Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 25.07.1995:
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Sicherheit für Senioren: Wien startet Modellprojekt

Utl.: Im September Gründung eines Koordinationsbüros Wien, 25.7.(RK-KOMMUNAL) Rund 100.000 der 1,6 Millionen ÖsterreicherInnen über sechzigJahre verletzen sich jährlich bei einem Unfall, rund 1.200 kommen dabei umsLeben. 75 Prozent der Unfälle passieren im Haushalt bzw. beiHaushaltsarbeiten. Allein in Wien sterben jährlich 300 alte Menschen durchStürze, 8.000 alte Wienerinnen und Wiener müssen wegen einesOberschenkelhalsbruches im Spital behandelt werden. Dafür betragen dieBehandlungskosten jährlich 400 Millionen Schilling. Im Rahmen desBürgermeister-Pressegespräches am Dienstag präsentierte WiensGesundheitsstadtrat Vizebürgermeister Dr. Sepp RIEDER gemeinsam mit demLeiter des Institutes "Sicher Leben" des Kuratoriums fürVerkehrssicherheit, Dr. Rupert KISSER, das "WienerUnfallverhütungsprogramm". Für die Geschäftsgruppe Gesundheits- undSpitalswesen betreut das Programm das WHO-Projekt "Wien - Gesunde Stadt". Das Wiener Unfallverhütungsprogramm für Senioren wurde von einem Beiraterarbeitet, der 1994 von Vizebürgermeister Rieder zur Verhütung vonSturzunfällen ins Leben gerufen worden ist. Dem Beirat gehörenSpezialistInnen des Institutes "Sicher Leben", des Kuratoriums fürVerkehrssicherheit, des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, derMA 12 - Sozialamt, der MA 15 - Gesundheitswesen, der MA 47 - Betreuung zuHause, Ärzte sowie Experten des Pflegebereiches an. DasUnfallverhütungsprogramm ist für drei Jahre anberaumt, parallel dazu sollendie Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Studie zusammengefaßtwerden.****

Zwtl.: Modellprojekt als österreichweites Vorbild Rieder: "Vor unsliegt nun ein Gesamtkonzept, das nicht nur den medizinischen Aspekt vonSicherheit im hohen Alter beleuchtet, sondern auch und vor allem diePrävention zum zentralen Inhalt hat. Besonders berücksichtigt wird imProgramm, daß Prävention in vielen Bereichen, sozusagen interdisziplinär zuerfolgen hat. Folglich reichen die Vorschläge des Beirates von verstärkterWohnungsberatung über Fragen der Verkehrssicherheit bis hin zur Problematikeiner funktionierenden Nahversorgung". Sollte dieses Modellprojekt in Wienerfolgreich sein, kündigte Rieder an, eine vergleichbare Initiativeösterreichweit zu propagieren. Bemerkenswert sei weiters, daß dieUmsetzung des Programmes nicht "von oben herab" mittels Verordnungen, Ge-oder Verboten erfolgt, sondern durch die koordinierte Zusammenarbeitmannigfaltiger Gruppen und Einrichtungen. Diese Katalysatorwirkunggewährleiste laut Rieder Kreativität und Flexibilität. Für Dr. RupertKisser ist die zentrale Idee des Unfallverhütungsprogrammes die, daß alleInstitutionen, Behörden, Interessensverbände etc. koordiniertzusammenarbeiten, um auf die Lebensbedingungen alter Menschen und derenUmfeld Einfluß zu nehmen. Als Beispiel für eine solche "interdisziplinäreZusammenarbeit" nannte Kisser die Schule: "Kinder und Jugendliche, die inder Schule von altengerechten Wohnungen hören, werden ihre gewonnenenKenntnisse auch ihren eigenen Großeltern nahebringen". Als Beispiel fürdiesen "indirekten" Informationsfluß nannte Kisser auch das oft stärkereUmweltbewußtsein von Kindern und Jugendlichen aufgrund von Aufklärung inder Schule.

Zwtl.: Koordinationsstelle öffnet im Herbst Als erster Schritt in derUmsetzung des Programmes wird im September eine Koordinationsstelle derGemeinde Wien und des Institutes "Sicher Leben" eingerichtet werden.Aufgabe dieser Stelle ist es, Multiplikatoren mit Fachinformationen zuversorgen, Kontakte zwischen verschiedenen Institutionen herzustellen,Vorträge zu halten, Schulungen durchzuführen und den Verlauf des Projekteszu dokumentieren.

Zwtl.: Inhalte des Programmes Bewußt wurden vom Beirat fürUnfallverhütung "Maximalforderungen" formuliert, was zur Folge hat, daß fürmanche Projekte, wie zum Beispiel die erwähnte Koordinationsstelle, dieFinanzierung gesichert ist, für andere Initiativen noch geeigneteFinanzierungsformen gefunden werden müssen. Auch beziehen sich dievorgeschlagenen Maßnahmen nicht ausschließlich auf den klassischenGesundheitsbereich, sondern beziehen beispielsweise auch denVerkehrsbereich oder wirtschaftliche Fragen mit ein.

o Wohnungssicherheitscheck Künftig sollen MitarbeiterInnen derGesundheits- und Sozialzentren bzw. der Sozialen Stützpunkte sogenannte"Wohnungssicherheitschecks" durchführen. Dadurch sollen Bezieher vonPflege- und Sozialdiensten auf Sicherheitsrisikos in ihren Wohnungenhingewiesen werden. Über diese kostenlose Erstinformation hinaus sollenaber auch Hilfeleistungen bei der konkreten Umsetzung technischer Maßnahmengewährt werden.

