Wir bringen die Stadt voran - Interview mit Bürgermeister Michael Ludwig und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr

Von den 800 Punkten ihres Programms hat die Stadtregierung schon rund 2 Drittel abgehakt oder arbeitet intensiv an der Umsetzung. Wie die Zusammenarbeit zwischen Rot und Pink klappt und was die Pläne für das Jahr 2023 sind, verraten der Stadtchef und sein Stellvertreter im Interview.

Lassen Sie uns zuerst einen Blick zurück werfen: 2022 war mit Corona, Krieg, Energie und Teuerung ein schwieriges Jahr. Wo ist Wien gut durch die Krise gekommen? Und wo war es besonders schwierig?

Video: Wir bringen die Stadt voran - Teil 1

Bürgermeister Ludwig: Begonnen hat es mit Corona - primär einer Gesundheitskrise, in der wir die Menschen so gut wie möglich geschützt haben. Aber es gab Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Kultur und die Gastronomie. Wir haben schnell vor allem dort geholfen, wo wir den Eindruck hatten, dass die Bundesförderungen nicht greifen. Zum Beispiel in der Kulturszene oder bei Klein- und Mittelbetrieben, die mit Homeoffice eine völlig neue Situation hatten. Diese Phase wurde überlagert durch die Energiekrise mit hoher Inflation, ausgelöst durch die militärische Aggression Russlands in der Ukraine. Das ist eine furchtbare Entwicklung für die Friedenssituation in Europa, hat aber auch in Wien gravierende Folgen. Als Fortschrittskoalition haben wir auch hier sehr schnell die wirtschaftlichen Auswirkungen abgefedert. Die Wiener Energieunterstützung war die erste, die eine Gebietskörperschaft auf den Weg brachte. Vor allem für jene Haushalte, die stark unter Druck sind, war das mit bis zu 1.000 Euro eine große Hilfe.

Vizebürgermeister Wiederkehr: Die Regierungsperiode hat mitten in der Pandemie begonnen. Da war auch in den Schulen und Kindergärten viel zu tun. Gerade junge Menschen waren von der Pandemie stark betroffen. Wir haben uns immer bemüht, nicht nur Krisenmanagement zu betreiben, sondern auch Zukunftsprojekte auf den Weg zu bringen. Dann kam der Krieg in der Ukraine, der nicht nur menschlich tragisch ist, sondern auch für Wien große Herausforderungen mit sich bringt. Denn wir wollten den geflüchteten Menschen aus der Ukraine nicht nur Schutz geben, sondern auch Perspektiven bieten. So gehen mittlerweile mehr als 4.000 ukrainische Kinder in Wien zur Schule. Das entspricht rund 200 Schulklassen, die wir neu auf die Beine stellen mussten. Das Krisenmanagement in Wien funktioniert sehr gut. Und darauf bin ich stolz.

Herr Bürgermeister, Sie galten bis zuletzt auch als Verfechter der FFP2-Maske in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens - etwa bei der Mobilität. Jetzt mehren sich die Stimmen, wonach die Maskenpflicht in den Öffis im Frühjahr aufgehoben wird. Wie ist da der Stand der Dinge?

Ludwig:

Wir alle hoffen, dass die Schutzmaßnahmen dann nicht mehr notwendig sein werden. Aber ich war immer für einen strengen Kurs in der Stadt, um die Menschen zu schützen. Ich habe mich in der gesamten Krise von Expert*innen beraten lassen. Und das werde ich weiter so halten. Gerade in den öffentlichen Verkehrsmitteln war die Maskenpflicht wichtig. Der Besuch in der Diskothek ist eine freiwillige Entscheidung, aber die Öffis müssen viele Menschen nutzen.

Herr Vizebürgermeister, die Schulen und Kindergärten waren im vergangenen Jahr und auch aktuell immer wieder in den Schlagzeilen. Wie gehen Sie mit den Vorwürfen um?

Wiederkehr:

Wir hatten leider sowohl in den Kindergärten als auch in den Volksschulen Verdachtsfälle von körperlichen Übergriffen. Das ist dramatisch, denn Bildungseinrichtungen sollten Orte des Schutzes und der Entfaltung sein. Solche Fälle machen mich sehr betroffen. Wir haben daraus gelernt. In Wien gibt es jetzt das strengste Gesetz für den Kinderschutz. Es muss an allen Kindergärten und Schulen Kinderschutzkonzepte geben und wir haben ein neues Kompetenzzentrum für den Kinderschutz geschaffen.

Aufgrund der hohen Energiepreise kam im Sommer auch die Wien Energie in Turbulenzen: Würden Sie aus heutiger Sicht anders handeln?

Ludwig:

Nein, mit dem Wissen von damals war es ein richtiger Schritt. Die Wien Energie versorgt nicht nur die Menschen in dieser Stadt, sie stellt auch die Netzstabilität für ganz Österreich sicher. Ich hätte mir gewünscht, dass es - wie in fast allen Ländern der EU - einen nationalen Schutzschirm gegeben hätte. Die österreichische Bundesregierung hat das nicht gemacht. Obwohl schon im März die EU dazu aufgefordert hat, solche Schritte zu setzen. Ich werde in der Untersuchungskommission gerne mein Wissen zur Verfügung stellen.

