLEGEHEIM ST. ANDRÄ: o 46 Betten weniger bei mehr Personal Beigleichzeitiger Anhebung des Personalstandes um sieben Personen erfolgte imPflegeheim St. Andrä/Traisen bis September 1995 eine Bettenabsystemisierungum 46 Betten auf nunmehr 230 Betten. Durch diese Absystemisierung ist eineschrittweise Verkleinerung der Stationen und damit eine spürbareVerbesserung der Arbeitssituation für das Krankenpflegepersonal verbunden. Generell wird eine Höchstzahl von 50 Betten pro Station angestrebt.

o Mehr Öffentlichkeit durch "Tage der offenen Tür" Die Mitglieder derPflegeheim-Expertenkommission verweisen auf die Bedeutung vonÖffentlichkeit in den Pflegeheimen zur Vermeidung von Mißständen. Dem wurdeim Pflegeheim St. Andrä bereits am 4. März 1995 durch die Abhaltung eines"Tages der offenen Tür" Rechnung getragen. Für den Frühsommer 1996 istbereits ein weiterer Tag der offenen Tür geplant. Derzeit fährt allezwei Wochen ein Zubringerbus für Besucher von Wien ins Pflegeheim St.Andrä. Dieser Dienst ist durchschnittlich zu 75 Prozent ausgelastet, dieAutoren des Experten-Pflegeheimberichtes schlagen zur besseren Anbindungeinen wöchtlichen Busdienst vor.

PFLEGEHEIM LIESING: o 31 Betten weniger Seit Beginn des Jahres wurdenauch im Pflegeheim Liesing bei sieben Pflegepersonen mehr 31 Bettenabsystemisiert. Somit beträgt der Bettenstand im Pflegeheim Liesing derzeit458. Auch hier wird eine Bettenhöchstzahl von 50/Station angestrebt.

o Wöchentliche Sprechstunden für Angehörige Zur weiterenVertrauensbildung zwischen Pflegeheim und Patientenangehörigen finden imPflegeheim Liesing einmal wöchentlich (Mittwoch) Sprechstunden fürPatientenangehörige statt. Darüber hinaus hat auch in Liesing am 11. März1995 ein Tag der offenen Tür stattgefunden, der im Frühsommer 1996wiederholt werden wird.

GENERELLE MASSNAHMEN IM PFLEGEHEIMBEREICH

Zwtl.: Patientenbezogene Maßnahmen

o Strukturverbesserungen Bis 1. Juni 1995 wurden im gesamten WienerPflegeheimbereich 153 Betten absystemisiert. Bis Endes des Jahres ist nocheine zusätzliche Bettenreduzierung von 123 Betten geplant. Somit verfügtdie Stadt Wien derzeit über 6.415 Pflegebetten. Die Absystemisierungenbringen nicht nur Erleichterungen für das Pflegepersonal, sondern sind auchVoraussetzung dafür, daß die "Wohnqualität" der Pflegeheime (TeilungWohn/Schlafbereich etc.) gesteigert werden kann.

o Trotz Bettenreduktion mehr Pflegebetten insgesamt Durch dieBettenreduzierung ergibt sich jedoch keine Schlechterstellung in derBetreuung und Versorgung der Wiener Bevölkerung, da es im privatenPflegeheimen derzeit 1.062 private Pflegebetten gibt, die von der StadtWien finanziert werden.

o Geriatriezentren Favoriten und Floridsdorf Mit einem Kostenaufwandvon rund 750 Millionen Schilling entstehen die Geriatriezentren Favoritenund Floridsdorf. Ersteres wird gemeinsam mit dem Kaiser Franz-Josef-Spitaldas "Sozialmedizinische Zentrum Süd", letzteres gemeinsam mit demKrankenhaus Floridsdorf das "Sozialmedizinische Zentrum Nord" bilden. DasPflegezentrum Süd wird über rund 260 Betten, das Pflegezentrum Nord überrund 140 Betten verfügen. Derzeit laufen die Arbeiten für dieArchitektenbeauftragung.

o Modellprojekt "Aufnahmestation" und Hoszip im "GZW" Das Hospiz imGeriatriezentrum Am Wienerwald hat den Betrieb am 5. Juli 1995 aufgenommenund verfügt über zwanzig Betten. Eine erste erfolgreiche Bilanz konnteauch die sogenannte "Aufnahmestation" im GZW bereits vorlegen. Hier wirdinnerhalb von vierzehn Tagen anhand genauer, interdisziplinär koordinierterEinschätzung der tatsächliche Betreuungs- und Behandlungsbedarf eines jedeneingewiesenen Patienten untersucht. Die Aufnahmestation verfügt über 59Betten. Durch das differenzierte Untersuchungsangebot können sieben Prozentder Patienten direkt von der Aufnahmestation wieder nach Hausezurückkehren.

o Projekt Übergangspflege 15 Stationen in Akutspitälern undPflegeheimen nehmen am Modellprojekt Übergangspflege teil: Im Rahmen diesesProjektes wird geprüft, ob Patienten eines Pflegeheimes oder einesAkutspitals wieder ohne Gefahr nach Hause entlassen werden können. ImPflegeheimbereich konnten durch das Projekt die Entlassungszahlen um 42Prozent gesteigert werden. An dem Projekt "Übergangspflege" nehmen nebenden drei Pflegeheimen Geriatriezentrum Am Wienerwald, PZ Sophienspital undPH SMZ-Ost auch die Akuthäuser Donauspital, das Kaiserin Elisabeth-Spitalund das Krankenhaus Lainz teil.

Zwtl.: Personalbezogene Maßnahmen

o Freiwillige Mitarbeiter in Wiens Pflegeheimen Ein weiteres Projektzur Öffnung der Pflegeheime nach außen ist die Aktion "Patenschaft" imGeriatriezentrum Am Wienerwald. Achtzig Patienten werden auf diese Art undWeise von "Paten" betreut. Weitere öffentlichkeitswirksameVeranstaltungen in Pflegeheimen waren der "Annerlkirtag" im PflegeheimKlosterneuburg sowie die Zwergenausstellung und das Kinderfest imGeriatriezentrum Am Wienerwald.

o Sechzehn Supervisionsgruppen In den Pflegeheimen der Stadt Wien gibtes derzeit sechzehn Supervisionsgruppen, welche von den MitarbeiterInnenjederzeit in Anspruch genommen werden können. Auch die Autoren desPflegeheim-Expertenberichtes betonen die Bedeutung der Supervision.

o 11,2 Zusatz-Millionen für die Pflegeheime Durch Einsparungen undUmschichtungen werden noch im Jahr 1995 zusätzlich 11,2 Millionen Schillingfür die Anschaffung von höhenverstellbaren Betten, hydraulischenHebebadewannen sowie Patientenliften aufgewendet. Dies ist ein Beitrag zurbesseren Betreuung intensiv pflegebedürftiger Patienten und erleichtert dieArbeitsbedingungen für das Pflegepersonal in den Pflegeheimen der StadtWien.

o 880 Kindergartenplätze

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OTS047 1995-10-12/10:09