o Technische Wohnungsberatung Überdies schlägt der Beirat fürUnfallverhütung die Schaffung einer "technischen Wohnungsberatung" vor.Diese soll aktiv werden, wenn beim Wohnungssicherheitscheck Gefahrenquellenin der Wohnung aufgespürt werden. Die technische Wohnungsberatung soll aberauch direkt von den Senioren oder deren Angehörigen kontaktiert werdenkönnen. Die Aufgaben der Wohnungsberatung erstrecken sich von derBestandsaufnahme und einer Erstberatung über die Planung und Abklärung derFinanzierungsmöglichkeiten bis zur Unterstützung bei der Durchführung desUmbaus. Selbst bei der Auswahl eines Hilfsmittels, das bautechnischeMaßnahmen erfordert, ist die Beiziehung der technischen Wohnungsberatung zuempfehlen. Daraus ergibt sich ein sehr breitgefächertes Angebotsspektrum,das von einer einmaligen Beratungstätigkeit bei der Auswahl und Montage vonHilfsmitteln bis zu einer längerfristigen Unterstützung beiAdaptierungsmaßnahmen reicht. Auf längere Sicht sollte die technischeWohnungsberatung innerhalb der Stadt Wien als "Fachstelle fürbarrierefreies, behinderten- und generationsgerechtes Planen, Bauen undWohnen" geschäftsgruppenübergreifend wirken können.

o Verkehrssicherheit Bei Straßenverkehrsunfällen verunglückt eingroßer Teil der Senioren als Fußgänger: 1994 waren in Wien 87 Prozent dergetöteten bzw. 44 Prozent der verletzten Personen, die über sechzig Jahrealt waren, als Fußgänger unterwegs (20 von 23 getöteten bzw. 354 von 803verletzten Personen dieser Altersgruppe). Zudem waren 51 Prozent allerinsgesamt getöteten Fußgänger in Wien über sechzig Jahre alt. Die weitaushäufigste Todesursache von alten Menschen auf der Straße sind übrigensnicht klassische Verkehrsunfälle, sondern Stürze. In diesemZusammenhang tritt der Beirat für weitere bauliche Maßnahmen zurUnfallverhütung, wie z.B. Gehsteigvorziehungen, abgeflachte Gehsteige oderorganisatorische Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen ein. Weiters zur Sicherheitder älteren Verkehrsteilnehmer beitragen würden nach Ansicht derBeiratsmitglieder Wohnstraßen, Fußgängerzonen, Busbuchten und -schleusensowie Radwege.

o Schulprojekt "Enkelkinder informieren Großeltern" Meist nehmenältere Menschen Ratschläge, die ihre Gesundheit oder Wohnsituationbetreffen, am ehesten an, wenn die beratende Person dem Senior bekannt ist.Da in der Regel zwischen Enkelkindern und Großeltern ein gutes Verhältnisbesteht, ist es naheliegend, Kinder und Jugendliche als"Informationsträger" zu nutzen. In Form von Projekttagen in denVolksschulen sollen anhand von kindergerechten InformationsmaterialienThemen wie "Sichere Wohnung" oder "Unfallvorbeugung" behandelt werden. Vierbis fünf Referenten würden ausreichen, um die etwa 600 WienerVolksschulklassen flächendeckend zu betreuen.

o Informationsoffensive Ab 1996 sollen Senioren von der WienerGebietskrankenkasse gemeinsam mit den Krankenscheienn einen"Haushalt-Check" erhalten. Dieser Haushalt-Check ermöglicht in einfachenWörtern und mit einem zielgruppenorientierten Layout die Prüfung derwichtigsten Gefahrenquellen in der Wohnung. Die Checkliste kann einfachausgewertet werden, das numerische Ergebnis gibt Auskunft über die zuerwartende technische Sicherheit der Wohnung. In der Interpretation derErgebnisse wird auf mögliche weitere Schritte, wie z.B. der Bestellungeiner kostenlosen Informationsbroschüre hingewiesen. Für einschlägigeVereine oder Personengruppen ist auch daran gedacht, spezielle Referate zumThema Sicherheit im Alter abzuhalten. Dazu soll für die Referenten ein"maßgeschneiderter" Medienkoffer erstellt werden. Weiters schlägt derBeirat für Unfallverhütung vor, Sonderbeilagen für Fachillustrierte zuerstellen, die über sichere Produkte und Hilfsmittel (sichere Leitern,Armaturen - Hitzestop, Haltegriffe, Teppichunterlagen, Gummimatten im Bad,sichere Rollstühle, Sicherheitsarmbänder, Vorhanglifte etc.) informieren.Als ideales Medium für diesen Zweck bieten sich auch 5- bis 10minütigeVideos an.

o Der Handel als Partner der Senioren Eine zentrale Aufgabe desKoordinationsbüros für Unfallverhütung wird sein, den Handel aufseniorenfreundliche Produkte hinzuweien bzw. Marktlücken aufzudecken. Dr.Rupert Kisser: "Das Institut 'Sicher Leben' stellte z.B. im Rahmen einerStichprobe fest, daß keines der bekannten großen Möbelhäuser Betten führt,deren Höhe über das Normmaß hinausgeht. Dies wäre aber gerade für Senioreneine wesentliche Erleichterung." Meist stecke hinter solchen Angebotslückenaber nicht böser Wille, sondern einfach ein Informationsmanko derUnternehmer, auch werde der Senior noch nicht überall alsgleichberechtigter Konsument anerkannt. (Schluß) nk/rr/bs nnnn

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OTS054 1995-07-25/11:39