Wir nähern uns der Halbzeit der 1. rot-pinken Koalition auf Landesebene. In welchen Bereichen ist die sozial-liberale Handschrift sichtbar?

Video: Wir bringen die Stadt voran - Teil 2

Wiederkehr: Wir haben zweieinhalb Jahre gute, intensive Arbeit geleistet. Uns geht es darum, die Stadt gemeinsam ambitioniert voranzubringen. Es gibt so viele Herausforderungen, zum Beispiel die Stadt klimaneutral zu machen. Hier ist schon viel gelungen. Für mich ist neben dem Kampf gegen den Klimawandel die Unterstützung der Kindergärten und Schulen ein zentrales Thema. Wir haben mehr Transparenz geschaffen, unter anderem mit dem Regierungsmonitor, mit dem jede und jeder unsere Arbeit überprüfen kann. Und wir haben eine Whistleblower-Plattform geschaffen.


Ludwig:

Die Koalition funktioniert sehr gut. Wir sehen die Probleme, bieten Lösungen an und setzen sie um. Da sind wir ein Vorbild, wenn man sich andere Regierungen anschaut. Wir machen Sachpolitik ohne politisches Hickhack.

Bei der Regierungsklausur haben Sie Schwerpunkte für 2023 gesetzt. Ganz oben auf der Liste steht "Raus aus Gas". Wie wollen Sie das schaffen?

Ludwig:

Der Klimawandel ist neben anderen wichtigen Themen - Teuerung, Gesundheit, Bildung, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik - sehr zentral für uns. Wir haben aus allen Resorts konkrete Umsetzungsschritte zusammengefasst. Wir reden nicht nur, wir setzen um. Wir beginnen da auch nicht erst, es gibt seit mehr als 20 Jahren ein Klimaschutzprogramm. Das hat dazu geführt, dass die CO2-Emissionen pro Kopf in Wien halb so hoch sind wie im Rest Österreichs. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist ein Grund dafür. Wir haben mehr Personen mit Öffi-Jahreskarte als Autobesitzer*innen. Jetzt folgen noch mehr Schritte, aktuell bei Bauen und Wohnen. Sanierungen, Geothermie, Wärmepumpen, Photovoltaik - da setzen wir an.

Wiederkehr:

Ein paar Beispiele: 2030 sollen rund 20.000 Haushalte mit Fernwärme aus Geothermie versorgt werden. Wir bauen klimaneutrale Schulen. Ja, es wird eine große Herausforderung, die Dekarbonisierung für alle Gebäude in Wien zu schaffen. Was wir aber brauchen, ist das Gesetz zur erneuerbaren Energie, das die Bundesregierung immer noch nicht beschlossen hat. Aber wir warten nicht, wir handeln.

Wien versucht intensiv, noch mehr Menschen zum Umstieg auf die Öffis zu bewegen. 2023 soll ein Etappenziel der U2xU5 erreicht werden. Hält der Termin für die Strecke Seestadt–Karlsplatz?

Ludwig:

Wir sind voll im Termin- und Budgetplan. Die größte U-Bahn-Baustelle Europas ist ein Signal, wie wichtig der öffentliche Verkehr fürs Klima ist. Jedes Jahr fahren rund 600 Millionen Menschen mit den Fahrzeugen der Wiener Linien.

Wiederkehr:

Wir wollen Alternativen bieten, auch für den Umstieg aufs Rad. Der Ausbau der Radwege geht flott voran. Und das ist dringend notwendig. Ein weiterer Schritt ist der Ausbau der Straßenbahnen, auch über die Stadtgrenzen hinweg.

Der Fachkräftemangel beschäftigt alle Branchen. Was ist bei der Stadt Wien geplant, damit sich die Lage entspannt?

Wiederkehr:

Auch im pädagogischen Umfeld gibt es zu wenig Lehrkräfte und Kindergarten-Pädagog*innen. Das ist schwierig, denn wir wollen die Qualität weiter verbessern. Mit mehr Assistenzstunden entlasten wir die Pädagog*innen. Gleichzeitig haben wir die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht. Und es gibt Ausbildungsgeld, damit der Umstieg leichter fällt.

Ludwig:

Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern ganz allgemein einen Arbeitskräftemangel. Die Babyboomer-Generation geht schrittweise in Pension. Wir müssen dort besonders hinschauen, wo wir schnell Personal benötigen. Beispiel Pflegebereich: Wir attraktivieren die Ausbildung, indem wir 400 Euro im Monat drauflegen. Am Campus Wien verdoppeln wir bis 2026 die Ausbildungsplätze.

Zum Abschluss: Worauf können sich die Wiener*innen in diesem Jahr freuen?

Wiederkehr:

Ich hoffe sehr, dass die Pandemie dem Ende zugeht und wieder mehr Freiheiten möglich sind. So können wir die Game City wieder stattfinden lassen. Darauf freue ich mich auch persönlich schon sehr.

Ludwig:

Ich genieße die Ballsaison, die gibt es so nur in Wien. Der 28. Eistraum ist auch ein schönes Beispiel: Den können Kindergärten und Schulen kostenfrei nutzen. Mit dem Kultursommer und dem Donauinselfest geben wir allen Menschen die Möglichkeit, kostenlos am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.
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